Mein Wahlkampftagebuch: Ein Schuhkarton voller Silvesterböller
Die persönlichen Analysen von taz-RedakteurInnen zur Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz erscheinen täglich bis zum Wahltag am 13. März.
Ulrich Schulte leitet das Parlamentsbüro der taz.
Wichtige Landtagswahlen und die Bundespolitik – das ist ein bisschen so, als werfe man ein brennendes Streichholz in einen Schuhkarton voller Silvesterböller. Manchmal passiert nichts, weil die Flamme erlischt. Und manchmal explodiert alles, Böller platzen, Raketen zischen durch die Luft.
Was passiert in der Bundes-CDU, wenn sie die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verliert? Ganz klar: Eine Schockwelle würde durch die CDU rasen. Keine Partei nährt sich so vom Erfolg und vom Machterhalt wie sie.
Der Druck auf Merkel, ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik zu ändern, stiege ins Unermessliche. Denn ihre vielen Gegner würden die Niederlagen als letzten Beweis für den angeblichen Irrweg der Kanzlerin interpretieren. Das wäre unfair, weil sich die CDU-Kandidaten im Wahlkampf ja gerade von Merkel distanzierten. Aber in der Politik gewinnt meist die einfache Erzählung. Außerdem ist da ja die AfD, die aus dem Stand mit starken Ergebnissen in beide Landtage einziehen wird. Für die Union wird das bedrohliche Szenario einer Partei rechts von der CSU endgültig Wirklichkeit, Panikreaktionen sind nicht ausgeschlossen. Merkel kann einem fast leidtun.
Im Willy-Brandt-Haus zittert man wegen einer anderen Variante. Der SPD droht in Baden-Württemberg eine fürchterliche Blamage. Sie liegt in Umfragen zwischen 13 und 16 Prozent, teilweise nur knapp vor der AfD. Wenn dieser brutale Stimmenverlust Wirklichkeit wird, beginnt die Diskussion über die Zukunft von Sigmar Gabriel. Ob wichtige Sozialdemokraten tatsächlich seinen Sturz betreiben würden, ist offen – einen Parteichef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister tauscht man ja nicht mal eben aus. Aber auch eine Trotzreaktion Gabriels ist drin, er nimmt die Dinge persönlich.
Sicher ist: Bei den Grünen beginnt ein Kampf um die Deutungshoheit. Ist Kretschmanns Politikstil ein Erfolgsmodell für den Bund – oder nicht? Viele Konflikte, die wegen Kretschmanns Wahlkampf unterdrückt wurden, dürften dann aufbrechen, denn die Ökopartei will nach den Landtagswahlen über soziale Gerechtigkeit diskutieren. Schluss mit Wohlfühl-Bio.
Die FDP wird es – Stand jetzt – satt in beide Landtage schaffen. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu dem wichtigsten Ziel von Parteichef Christian Lindner. Er will die FDP wieder als marktliberale Kraft im Bundestag etablieren. Aussichten: gut. Und die Linken? Sie sitzen weder in Stuttgart noch in Mainz im Parlament. Ein Sprung über eine Fünfprozenthürde wäre ein toller Erfolg, bliebe aber ohne größere Verwerfungen im Bund.
Ulrich Schulte
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