Antilleninsel Guadeloupe: Feilschen um ein Foto der Schönen

Die Karibik ist im Trend, Guadeloupe ist längst in. Von klugen Marktfrauen und einem großartigen Museum zur Aufarbeitung der Sklaverei.

Buntes Wandbild

Grafitti auch zu Ehren der Marktfrau Foto: Ute Müller

Die Händlerin mit den auffallend orangeroten Lippen und Fingernägeln, passend zum orangegelb-karierten Kleid – die einheimische Tracht –, schaut unter ihrem knallgelben Turban streng auf das Touristenpaar. Bewaffnet mit einer Kamera stehen sie vor ihrem Stand und betteln um ein Foto. Nein, kein Foto! Dabei sieht die Händlerin aus, als habe sie fürs Fotoshooting aufgerüstet und damit das ohnehin farbenfrohe Ambiente des Markts Saint Antoine mit ihrem Outfit getoppt.

Die Hände auf den ausladenden Hüften fordert sie das französische Touristenpaar fast aggressiv zum Kauf von Vanille, Ingwer, Kakao auf. Und obwohl diese sehr wahrscheinlich „all inclusive“ unterwegs sind, nehmen sie schließlich selbst die Yamswurzel in Kauf, zu der sie die resolute Marktfrau überredet. Als Gegenleistung gibt es ein Foto der Schönen. Eine gute Geschäftsidee – so bleibt auch von den Tausenden rundum versorgten Kreuzfahrttouristen, die sich auf Guadeloupe für vier Stunden die Beine vertreten, Geld im Land.

Pointe-à-Pitre, die guadeloupische Hafenstadt, ist touristischer Hotspot. Hier legen die fetten Kreuzfahrtschiffe an. Und hier auf dem Inselteil Grande-Terre baden französische Familien neben Deutschen und anderen europäischen Touristen an den weißen Stränden mit ihren Resorts und Clubs. Die Karibikinsel Guadeloupe ist für Franzosen Heimspiel, denn Gua­de­loupe gehört zu Frankreich. Ein Departement wie das Jura. Teil der Europäischen Union inklusive Euro, aber ohne Schengen-Abkommen und EU-Verbrauchsteuer.

Rum unter echten Palmen

Die Insel: Guadeloupe gehört zu den Kleinen Antillen. Mit rund 1.600 Quadratkilometern ist Guadeloupe so groß wie die zwei Stadtstaaten Berlin und Hamburg zusammen. Neben den beiden Inselteilen Basse-Terre und Grande-Terre gehören auch die kleine Inseln Marie-Galante, La Désirade und Îles des Sainte zu Guadeloupe. Das französische Überseedépartement hat rund 405.000 Einwohner.

Die Landschaft: Guadeloupes Umrisse gleichen denen eines Schmetterlings – die Insel wird deshalb oft als „Schmetterlingsinsel“ bezeichnet. Der linke Schmetterlingsflügel ist Basse-Terre, der rechte Grande-Terre. Die beiden Halbinseln sind nur durch einen schmalen Meeres­arm getrennt und könnten unterschiedlicher nicht sein: Die Landschaft Basse-Terres ist gebirgig und mit dichtem tropischen Regenwald überwachsen. Grande-Terre ist dagegen flach und trocken. Hier findet man die karibischen „Postkartenstrände“ mit türkisem, kristallklarem Wasser.

Kreolisch: Die meisten Einheimischen verständigen sich in der Mischsprache Kreol, die offizielle Amtssprache ist Französisch, die Währung der Euro. Da Guadeloupe zur Europäischen Union gehört, benötigt man zur Einreise weder Reisepass noch Visum, sondern lediglich einen Personalausweis.

Memorial ACTe: Öffnungszeitung und Informationen zum Museum unter: memorial-acte.fr.

Schön: Wunderschön gelegen ist die Tendacayou Ecolodge bei Deshaies an der Westküste mit bester Aussicht auf die Karibik. www.tendacayou.com.

Weitere Infos: Fremdenverkehrsbüro von Guadeloupe in Deutschland, Postfach 140212, 70072 Stuttgart, Telefon: 0049 (0)711 – 50 53 511; www.guadeloupe-inseln.com; fva.guadeloupe@t-online.de

Diese Reise wurde unterstützt von Guadeloupe-Tourismus.

Ein Flug nach Guadeloupe ist nicht viel teurer, wenn auch sechsmal so weit, als ans Mittelmeer. Die Krisen rund ums Mittelmeer fördern den Karibiktourismus. 2016, so die Prognose des Deutschen Reiseverbands (DRV), werde bei den Deutschen das Jahr der Karibik.

Weiße Strände, grüne Hügel, satte Palmen, das sanfte karibische Klima, starker Rum und rhythmische Musik – Guadeloupe erfüllt alle Karibikklischees: abhängen in gepflegten Resorts, sich mit Rum high trinken, die Küche, kreolisch-französisch, goutieren. Paradiesfeeling und Traumurlaub, wie es die Reiseprospekte versprechen, unter echten Palmen und mit hartem Euro.

Der Markt Saint Antoine in Pointe-à-Pitre zwischen Place Victoire und Rue Peynier ist die Touristenattraktion der Kleinstadt. Ein paar Bürgerhäuser, Altbauten in französischer Kolonialarchitektur, in denen klei­ne Museen oder die Verwaltung untergebracht sind, eine renovierte Kathedrale, viele heruntergekommene Häuser, Billigläden. Pointe-à-Pitre ist unspektakulär, provinziell, langweilig. Das Leben tobt etwas weiter, nachts, im Ausgehviertel Le Gosier.

Das Museum erzählt die kriminelle Geschichte der Sklaverei bis in die Gegenwart. Das Drama der Verschleppung von 12 Millionen Menschen

Ein Museum zur Geschichte der Sklaverei

Zwischen dem Markt und Le Gosier, völlig losgelöst vom Rest der Umgebung, steht direkt am Hafen ein 4.350 Quadratmeter großes Gebäude. Riesig und silbern glänzend mit seiner Hülle aus Aluminiumgeflecht. Am 10. Mai 2015, dem internationalen Gedenktag an die Opfer der Sklaverei, weiht der französische Staatspräsident François Holland das Mémorial-ACTe-Museum in Pointe-à-Pitre ein. Es erinnert an das Schicksal der Millionen Sklaven, die in die Karibik verschleppt wurden. Es erzählt die kriminelle Geschichte der Sklaverei bis in die Gegenwart.

Die schwarze Fassade des Gebäudes ist eine großer Gedenkstein für das menschliche Drama des Sklavenhandels. Das silberne Aluminiumgeflecht, das die Fassade umschließt, hat eine filigrane Netzstruktur, die an die Wurzeln des wilden Feigenbaums erinnern soll. Der wilde Feigenbaum mit seinem expansiven Wurzelwerk überwuchert noch die geschichtsträchtigsten Gemäuer.

Das Museum wurde von einem lokalen Architektenteam entworfen. Es steht symbolträchtige auf dem Gelände, wo sich einst die größte Zuckerrohrfabrik der Insel befand. Einer der größten Sklavenbetriebe.

Museumswärterin

„Ein Luxusprojekt in den Augen vieler. Einheimische kommen nur selten ins Mémorial ACTe“

Mehr als 85 Millionen Euro hat der futuristische Bau in Hafennähe gekostet. Eine Riesen­summe für die wirtschaftlich schwer gebeutelte Antilleninsel. Die Hälfte der Summe hat Gua­de­loupe aufgebracht, die andere haben sich Frankreich und die EU geteilt. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit von 26 Prozent – die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent – ist das teure Museum umstritten. „Ein Luxusprojekt in den Augen vieler. Einheimische kommen nur selten“, sagt die Frau an der Rezeption.

Erzählte Geschichte

Die großen, hohen Räume des Mémorial ACTe, die mit nur wenigen Objekten ausgestatten sind, haben eine fast sakrale Wirkung. Gleich zu Beginn der Dauerausstellung werden über Videoinstallationen die Lebensgeschichten der ersten Schwarzen auf Guadeloupe vorgestellt: Jean le Portugais Noir und Juan Garrido, zwei Schwarze im Heer der Konquistatoren, Louis le Marron, ein verkaufter Mulatte aus Sevilla und Francis le Wolof, der entlaufene Sklave.

Sie erzählen ihre Leben auf einer großen Leinwand. Gesprochene Geschichte, filmreif präsentiert und personalisiert – dieses Konzept ist im Mémorial ACTe Programm. Es nimmt für sich ein, entführt ganz in die ungeheuerlichen Geschichte und Geschichten der Sklaverei.

Fotos, Archivauszüge, Multimedia-Installation, moderne Kunst und Filmcomics geben in ungefähr dreißig Sälen einen vielseitigen historischen Einblick. Unterhaltsam wie der Comic der jungen Sklavin, die in den begehrten Status der Haussklavin aufsteigt, die harte Plantagenarbeit hinter sich lässt, dafür den sexuellen Annäherungsversuchen des Plantagenbesitzers und den neidischen Attacken seiner eifersüchtigen Frau ausgesetzt ist. Brutal wie die Züchtigungsinstrumente, die Peitschen, Stöcke und Ketten der „Bastiaans“, der schwarzen Aufseher, die sich in den Dienst der Sklavenhändler stellten.

12 Millionen verschleppte Afrikaner

Der Sklavenhandel war die größte Menschenverschleppung aller Zeiten. Im 16. Jahrhundert etablierte sich ein ausgeklügeltes Handelsnetz, mit dessen Hilfe die europäischen Seemächte systematisch die Versklavung von Millionen Schwarzafrikanern betrieben, zur Bewirtschaftung der Kolonien in der Neuen Welt. In den fast 400 Jahren der atlantischen Sklaverei kamen etwa 10 bis 12 Millionen verschleppte Schwarzafrikaner lebend in Amerika an. 4 bis 5 Millionen Sklaven wurden auf die Inseln der Karibik gebracht, 3,5 bis 5 Millionen nach Brasilien, und eine halbe Million Sklaven wurde in die USA verkauft. Doch die Dunkelziffer der systematischen „Deportationen“ ist erheblich höher.

Der Fokus des Mémorial ACTe liegt auf der Karibik und der speziellen Alltagskultur, die sich hier entwickelt hat. Beispielsweise der kreolische Garten, der den Sklaven zur Ernährung nach mitgebrachter Tradition, aber auch als kleines Refugium diente. Oder der karibische Karneval mit seinen Ritualen, Geistern, seiner Ausgelassenheit und Rebellion, seinen schwarzen Rhythmen. Immerhin sind heute 90 Prozent der Einwohner von Guadeloupe Schwarze oder Mulatten.

Pflichtgemäß hat Staatspräsident François Hollande bei der Einweihung der Gedenkstätte die „irreparablen Verbrechen der Sklaverei“ angeprangert und sich auch der Schuld Frankreichs gestellt. Doch das Mémorial ACTe bleibt nicht bei der Opferrolle, beim Anprangern der Verbrechen der Sklaverei stehen. Es gibt den Millionen, denen ihre Geschichte geraubt wurde, ein Gesicht und zollt den Widerstandskämpfern, den entlaufenen Sklaven und Aufständischen Tribut. Und es dokumentiert die internationalen Bewegungen gegen Rassismus und Sklaverei von Paris bis Washington. Das Museum ist vielfältig, global, überraschend, großartig.

Die Welt kreolisiert sich

Die Welt kreolisiert sich, sagte Edouard Glissant, der Schriftsteller und Philosoph von der karibischen Nachbarinsel Martinique, der 2011 in Paris starb. Glissant hatte zu Lebzeiten den Bau des Museums angeregt. Kreo­li­sie­rung bedeutet für ihn, Begegnung, Wechselwirkung, Aufeinanderprallen, Harmonien und Disharmonien zwischen Kulturen. „Die Kreolisierung ist nicht einfache Rassenmischung, sie geht weiter. Sie schafft absolut Neues, das unerhört und unerwartet ist“, sagt er in einem Interview in der taz.

Der karibische Autor sprach in seinen Gedichten, Romanen und Aufsätzen vom Zusammenprall und von der Durchdringung der Kulturen, vom nivellierenden Allerweltseinerlei und chaotischen Weltvielerlei. Letzteres hat Glissant immer propagiert. Auf Guadeloupe herrscht allerdings, zumindest in den touristischen Resorts, das nivellierende Weltallerlei.

Der Ort Petit-Canal liegt einige Kilometer nördlich von Pointe-à-Pitre. Abgetretene Steinstufen führen hinauf zu einem Platz, auf dem eine weiß getünchte Kirche steht. Les marches des es­claves, die Stufen der ­Sklaven, wird die Treppe genannt. Auf dem Kirchplatz wurden früher Sklaven für die Arbeit auf den Zuckerrohr- und Kaffeefeldern der weißen Plantagebesitzer verkauft.

Petit-Canal ist Teil der Sklavenroute auf Guadeloupe. Hier steht auch das von einer wilden Feige umwucherte Gemäuer des ehemaligen Sklavengefängnisses. Von der Kirche aus schweift der Blick auf die kleine Hafenbucht. Fischerboote schaukeln an den Stegen. Eine Idylle aus Mangobäumen, roten Bougainvillea und dem glitzernden Meer.

Die Sklavenroute auf Guadeloupe

Die Route de l’esclave führt auf der Nationalstraße N1 weiter nach Basse-Terre und über den nur 50 Meter breiten Meeresarm Rivière Salée. Das Ziel: Fort Louis Delgrès. Es erhebt sich auf einem Felsvorsprung an der Südspitze von Basse-Terre. Errichtet wurde das massive Bauwerk aus dem 17. Jahrhundert zur Verteidigung der Franzosen gegen die Engländer. Delgrès ist der Nationalheld der Insel. Überall stehen Büsten des Widerstandskämpfers, der gegen die Wiedereinführung der Sklaverei durch Napoléon kämpfte.

Im Zuge der Französischen Revolution 1789 wurde die Sklaverei in den französischen Kolonien und damit auch in Guadeloupe 1794 aufgehoben. Napoléon führte jedoch die Sklaverei 1802 wieder ein. Zwei schwarze Truppenführer, Delgrès und Ignace, stellten sich mit ihren Soldaten Napoleons Truppen entgegen und starben. Doch die wiederhergestellte Unterdrückung der Sklaverei bröckelte: Immer mehr Sklaven flüchteten in die Wälder, es flammten immer wieder Aufstände auf. Nach der Revolution von 1848 wurde die Sklaverei durch das Décret d’abolition de l’esclavage vom 27. April 1848 in allen französischen Besitzungen endgültig abgeschafft.

Die weiße Vorherrschaft ist auf Guadeloupe geblieben, auch wenn die Weisen nur 5 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie besitzen die Immobilien, das Land, die landwirtschaftlichen Flächen. Das Lohnniveau in den Überseedépartements ist im Durchschnitt um 40 Prozent geringer als auf dem französischen Festland – und das, obwohl die Lebenshaltungskosten höher sind.

Im April demonstrierte wie im Mutterland Frankreich die Arbeiterpartei Guadeloupes auf dem Place de la Victoire in Pointe-à-Pitre gegen das Gesetz El-Khomri der gleichnamigen französischen Arbeitsministerin. Das Gesetz weicht gewerkschaftliche Standards auf. Das Leben im touristischen Paradies ist häufig prekär und teuer.

Die Frauen am Markt von Pointe-à-Pitre kämpfen auf ihre Weise. Sie machen aus jedem fotogenen Lächeln ein kleines Geschäft.

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