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Mein schönstes ReiseerlebnisTropenfeeling in Trinidad

Trinidad swingt. Es ist multiethnisch, chaotisch und widersprüchlich. Kreativ ist nicht nur der Karneval und die Musik.

Hochkultur auf Trinidad, das ist der Karneval Foto: Eléonore Roedel

Die Sonne hat sich glutrot verabschiedet. Es dämmert. Der öffentliche Bus von Maracas Beach nach Port of Spain, der 14 km entfernten Hauptstadt von Trinidad, lässt schon lange auf sich warten. Es ist der letzte an diesem Sonntag. Jung, alt, schwarz, braun, selten weiß wartet am Straßenrand, unter und auf Palmen sitzend. Ob alle im Bus Platz finden, ist fraglich. Es mag an der Schwüle, am Marihuana, das in dicken Rauschwaden in der Luft liegt, am Rum oder dem ausgelassen Tag am Meer liegen – die Stimmung bleibt gelassen und das Warten wird zur konzentrierten Trommelsession.

Leere Bier- und Coladosen, Trommeln aus Kokosnussschalen, ausgediente Plastik- oder Metallbehälter, alles, was irgendwie klingt, wird zum Instrument umfunktioniert. Im Dämmerlicht durchzieht ein rhythmisches Konzert den Regenwald. Ein magischer Soundteppich legt sich über den leer werdenden Strand. Ein momentvergessenes Lebensgefühl.

Nebenjob Musiker ist weit verbreitet auf Trinidad. Nicht nur weil die Arbeitslosenzahlen hoch sind. Steelbands, Calypso und Soca, der musikalische Ableger des Calypso, sind der Sound der Insel. Mit indischen Klängen kreuzt es sich zum Chutney Soca, mit dem nordamerikanischen Rap zum Rapso(ca) und aus der Verbindung mit dem spanisch-indianischen Parang entspross der Parang Soca. Ein Musiklabor, wo sich Harry Belafonte genauso bediente wie Mick Jagger und schon kleine Kinder in Hinterhöfen, die Steelband üben.

Fremd, aber vertraut

Mein schönstes Reiseerlebnis

Wir haben unsere Autor*innen gebeten, die Reise, die sie besonders beeindruckt und ihre Weltlust geschürt hat, ­aufzuschreiben. Die siebte und letzte Folge unserer Serie führt in die Karibik, nach Trinidad. Die Illustrationen von Eléonore Roedel setzen die Reisen unserer Autor*innen vielfältig, fantasievoll und eigensinnig ins Bild.

Damals, 1976, war Trinidad für mich eine Wundertüte. Faszinierend, fremd, gleichzeitig seltsam vertraut. Warum? Ich weiß es nicht, möglicherweise hat die Insel mein archaisches Unbewusstes zum Klingen gebracht, meine polymorph-perverse, infantile Sexualität. Die Tropen, die Schwüle, dunkelblaues Meer, hellblaue Lagunen, tiefgrüne Wälder, braungelber Sand, rote Blüten, Kokospalmen bis ans Meer. Die Natur, mindestens so üppig und ausschweifend wie der jährliche Karneval. Die Direktheit der Menschen, ihre unkomplizierte „ey man“-Attitüde, die Körperlichkeit. Das whining, der sexy Schwung aus den Hüften beim Tanz. Die Selbstironie der Calypsosongs und im Alltag das Ungezügelte bis hin zur Brutalität.

Meine Begeisterung, meine Naivität, meine Unvoreingenommenheit waren die vielen Male, die ich dort war, wertvolle Begleiter. Sie haben mir Türen geöffnet und mich gleichzeitig geschützt in dieser Inselwelt: chaotisch, unvorhersagbar, impulsiv. Das Staunen, die Euphorie verflog mit der Zeit, die widersprüchliche Realität, die Abgründe schälten sich von Mal zu Mal mehr heraus. Doch die Insel blieb für mich immer aufregend. Das pure Leben.

Der Taxifahrer, ein schöner Transvestit mit langen, knallgrünen Fingernägeln, muss noch schnell seine drei Kinder von der Schule holen, bevor er uns weiter fährt. Der dürre Rasta verkauft Kokosnusswasser, indem er die grüne Nuss mit der Machete aufschlägt. Er predigt peace, happiness, Veganismus, schwärmt von seinem Garten und verlangt von uns den dreifachen Preis. Entwicklungshilfe, meint er.

