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Meide das Meer

■ Neue Nachrichten aus Umtata, Teil 5, oder: Warum den Xhosa Fisch unheimlich ist und was Prophetin Nongqawuse dazu sagt

„Umtata Fisheries“ steht vielversprechend über dem kleinen Laden mit dem verblaßten hellblauen Fassadenteint. Mmmh, lecker Fisch, schoß es mir gleich beim ersten Stadtrundgang durch den Kopf und Bilder erschienen vor meinem inneren Auge von Heilbutt mit Purree oder Nudelpfanne provençial bei Bodes an der Bischofsnadel in Bremen. Vielleicht würde die Erinnerung reichen, den Fisch ähnlich lecker auch in Umtata auf den Tisch zu bringen.

Gescheitert ist die schöne Vorstellung nicht an meinen Kochkünsten, denn soweit kam es gar nicht erst. Der Traum vom Fisch war sofort vorbei, als mir der nette griechische Inhaber von „Umtata Fisheries“ seine Auswahl zeigte. Da lag er wieder in der Gefriertruhe, der ewig gleiche blaue Tiefkühlpack mit den acht filetierten Stücken Seehecht, Marke „Sea Harvest“, jedes einzeln eingewickelt in eine gelbe Plastikhülle. „Nein, Fisheries, das ist nur so ein Name“, erläuterte der Grieche, „frischen Fisch hatten wir hier noch nie.“

Eine Stunde ist der Indische Ozean von Umtata entfernt. Ein schönes und warmes Meer mit Steilküsten, reichlich salziger Gischt und langen Sandstränden. Im Oktober ziehen prustend die Wale vorbei, Delphine tummeln sich, ab und zu wird ein Surfer vom Hai gepackt. Fische gibt es reichlich, bei Ebbe sind die kleinsten von ihnen in den Tidenpools mit der Hand zu greifen. Austern wachsen auf den Felsen, Muscheln, Langusten und Krebse teilen sich den glitschig mit grünen Algen überwucherten Gezeitenraum. Doch niemand denkt bei diesem Reichtum ans Essen.

Die Xhosa sind ein Hirtenvolk, erst vor 200 Jahren hat sie ihr Nomadenleben bis an die Küste der Transkei verschlagen. Rinder sind ihnen alles – Reichtum, Status, Brautpreis, Lebensversicherung und Festmahl. Fisch ist ihnen unheimlich. Denn unter dem Meer leben die Ahnen, und wer sie stört, zieht das Unglück an. Einmal, vor runden 150 Jahren, hatte sich die Weissagung wie ein Lauffeuer unter den Xhosa verbreitet: Schlachtet all Euer Vieh! Wenn kein Rind mehr übrig ist, werden zwei Sonnen aufgehen, und die Ahnen kommen vom Grund des Meeres zurück! Vor sich her werden sie gewaltige Rinderherden treiben! Vieh, so kräftig und gesund wie Ihr es Euch nicht träumen laßt! Die Xhosa folgten diesem Ruf der Prophetin Nongqawuse. Das Ergebnis war eine gewaltige Hungersnot und die endgültige Unterwerfung durch die britische Kolonialmacht. Die Ahnen und ihre himmlischen Herden sind bis heute dem Meer nicht entstiegen.

Also sind sie noch dort unten, und man meidet lieber das Wasser. Was nun allerdings nicht heißt, daß Fisch, wenn sich denn die Gelegenheit bietet, nicht gegessen werden dürfte. So zum Beispiel neulich in Port St. Johns, wo das stürmische Meer einen ausgewachsenen Wal auf den Strand geworfen hat. Noch bevor er seinen letzten Atemzug tun konnte, war er von Männern mit scharfen Messern umlagert, die es nur darauf abgesehen hatten, ihren Teil vom fetten Fisch herauszuschneiden. Kein ungefährliches Unterfangen, wo der tonnenschwere Meeressäuger doch noch kräftig in der Brandung schlingerte.

Nach zwei Tagen war vom Wal tatsächlich nur noch ein ungenießbarer Rest übrig, auf fachgerechtes Schlachten verstehen sich die viehliebenden Xhosa. Bis ins hundert Kilometer entfernte Umtata hatte sich die Kunde vom kostenlosen Fischfilet verbreitet und für einen Menschenauflauf am Strand gesorgt. Was beweist: Der Markt wäre durchaus vorhanden für eine Filiale von Bodes in den „Umtata Fisheries“. Dirk Asendorpf

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