Melodram "Mitten im Winter": Liebe im Gulag
Marleen Gorris mag starke Frauen: In "Mitten im Sturm" trotzt Emily Watson als Eugenia Ginzburg dem Stalinismus vor schöner Kulisse.
Jetzt sind sie also verfilmt, die Erlebnisse Eugenia Ginzburgs aus der Zeit Stalins, veröffentlicht im Piper Verlag ("Marschroute eines Lebens" und "Gratwanderung"). Ginzburg, Kulturredakteurin der Krasnaja Tatarija (Rotes Tatarien) und Dozentin am Pädagogischen Institut der Universität Kasan, fiel 1937 der großen Säuberung zum Opfer. Erst zehn Jahre später wurde sie aus dem ostsibirischen Gulag entlassen.
Regisseurin der deutsch-polnisch-belgischen Produktion ist Marleen Gorris ("Lushins Verteidigung"). Sie stützt sich auf die gestandenen Schauspieler Emily Watson ("Breaking the Waves") und Ulrich Tukur. Großes Gewicht hat sie Ewa Skoczkowska, Jagna Janicka und Katarzyna Lewinska eingeräumt, die Szenenbild und Kostüme verantworten.
Infolgedessen dominieren im Film die Schauwerte. Die Mode der frühen dreißiger Jahre in Kasan kann sich sehen lassen. Ginzburg, noch im Genuss aller Privilegien, präsentiert sich mit atemberaubenden Hüten, die auf ihr Selbstbewusstsein, ihre Emanzipation und den Status innerhalb der Nomenklatur verweisen sollen. Diese glamourösen Auftritte, die frisch renovierten Gebäude in den Straßen, die Fahrten in blendend weißen Limousinen - all dies ist Augenweide, wenn nicht Tränen treibende Nostalgie des sowjetischen Dreißiger-Jahre-Looks.
Dem Kältetod entrissen
Man könnte diese schönen Illustrationen als planvollen Kontrast zum harten Leben im Gulag verstehen, wenn Ginzburg Bäume fällt, bei minus vierzig Grad. Aber auch hier tun die Szenenbilder - wenn sie auch andere geworden sind - dem Betrachter nicht weh. Sie erzählen nichts. Was zu sehen ist, ist nach wie vor cleane Bebilderung. Okay, dafür haben Emily Watson und Ulrich Tukur freie Bahn, Inhalt zu transportieren. Und sie tun es.
Emily Watson also zeigt sich im Lager als starke Frau, deren unbeugsamer Wille zu überleben auch die anderen mitreißt. Halt, es gibt eine Krise. Anfang der vierziger Jahre erfährt sie, dass ihr Sohn im belagerten Leningrad verhungert ist. Sie sucht den Kältetod. Sie wird im nächtlichen Wald gerettet. Ulrich Tukur, der Lagerarzt, gräbt sie aus dem Schnee. Dr. Anton Walter ist Wolgadeutscher. Sie wird ihm assistieren, Eiter aus Wunden kratzen und ihn heiraten, wie wir in einer höchst melodramatischen Schlussszene vermuten dürfen.
Regisseurin Marleen Gorris hat die Akzeptanz ihres Films im Blick ("Was mich berührt hat, wird sicher auch ein großes Publikum berühren"), und das ist "la condition féminine" ("Ich erzähle meinem Publikum gern Geschichten über starke Frauen - wie sie leben und wie sie überleben"). Ausgeblendet hat sie, dass die historische Ginzburg Jüdin war und dem virulenten Antisemitismus der Stalinzeit zum Opfer gefallen ist.
Kraft der großen Liebe
Im Film wird sie als Intellektuelle definiert. Das ist leicht nachvollziehbar. Intellektuelle stehen in allen Lagern stets am unteren Ende der Hackordnung. Aber sie gewinnen die Kraft zu überleben aus der Kultur. Die Protagonistin rezitiert im Gulag Puschkin und die großen russischen Poeten. "Gäste sind wir hier auf Erden".
Das ist ihr Lebenselixier, einerseits. Andererseits hilft ihr aber die Kraft der großen Liebe, und das ist die schiere Güte und das mitfühlende Verständnis eines Mannes wie Ulrich Tukur. Ja, die beiden kriegen sich wie in jeder kitschigen Liebesgeschichte. Darum also war es dem Film gegangen. Oder wie? Liebe im Gulag? Dass damit alles gut ist, weiß jeder, ob mit großem, kleinem oder gar keinem Latinum. Amor vincit omnia.
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