: Meister des Spagats
■ betr.: „Schröders Roadshow“, taz vom 2.3.94
Spätestens nach der Bundestagswahl wird sich zeigen, daß die SPD von allen guten Geistern verlassen war, als sie statt Schröder Scharping zu ihrem Kandidaten gemacht hat. Schröder ist nämlich mittlerweile der einzige Sozialdemokrat, der überzeugend linke Sprüche klopfen kann. (Die Wischiwaschis Rau, Engholm und Scharping versuchen's nicht einmal mehr.) Ohne diese Muntermacher kann die SPD erfahrungsgemäß keine Wahlen gewinnen. Nur so lassen sich die (eher linken) Mitglieder zum Wahlkampf motivieren, und auch die politikverdrossenen SPD-Wähler brauchen ein solches Kontrastmittel. Nicht zufällig hat die SPD ihren größten Wahlsieg mit linken Parolen errungen. Bei der Willy-Wahl 1972 verketzerte Brandt die CDU als „Partei der Millionäre“ und rühmte die SPD dagegen als „Partei der Millionen“. Und dem Obrigkeitsstaat wollte er mit „mehr Demokratie wagen“ auf die Sprünge helfen.
Freilich kann sich in der SPD linkes (eigentlich fortschrittliches!) Gerede nur leisten, wer den „sozialdemokratischen Spagat“ beherrscht: So wie der linke Wahlkämpfer Brandt schließlich eine FDP-Wirtschaftspolitik machte und statt mehr Demokratie die Berufsverbote betrieb, so stehen auch bei Schröder die Interessen der niedersächsischen Unternehmer obenan, und der „ökologische Umbau der Industriegesellschaft“ entpuppt sich als Leerformel. Als Meister des Spagats wird Schröder deshalb nach der nächsten Wahlniederlage seine große Stunde haben. Sigmund Keiditsch, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen