■ Nebensachen aus Tokio: „Meine liebe Hoheit, Herrscher des Himmels“
Shinainaru tenno heika (Meine liebe Hoheit, Herrscher des Himmels,)
gemeinsam mit Ihrer Hoheit, Kaiserin Michiko, bereisen Sie heute unser Land. Als erster japanischer Kaiser der Geschichte werden Sie die deutsche Hauptstadt Berlin besuchen und durch das Brandenburger Tor ziehen. Sie werden den Deutschen auf dem Thüringer Land beim Wiederaufbau zuwinken und Kränze an deutschen Soldatengräbern niederlegen. Richard von Weizsäcker wird sich bei der Begrüßung vor Ihnen verbeugen, wie es die Sitten Ihrer fernen Heimat vorschreiben. Dann werden Sie, hochverehrter Herrscher des Himmels, eine Ansprache vor dem Staatsbankett des Bundespräsidenten halten, in der Sie Japan und Deutschland auffordern, aus der Vergangenheit zu lernen und dem Weltfrieden zu dienen.
Wäre ich unter den anwesenden Gästen, würde ich bei diesen Bemerkungen den Kopf senken. Denn ich glaube, daß der japanische Kaiser nicht das Recht hat, die Deutschen zur weiteren Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit anzumahnen. Sie selbst gehören zu den letzten unter Ihren Landsleuten, die leugnen, was Deutsche und Japaner auch nach 48 Jahren Frieden und Freundschaft schicksalhaft verbindet: unser verbrecherisches Kriegsbündnis im Zweiten Weltkrieg.
Vor der Hochzeit mit Michiko Shoda haben Sie einmal gesagt: „Wir sind immer von den Bürgern isoliert gewesen. Meine Vorstellung ist, daß die kaiserliche Familie Japans sich den Bürgern mehr öffnen sollte.“ Nun haben die Bürger Ihrer Heimat in diesem Sommer eine neue Regierung gewählt und sich damit auch für eine neue Rückbesinnung auf die Vergangenheit entschieden. 72 Prozent Ihrer Mitbürger stimmen mit Ihrem neuen Premierminister darin überein, daß Japan vor fünzig Jahren einen „Invasionskrieg“ führte und mit „Aggressionsakten und Kolonialherrschaft über unzählige Menschen unerträgliches Trauern und Leiden brachte“. Für die meisten Japaner hat sich diese Erkenntnis jedoch erst dann allgemein durchgesetzt, wenn auch Ihre Exzellenz, der Tenno, sich ihr anschließt. Das ist bisher nicht geschehen.
Auf Ihren Reisen nach China 1992 und Südostasien 1991 sprachen Sie von Ihrem „Bedauern“ über die „schrecklichen Ereignisse in der Vergangenheit“. Den 50. Jahrestag des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor, der den Krieg mit Amerika auslöste, ließen Sie unerwähnt verstreichen. Woran liegt es, daß auch unsere Völker von ihrer gemeinsamen Vergangenheit im Krieg wenig wissen? Seite an Seite kämpften im Zweiten Weltkrieg Japaner und Deutsche für die gleichen faschistischen Ideen von Volk, Nation und Rasse. Deutsche U-Boot-Mannschaften wurden während des Krieges von den japanischen Besatzungstruppen im Pazifik zu begeisterten Waffenschwüren empfangen. Ihr Vater war Oberbefehlshaber aller japanischen Truppen. „Japan geht den Weg der Götter, wie es den Weg des Kaisers und den Weg des Ritters geht“, berichtete der deutsche Schriftsteller Friedrich Sieburg 1939 voller Bewunderung.
Nach Kriegsende verwarf Ihr Vater seine ihm angetragene göttliche Abstammung. Weitere Erinnerungen an diese unschöne Zeit aber ersparen wir uns seitdem im Umgang zwischen Japanern und Deutschen. Ihre symbolische Europareise zu den alten Achsenmächten Italien und Deutschland geht sogar einen Schritt weiter: Mit Ihrem Entschluß, auch in Rom und Berlin die Natur der Kriegsverbrechen von Deutschen, Italienern und Japanern zu verschleiern, distanzieren Sie sich öffentlich von weiteren Versuchen der Verganenheitsbewältigung. Sie sprachen in Rom von den „Lehren aus der Vergangenheit“, jedoch ohne anzudeuten, welche Vergangenheit gemeint war.
Glauben Sie, daß unsere alte, schon auf die Zeit Ihres Urgroßvaters zurückgehende Freundschaft ohne die gemeinsame Sühne unser Kriegsverbrechen bestehen kann?
Shitsurei o oyurushi kudasai. Keigu (Bitte verzeihen Sie meine Unhöflichkeiten. Respektvoll,) Georg Blume
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