Ein altes Paar mit Stereorekorder tanzt im Kreise einer klatschenden Gruppe Limbo im größten Park von Port of Spain, der Savannah. Der schlanke Alte windet sich nahezu waagrecht unter der fast bodentiefen Stange durch. Eine Kunst, die ausstirbt. Die Hot Roti Verkäuferin im Kiosk an der Savannah hat ihre Calypso Rose so laut aufgedreht, dass man die Teigtaschen mit Gemüse und Fleisch nur auf der Tafel anzeigen kann. Vor lauter Rhythmus vergisst sie und wir das Rückgeld, unsere Einkaufstasche ist inzwischen auch verschwunden.

Hochkultur ist der Karvneval

Chicken, Barrow, Kyle, Boyse, Joes und die anderen Kinder kommen täglich zu Dragon im Stadtteil Cocorite. Sie lernen hier Stelzenlaufen für den Karneval. Dragon unterrichtet seine „Moko Jumbies“, baut die Stelzen selbst. Die Stangen sind aus Holz oder einer Mischung aus Holz- und Eisenrohren. Nach deutschen Sicherheitsbestimmungen eine Katastrophe, für Trinidad eine geniale Konstruktion.

Im Hotelzimmer nebenan schläft Roger, der dauerbekiffte Möchtegern-Musiker mit seinen zwei blonden, drallen dänischen Freundinnen. Die Nächte sind unruhig. Die beiden schrulligen very britischen Geschwister im Vogelhaus im Dschungel sind Nachfahren einer Kolonialfamilie. Sie zeigen Besuchern die Vogelvielfalt der Insel, die durch ihr nach allen Seiten offenes Holzhaus schwirren. Sie streng ladylike, er ein dorfbekannter Schwerenöter.

Hochkultur? Fehlanzeige. Die Kolonialherren haben außer einigen Bürgerhäusern wenig an Zeugnis hinterlassen. Die Zucker- und Kakaoplantagen wurden ausgebeutet und sich dann selbst überlassen. Hochkultur auf Trinidad, das ist der Karneval, der von den Schwarzen, die als Sklaven auf die Plantagen gebracht wurden, als kurzer Ausbruch aus Ausbeutung und Unterdrückung und als Provokation gegen die Regeln der Kolonialherrschaft gefeiert wurde.

Karneval ist das Highlight des trinidadischen Kalenderjahres: Musiker und Kostümbildner arbeiten jedes Jahr 12 Monate an ihren Calypsos und den bunten, fantasievollen Kostümen. Drei Tage wird gefeiert. Es gibt Musik- und Kostümwettbewerbe. Eine Band, eine Karnevalsgruppe, besteht aus mehr als 2.000 Personen und mobilen Skulpturen, die durch die Straßen getragen werden. Es ist die größte Party der Welt. Ausgelassen, sexy, entgrenzt.

Karibische Körper aus deutscher Eiche

Der Designer Peter Minshall ist über die Grenzen Trinidads bekannt, unter anderem hat er die Eröffnung der olympischen Spiele in Barcelona ausgerichtet. Er arbeitete mit der Callaloo-Company, eine Gruppe von Künstlern, Darstellern, Handwerkern, Helfern. Sie machen Mas beim Karneval auf Trinidad, Sie entwerfen und produzieren Karnevalskostüme, Masken und die Präsentation einer Band im Karnevalszug.

Der Name Callaloo kommt von einem traditionellen Gericht Trinidads. Eine Suppe mit den unterschiedlichsten Zutaten, ein delikates Essen, das als Metapher für das Gemisch aus Ethnien und Kulturen auf Trinidad steht. Aus der Tradition des Trinidad-Karneval kommend, gestaltet die Callaloo-Company weltweit Straßenaufführungen, Modenschauen, Museen und Ausstellungen in der Karibik, den USA, Brasilien, Mexiko.

Nach 14 Jahren Abstinenz entwarf der inzwischen Achtzigjährige 2020 noch einmal einen Karnevalsauftritt durch die Straßen von Port of Spain und gewann mit Mas Pieta den Titel für den besten großen Zug und den Titel „Band of the Year“. „Der trinidadische Karneval ist eine Form des Theaters, bei dem die Kostüme eine dominante Rolle einnehmen,“ sagte Minshall über seine ­Arbeit. „Und wenn man Menschen ­hineinsteckt, beginnen sie zu tanzen.“

Wie die Figuren der deutschen Bildhauerin Luise Kimme, die über 20 Jahre hier lebte, bis sie 2013 auf Tobago verstarb. Vom Karneval in Trinidad war die dynamische blonde Frau stark beeinflusst. Mit Vorliebe gestaltete die kleine Bildhauerin riesige Tänzer und Tänzerinnen, aber auch Tiere der Umgebung, Fabelwesen karibischer Mythen wie „Mama de l’eau oder die Boa“. Sie arbeitete auch für Peter Minshall, portraitierte für ihn bekannte Calypsosänger wie Sparrow und David Rubber aus Holz und fertigte die Köpfe seiner berühmtesten Figuren.

Das Holz für ihre Arbeit verschifft Luise Kimme anfangs aus Deutschland. Reiche auf Trinidad schmücken ihre Gärten und Häuser mit den zwei Meter hohen Bronzeabgüssen der Skulpturen und im dortigen Nationalmuseum stehen die karibischen Körper aus deutscher Eiche.

Ich weiß nicht, wo mein indischer Großvater, meine chinesische Großmutter wirklich herkommen

Gerard Ramsawak, Guesthouse-Manager

Das Haus von Luise Kimme auf Trinidads Nachbarinsel Tobago ist heute Museum. Luise Kimme schwärmte von der Alltags-Kreativität der Inseln. „Hier wird aus allem etwas gemacht“, sagte sie beim Besuch. Und überhaupt: „Was soll ich denn in Deutschland? Ich habe zwar auch ein Atelier in der Eifel. Aber da gibt es nichts, was mich aus der Umgebung anregt. Oder soll ich Gartenzwerge und Rehe oder vielleicht einen Förster machen? Der Gegenstand meiner Skulpturen sind die schönen Körper.“

Édouard Glissant und die Kreolisierung

Man muss nicht stoned sein, um die schöne, bunte Mischung, die Multi-Identitäten etwa beim Karneval oder am Maracas Beach zu bestaunen: Weiße mit negroiden Zügen, Schwarze mit asiatischen Augen, Inder mit afrikanischer Haarpracht. 38 Prozent Schwarze, die Nachfahren ehemaliger Sklaven, 40 Prozent Inder, die als Kontraktarbeiter nach der Abschaffung der Sklaverei im britisch beherrschten Trinidad 1838 geholt wurden. Gemischte 18 Prozent, Europäer 6 Prozent, Chinesen, Araber 1 Prozent.

Kreolisierung nannte der karibische Philosoph Édouard Glissant die Begegnung, die Wechselwirkung, das Aufeinanderprallen, die Harmonien und Disharmonien zwischen Kulturen. Die Kreolisierung sei nicht einfach Vermischung der Ethnien, sie gehe weiter, schaffe Neues, das unerhört und unerwartet sei. In Zeiten identitärer Besinnungslosigkeit mag dies als Identitätsverlust, Orientierungslosigkeit, Entwurzelung gesehen werden. Für Glissant war die zersprengte, vielschichtige Identität nicht ein Mangel an Identität, sondern Erweiterung und eine neue Chance, die Barrieren der Abgrenzung hinter sich zu lassen.

Es gibt keine Dominanzkultur auf Trinidad. Gesellschaftliche Elite ist allenfalls ein fragwürdiger Geldadel, der sich am Öl oder anderen Geschäften bereichert hat. Doch das politische Klima zwischen Afrotrinidadern und Indotrinidadern ist angespannt. Die afrikanische Bevölkerung macht der indischen den Vorwurf, sich nicht um eine Kreolisierung im Sinne eines Vermischungsprozesses der Kulturen zu bemühen und so der Herausbildung einer gemeinsamen Identität im Wege zu stehen. Die indische Bevölkerung hält dagegen, dass das Wort Kreolisierung nur ein anderes Wort für Afrikanisierung sei.

Die einzelnen Bevölkerungsgruppen pflegen ihre Traditionen: Neben Englisch wird Hindi gesprochen, man tanzt zu Calypso und Reggae ebenso wie zu indischer Musik und die einheimische Küche bietet von jedem etwas. Während einige Bräuche mit der Zeit verschmolzen sind, blieben andere in ihrer Ursprungsform erhalten oder sie nutzen sich ab wie etwa das hinduistische Kastensystem. Das akzeptierte Zusammenleben der Religionen und Kulturen zeigt sich an den öffentlichen Feiertagen: das indische Lichterfest und das Ramadan-Ende werden ebenso gefeiert wie Ostern und Weihnachten.

„Wir haben keine Wurzeln, keine Geschichte. Ich weiß nicht, wo mein indischer Großvater, meine chinesische Großmutter wirklich herkommen“, sagte mir Gerard Ramsawak, der Manager von Pax Guesthouse. „Wenn mir einer erzählt, er fährt nach Afrika zu seinen Wurzeln, kann ich nur lachen. Er hat mit Afrika nichts mehr zu tun. Er wird sich wundern. Trinidad ist was ganz Eigenes.“

Nicht nur eine Tourismusindustrie

Ein armseliges Gotteshaus in den Nariva-Sümpfen, wo die Bewohner ohne Strom und fließend Wasser leben, trägt Kreuz, Halbmond und ein Hindusymbol. Es wird von allen drei Religionen benutzt. Eine rationalisierte Form von Religionsausübung in einer Region der absoluten Armut.

Trinidad, das ist aber auch ein Stück ökonomische Unabhängigkeit und Eigenständigkeit durch die Ölindustrie. Eine Einnahmequelle, die keine andere karibische Insel aufweist. Die Insel besitzt Öl- und Erdgasvorkommen. Durch diesen Reichtum kann die Industrie wachsen und Trinidad ist heute die am meisten industrialisierte Insel der Karibik. Mit dem Aufbau einer verarbeitenden Industrie versucht der Kleinstaat die Länder der karibischen Wirtschaftsgemeinschaft Caricom (die englischsprachigen Inseln, Guyana, Surinam und Belize) mit Möbeln, Bier, Textilien zu beliefern. Westlich von Port of Spain in Chaguaramas hat sich ein großer Yachthafen entwickelt, ein Wirtschaftszweig mit Werften und Zulieferbetrieben, da Trinidad jenseits des Hurrican-Gürtels liegt.

Vor Trinidads Hauptstadt Port of Spain wird gewarnt. Touristen werden gleich ins touristische Paradies Tobago, die kleine Nachbarinsel, geschickt. Soziale Gegensätze, Drogenumschlagplatz und Kriminalität kleben am Image der kleinen, zugegeben schäbigen Hafenstadt Port of Spain. Armut ist auf der Insel der Öl-Dollars unerbittlich. Arme gibt es unter Schwarzen, Indern und den Anderen gleichermaßen.

Seit 1889 sind die beiden 34 km voneinander entfernt liegenden Karibikinseln Trinidad und Tobago Verwaltungseinheit. Damals eine Sparmaßnahme der britischen Krone. 1962 wurden die beiden Inseln nach jahrhundertelanger Kolonialgeschichte unter wechselnder Flagge – Spanier, Franzosen, Briten – ein unabhängiger Staat. Trinidad ein unberechenbarer Schmelztiegel, Tobago eine Kitschpostkarte. Tobago ist Trinidads afrikanisches Hinterland. Hier leben 90 Prozent Schwarze. Es ist dörflich, überschaubar, umrahmt von Traumstränden wie Englishmen Bay oder Pigeon Point. Doch Tobogao ist wie Trinidad eine Hochburg der illegitimen Kinder, der unverantwortlichen Männer, der immer wieder neu hoffenden Frauen.

Trinidad ist wilder, unberechenbarer, vielfältiger. Wer durch die Nariva-Sümpfe paddelt und das markdurchdringende Gebrüll der Red Howler-Affen hört und gegen die aggressiven Moskitos kämpft, mag an die Qualen eines flüchtenden Papillon aus den Kerkern des nahegelegenen Cayennes denken. Es kann die Hölle sein. Für mich ist es das Paradies mit Untiefen.

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