: Mensch Günther
■ Wie kann es nur kommen, daß ausgerechnet Günther Jauch zum beliebtesten TV-Moderator der Nation gewählt wurde?
Er ist zwar nicht der bekannteste, aber der beliebteste Moderator, den das Fernsehen uns derzeit zu bieten hat: Ausgerechnet Günther Jauch, der Mann ohne Eigenschaften, führt die Hitliste der 32 TV-Moderatoren an, die tv-movie mit einer demoskopischen Umfrage unter 1.004 respräsentativ ausgewählten Fernsehzuschauern ermitteln ließ. Zwar liegt Jauchs Bekanntsheitsgrad mit 92 Prozent hinter dem der alten Bekannten Rudi Carrell (95 Prozent), Dieter Thomas Heck (94 Prozent) und Thomas Gottschalk, den stolze 99 Prozent der Befragten zu kennen glauben. Aber während nur 60 Prozent der Befragten den lockigen Thommy auch im kommenden Jahr „gerne sehen wollen“, steht Günther Jauch in dieser Kategorie mit 79 Prozent unangefochten an der Spitze. Er ist zwar nicht so souverän wie Erich Böhme und nicht so humorvoll wie Jürgen von der Lippe, finden die Zuschauer, aber eben auch nicht so arrogant wie Thomas Gottschalk und vor allem nicht so nervig wie der Münchner Late-Night-Talker, den immerhin ein Drittel der Befragten in diesem Jahr lieber nicht mehr auf dem Bildschirm sehen würden.
Als sich das Fernsehen in den achtziger Jahren durch die private Unterhaltungsoffensive zu verändern begann, stöhnten die seriösen Kritiker angesichts der neuen TV- Ästhetik unisono auf. Mike Krüger und Jürgen von der Lippe machten mit „Vier gegen Willi“ und „Donnerlippchen“ Furore, Karl Dall beschimpfte seine Gäste mit Zoten, Hugo Egon Balder ließ die barbusigen „Tutti Frutti“-Girls tanzen, und Margarethe Schreinemakers kreischte sich mit „Wortschätzchen“ durch das Abendprogramm. Ein schreckliches „Inferno der guten Laune“ machte der Spiegel 1987 angesichts dieser Shows aus. „Der Trend zur Tobsucht“ sei unverkennbar in deutschen TV- Unterhaltungen, mit ausgeprägtem „Drang zu ungenierter Blödheit und infantilem Spieltrieb“ schien das bißchen Fernsehkultur, das die alten Helden wie Hans- Joachim Kulenkampff oder Wim Thoelke sich erarbeitet hatten, für immer verloren. Aber der Feuersturm der Blödelkönige verrauchte alsbald, die befürchtete Götterdämmerung – sie blieb aus.
Zu Jahresbeginn 95 also ist alles wieder im Lot. Zwar haben Kuli und Thoelke die Showbühne aus Altersgründen räumen müssen, aber die neuen Stars, die Meisers und Bioleks, ähneln unseren alten Bekannten doch mit frappierender Deutlichkeit. 71 bzw. 63 Prozent möchten sie „gern sehen“. Und der Unaufdringlichste, Alltäglichste, und darum Verläßlichste, Günther Jauch, der – weil nicht schön – auch nicht eitel ist, der – weil nicht allzu erfolgsverwöhnt – nicht allzu arrogant ist, führt die neue Armada der Fernsehonkel an, in deren Reihen sich nur eine Talktante behaupten kann: Margarethe Schreinemakers wollen immerhin 69 Prozent der Befragten weiterhin weinen sehen.
Für das Fernsehen sind die Moderatoren das vielleicht wichtigste Element der medialen Vermittlung. Wenn wir allabendlich die Flimmerkiste anschalten und arglos die Welt in unsere Wohnzimmer bitten, begrüßen uns die Moderatoren mit einem freundlichen „Guten Abend“. Dabei schauen sie uns derart starr in die Augen, daß man für einen kurzen Moment glauben könnte, tatsächlich gemeint zu sein. Sie werden uns, so ihr Versprechen, nun gut unterhalten: Für uns, und nur für uns, wird Günther Jauch in der nächsten Stunde von „Stern-TV“ die Reporter auf Investigationskurs schicken, exklusiv für unsere politische Willensbildung schwingt Erich Böhme jeden Sonntag seine Brille (mit 72 Prozent an dritter Stelle).
Durch die persönliche Vermittlung der Moderatoren wird die (unfaßbar korrupte, kriegerische, schnöde) Welt wieder faßbar klein; durch die sorgsam gewählten Worte der Moderatoren scheidet sich gut wieder von böse, wichtig von unwichtig. Wir müssen ihnen vertrauen, den Anchorfiguren des Fernsehens, liefern wir ihnen doch für ein, zwei Stunden unsere Aufmerksamkeit aus. Sie danken uns unser Zutrauen mit höflichen Umgangsformen, betroffenen Worten oder die Seele erleichternden Scherzen. Wen wundert es da noch, daß sich ausgerechnet auf den unscheinbaren, aber stets zuvorkommenden, seriösen Günther Jauch die Hoffnungen für das TV- Jahr 1995 vereinigen? Wer würde diesem jungen Mann, klingelte es um 22 Uhr unerwartet an der Tür, nicht arglos Einlaß gewähren?
Bei Thomas Gottschalk hätten wir da schon mehr Bedenken: eitel wie ein Pfau räkelt er sich des nächtens auf unserem „Late Night“- Sofa. Spiegelt sich in der Prominenz seiner Gäste, plaudert mit den Stars auf du und du – als störten wir nur, bei diesem nächtlichen Rendezvous! Das kränkt den Souverän der Maschine, dessen Macht allein im Gebrauch der Fernbedienung besteht. Freundliche Menschen sollen uns begegnen, wenn wir uns mit dem Fernsehen unterhalten. Menschen wie Günther Jauch. Klaudia Brunst
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen