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Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts

■ Prozeß gegen mißhandelnden DDR-Knastwärter: Verantwortliche schweigen

Potsdam (taz) – Das Pilotverfahren gegen einen DDR-Gefängniswärter, der sich wegen Gefangenenmißhandlung vor dem Potsdamer Landgericht verantworten muß, dreht sich im Kreis. Keiner weiß etwas, und jeder schiebt die Verantwortung auf den anderen. Sowohl die damals zuständigen Staatsanwälte und Polizisten, als auch der Leiter der Haftanstalt Brandenburg stellen sich dumm. Nur die Insassen, die zumeist wegen versuchter Republikflucht inhaftiert waren, sind sich einig: Wahlweise mit einem Schlagstock, einem eisernen Schlüsselring oder Fußtritten seien sie von dem Angeklagten und ehemaligen Wachmeister Kurt-Wedig V. geschlagen worden. Einige haben damals sogar Anzeige erstattet. Heute will keiner für deren Annahme zuständig gewesen sein.

Der Anklage ist es bisher nicht gelungen, einen Beweis dafür zu erbringen, daß die Häftlingsanzeigen bewußt nicht weitergeleitet wurden. Kein Zeuge bestätigte die Vermutung von Staatsanwalt Jan van Rossum, daß Gefangenenmißhandlung auf Weisung der Staats- und Parteiführung nicht verfolgt wurde. Nur dann hätte die Verjährung der Taten geruht, und der Angeklagte könnte verurteilt werden.

„Meine Stellvertreter hatten mehr Kontakte zu den Gefangenen als ich“, redete sich zum Beispiel Fritz A., der das Gefängnis von 1957 bis 1982 leitete, am vergangenen Mittwoch heraus. Er habe nie etwas von den Prügeleien gehört, geschweige denn eine Anzeige bearbeitet. A. will auch nichts mit der Kripo oder der Stasi zu tun gehabt haben, obgleich beide mit eigenen Dienststellen in der JVA vertreten waren. Der heute 73jährige gibt an, sich vielmehr für verbesserte Haftbedingungen eingesetzt zu haben. Sein damaliges Ziel: „Umerziehung durch Arbeit.“

Der Aussage des Anstaltsleiters kommt insofern große Bedeutung zu, da der DDR-Staatsanwalt Hans F. dem Gericht mitgeteilt hatte: Eingaben über „ungerechtfertigte Prügel“ waren an den Gefängnisleiter zu richten. Es sei dem Leiter überlassen gewesen, den Fall an das Innenministerium zu melden oder selbst Disziplinarmaßnahmen einzuleiten. Auch F. meinte: „In Brandenburg ist mir nicht bekannt, daß eine derartige Anzeige gemacht wurde.“

Ähnlich ahnungslos gab sich auch ein damaliger Mitarbeiter der Kripo. Der ehemalige Oberstleutnant Günter S. sagte aus, er sei nicht für „Straftaten im Bereich der bewaffneten Organe des Gefangenenvollzugs“ zuständig gewesen. „Hätte mich eine Anzeige erreicht, hätte ich sie weitergeleitet.“ Heute wird der Prozeß mit der erneuten Vernehmung des Anstaltsleiters fortgesetzt. spro

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