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Mein Amoklauf zu mir selbst

■ Zwischen Esoterik und Splatter: Das 3001 verabreicht Die totale Therapie

Zuerst war ich ja skeptisch. Niemals hätte ich geglaubt, dass diese Therapie irgend etwas bringen könnte. Ich habe mich gegen diesen schmierigen Diplom-Psychotherapeuten Dr. Roman Romero - allein der Name! - und sein dubioses Selbsterfahrungsinstitut Shirvia mindestens so gesträubt wie die Phobikerin Gabi (Ursula Ofner), die von ihrer resoluten Schwester (der stimmgewaltigen Sophie Rois) gegen ihren Willen angemeldet wird. Gemeinsam mit den anderen Kursteilnehmern, dem gestressten TV-Entertainment-Manager samt Begleiterin, dem Ehepaar in der Midlifecrisis und dem verklemmten Survivalfreak (Lars Rudolph), der jetzt mal „das Abenteuer Ich abchecken“ will, haben wir uns dann aber doch in die Wala-chei begeben und, abgeschirmt von den banalen Zwängen der Zivilisation, alles mitgemacht: Rebirthing, Bäume-Umarmen, Aggressionen-Rauslassen. Und letzteres nicht zu knapp.

Nur schade, dass dabei - unter anderen - auch Dr. Romero (Blixa Bargeld) draufgegangen ist. Dafür hatte er allerdings einen schönen, farbenprächtigen Tod, und obwohl er uns insgeheim für elende „Gesichtsbaracken“ hielt, konnte er mit der Gewissheit sterben, seine Mission am Ende doch erfüllt zu haben. „Du wirst Zeit haben, dich ganz auf dein Ich einzulassen“, hatte uns Bargeld mit seiner sonoren Stimme eingelullt. „Du bist hier, weil sie versagt haben. Alle haben sie versagt: die Gesellschaftstheorien, die Kirchen, die Wissenschaften. Sie haben versagt, weil sie es nicht geschafft haben, den Menschen in seinem Ich zu befreien.“

Ein Therapieplatz ist in Shirvia leider nicht mehr frei. Aber im Kino kann man hautnah und doch aus sicherer Entfernung miterleben, wie Regisseur Christian Frosch seine gar nicht mal weit hergeholte Satire auf die esoterische Psychoszene in ein grandioses Splatter-Finale ausarten lässt. Er spart dabei nicht an absurden Monty-Python-Überraschungen und spielt zugleich wie im Thriller mit dem Wissensvorsprung der Zuschauer: Da sitzen die Kursteilnehmer plaudernd im Garten, und am Fenster hinter ihnen versucht der mit dem Tod ringende Therapeut vergeblich Aufmerksamkeit zu erregen. Da hört die nichts Böses ahnende Schwester auf der Fahrt zum einsamen Shirvia-Landgut die Schüsse eines Patienten, der soeben seine Bestimmung als Amokschütze entdeckt hat, und brüllt: „Mörder!“, im Glauben, es seien Jäger am Werk.

Dass Die totale Therapie ausgerechnet aus Österreich kommt, wo man, laut Robert Musil, „ständig im Gefühl der unzureichenden Gründe der eigenen Existenz“ lebt und „die Abneigung gegen den Mitbürger bis zum Gemeinschaftsgefühl gesteigert“ ist, verwundert wenig. Zu denken gibt nur der Name des Filmverleihs: „Neue Visionen“. Sollte Dr. Romero doch noch am Leben sein?

Marit Hofmann

24. – 30.8., 20 Uhr, 3001; am 24.8. in Anwesenheit des Regisseurs

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