Mein erster Spaziergang im Watt: Nordsee ist Mordsee
Verglichen mit dem Mittelmeer oder der Ägäis ist die Nordsee eine hinterhältige Zicke. Ich erwarte eine persönliche Entschuldigung.
E ndlich mal ein paar Tage schönes Wetter in Deutschland! Sofort fahre ich mit meiner Frau von Bremen nach Cuxhaven, um zum ersten Mal die Nordsee zu besuchen und zu schwimmen – aber was passiert?! Die blöde Zicke haut einfach ab! Das ist absolut unhöflich! So etwas ist mir am Mittelmeer oder an der Ägäis noch nie passiert. Das Wasser dort ist sehr tapfer und bleibt immer da, selbst wenn tausend Engländer gleichzeitig reinpinkeln.
„Mein Herr, es ist nicht gegen Sie persönlich gerichtet“, tröstet mich einer von den bärtigen Einheimischen. „Das macht die Nordsee doch jeden Tag. Sie kommt und geht, wie es ihr passt. Das hier ist ein sehr launisches Wasser, müssen Sie wissen“, lacht er.
„Eminanim, ich bleib nicht hier. Stell dir vor, ich bin gerade nichtsahnend schwimmen, plötzlich verschwindet das Wasser unter mir, und ich klatsche mit dem Gesicht vier Meter tief in den dreckigen Schlamm!“, schimpfe ich aufgebracht.
„Osman, der Mann hat doch gesagt, dass das Wasser irgendwann wieder zurückkommt. Lass uns doch hier im nassen Sand romantisch spazieren gehen“, ruft sie fröhlich, zieht ihre Sandalen aus und hüpft wie ein junges Mädchen in dem ekelhaften Schlamm rum. Da bleibt mir natürlich nichts anderes übrig, als ebenfalls meine weißen Socken auszuziehen und ihr in dem dreckigen Schlamm hinterher zu trotten.
Meine Frau Eminanim scheint die geborene Watt-Hüpferin zu sein. Sie rennt immer schneller und schneller! Ich habe große Schwierigkeiten ihr zu folgen.
Plötzlich rutsche ich auf der schmierigen Masse aus und schlage mit dem Gesicht voll in die braune Soße.
Ich rappele mich wieder hoch. In diesem Moment werde ich von Eminanim brutal gerammt, und lande erneut mit der Nase im Schlamm!
„Osman, lauf doch, die Nordsee kommt zurück, rette sich, wer kann!“, brüllt sie panisch.
Ich spurte sofort los. Aber diese feige Nordsee kommt sehr tückisch von hinten angeschlichen. Plötzlich falle ich in einen Graben, der tiefer ist als unser Dorfbrunnen und werde unter meterdicken Wassermassen begraben. Ich strenge mich an, um an die Wasseroberfläche zu kommen – aber keine Chance!
Ich schlucke literweise Salzwasser. Was heißt hier Wasser, ich saufe den reinsten Schlamm. Mit letzter Kraft versuche ich mich vom Boden abzustoßen – aber der Boden ist nicht mehr da!
Ich stecke in einem riesigen Loch mitten in der Nordsee! Ich kriege keine Luft mehr! Leb wohl, Eminanim, lebt wohl Kinder, leb wohl meine geliebte Halle 4 …
Plötzlich packen mich mehrere Hände, ziehen mich hoch und werfen mich auf einen Hügel aus nassem Sand.
Meine Frau trommelt wie eine Wilde auf meinem Brustkorb und brüllt verzweifelt:
„Jetzt komm endlich zu dir, Osman, sag doch endlich was! Mach den Mund auf!“
„Eminanim, lass uns bitte sofort nach Hause fahren! Mit dieser hinterhältigen Nordsee werde ich erst dann wieder reden, wenn sie uns voller Reue in Bremen besucht und sich persönlich bei mir entschuldigt!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja