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Mein Tisch am Fenster

■ Von J. N. Seiler

Wann kommst du? ohoho-Ho, wann kommst du?« Wie gestern wechselt er an der falschen Stelle von Dur nach moll: »Mondachdiensdachmidwoch. Donnersdach, Freidachsamsdachsonndach, jeden Tag. Jeden Tag.«

Horst ist in Fahrt. Als träfe er seinen Vater im Bordell, fängt er an zu husten, grient, wedelt mit den Fingerspitzen vor der Nase, zuckt mit den Ohren, niest und stürzt dann mit einer halben Drehung in voller Länge vom Tisch. Sein Meisterstück. Die Gäste an den anderen Tischen staunen.

Beeindruckt rückt der Dicke noch näher an Johanna heran, die in frontal anschmachtet, während ihre Linke tief unten in seinem Porsche-Blouson verschwindet. Wenn sie sich langweilt, kann sie es nicht lassen. Alfons leckt grade den Bierschaum von Haaren und Gesicht seines hingestreckten Herrchens, als ihn Johannas Absatz erwischt. Sekunden später schiebt sich die Boxerschnauze neben mir auf die Bank und gibt sabbernd die Brieftasche des Dicken frei: feinstes Büffelleder. Specknacken nuschelt inzwischen Johanna seine trüben Phantasien ins Ohr.

Unter dem Tisch sortieren meine Hände die Scheine. Ein satter, ein reichlicher Fang. Allmählich leert sich die »Letzte Instanz«, nur vorne, im Schankraum, sitzen noch ein paar Touristen. Der Feiste brabbelt lüstern Schweinekram. Mienenspiel. Seine Unterlippe ist feucht, und zurück an ihren Platz an seinem Busen gleitet abgemagert die Büffellederne. Alfons ist sein Futter wert, Johanna unbezahlbar.

Wie an den letzten Abenden schleift der Kellner den schlaffen Horst durch die Hintertür hinaus in den Hof. Als er zurückkommt, nickt er mir zu: Horst sitzt also schon am Steuer des Mazdas und wartet auf sein Zeichen. Der Weg ist frei, alles ist ruhig. Noch zwei Minuten bis zehn, dem Dicken wird warm: Johanna feixt. Es wird Zeit. Der Boxer hechelt.

Ich schiebe die Blümchengardine zur Seite: still liegt die Gerichtstraße da, wartet. Links Mauern, eine Schranke, ein Zaun aus grauem Stahl: der Knast. An der Ecke ein Turm, hinter spiegelnden Scheiben dunkel die Wärter. Es ist soweit: Wenn jetzt Scheinwerfer kreisen, von unsichtbaren Händen gehoben ein Schemen hell über die Mauer gleitet, da! ein Irrlicht!: herab springt ein weiß-grauer Schatten auf uns zu, fliegt, los, schneller, atemlos. Atemlos, Brüder!?

Aber nein. Sekunden vergehen wieder, dann Minuten. Die Straße schielt leer zu mir her. »Bis morgen dann.« Müde kraule ich Alfons am Hals. Die nasse Schnauze öffnet sich, spendet kühlen, silbernen Trost: des Fetten schwere Taschenuhr, Pullmann-Version immerhin. Auf dem Deckel lockt eine nackte Dame mit Faun. So ein Schwein.

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