Mehr soziale Gerechtigkeit gefordert: Landesgrüne blinken links
Die Landesverbände der Grünen wollen den Mittekurs der Bundesspitze kontern: mit der „armutsfesten Grundsicherung“ und höheren Steuern.

Nicht nur grüne Landesverbände fordern eine andere Sozialpolitk: „Umfairteilen“-Demo in Berlin, 2013. Bild: dpa
BERLIN taz | Die Kampfansage verbirgt sich in Landesparteitagsbeschlüssen, die selten große Aufmerksamkeit bekommen. In diesem Fall aber könnte sich das bald ändern. Denn die Papiere haben es in sich.
Ihre Botschaft gilt Spitzen-Grünen wie Parteichef Cem Özdemir oder Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. In den vergangenen Monaten haben sie ihre Partei auf eine Abkehr vom ambitionierten Steuer- und Sozialprogramm aus dem Bundestagswahlkampf 2013 eingestimmt und erweckten den Eindruck, der Gerechtigkeitskurs sei offiziell abgehakt. Nun gehen wichtige grüne Landesverbände in die Gegenoffensive.
Beim Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Grünen Ende Mai in Bielefeld kommt ein Leitantrag auf die Tagesordnung, der ein dickes Paket sozial- und steuerpolitischer Forderungen vorsieht. Das zehnseitige Papier, das der taz vorliegt, wurde einstimmig von Realos wie Linken im Landesvorstand auf den Weg gebracht.
Hartz IV sei zum „Sinnbild für Abgehängtsein“ geworden, kritisieren die NRW-Grünen und verlangen eine „neue armutsfeste und angstfreie Grundsicherung“ und ein „Ende der Sanktionen im Bezug von Sozialleistungen“. Außerdem treten sie für einen „deutlich höheren Regelsatz“ und eine Kindergrundsicherung ein.
Angst vor der Linkspartei
Auch der steuerpolitische Teil des Leitantrags ist ambitioniert: Die Landes-Grünen wollen nicht nur die Vermögenssteuer wieder einführen, sondern auch die Erbschaftssteuer „dauerhaft als Landessteuer stärken“. Es sei „eine Frage der Gerechtigkeit“, dass hohe Vermögen und Erbschaften wieder einen „deutlich höheren Beitrag zur Finanzierung unseres Gemeinwesens und zur Finanzierung der Zukunftsaufgaben“ leisten, heißt es in dem Leitantrag.
Was die Grünen in NRW beschließen, hat Gewicht. Sie sind der bundesweit mitgliederstärkste Landesverband. Die Ergebnisse bei der Bürgerschaftswahl in Bremen liest NRW-Landeschef Sven Lehmann auch als Empfehlung an seine Partei: Wenn die Grünen das Thema Gerechtigkeit nicht überzeugend besetzten, profitiere am Ende die Linkspartei davon. Die Grünen verloren bei der Wahl Anfang Mai in Bremen viele Stimmen an die Linke. „Der Kampf für Gerechtigkeit lohnt sich für die Grünen– und zwar bundesweit,“ postuliert Landeschef Sven Lehmann.
Zumindest was die Steuerpolitik angeht, sind die NRW-Grünen mit ihrem Vorstoß nicht allein. Die niedersächsischen Parteifreunde fassten bereits Ende Februar einen ähnlichen Beschluss, in dem sie fordern, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und die Erbschaftssteuer zu stärken. Im März folgten die Grünen in Rheinland-Pfalz.
Wichtiges Signal an die Bundesebene
„Das Thema ist mitnichten abgeräumt“, sagt Sven-Christian Kindler, Haushaltsexperte der Grünen im Bundestag mit Wahlkreis im niedersächsischen Hannover. Kindler hat den Steuerbeschluss seines Landesverbands vorbereitet – gemeinsam mit einem Realo. Alle vier grünen Ministerinnen und Minister in der Landesregierung unterstützten das Papier. „Das ist ein wichtiges Signal an die Bundesebene unserer Partei,“ sagt Kindler.
Wo und wie genau die Grünen sich in Steuerfragen positionieren, darüber berät seit Monaten eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Parteichefin Simone Peter. Die Parteiführung in Berlin will das Thema überregional erst Mitte 2016 auf die Tagesordnung holen – nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg.
Denn klar ist: von der Steuer- und Sozialpolitik hängt der künftige Kurs der Partei vor der Bundestagswahl 2017 ab. Der ist alles andere als entschieden. Die Landesbeschlüsse sind dafür ein unmissverständliches Signal.
Leser*innenkommentare
Gemeiner Hai
So weit, so gut - aber dass das mehr ist als reines Blinken, glaube ich auch erst, wenn ich es sehe bzw. erlebe ...
nzuli sana
Ich finde die Blinkspartei auch sehr nett.
Leider kann ich bei meinem Fahrrad noch nicht blinken, und muss noch von Hand wedeln?
Ob man so bei den Grünen emporsteigen kann?
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
@nzuli sana Also, zu spartanisch sollten Sie da intern nicht antreten. Ein SUV mit 200 PS darf schon dranhängen, am Blinker.
6474 (Profil gelöscht)
Gast
wer es glaubt...
hier in hamburg haben die grünen auch allerhand angekündigt,stattdessen gibts jetzt ein paar fahrradwege mehr(und ich fahre übrigens u-bahn)
juhu!
DR. ALFRED SCHWEINSTEIN
Ausgerechnet die grüne Hartz4-Mutterpartei, harhar! Ein starkes Stück!
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Welch wohlklingende Worte: "Neue armutsfeste und angstfreie Grundsicherung". Welcher Betroffene bekommt dabei nicht feuchte Augen? Wirklich aller Ehren wert!
Doch was nutzen solche Utopien, wenn die Bedarfsberechnungen verbeamteten Sesselfurzern in deren lebensfernen Elfenbeintürmen überlassen wird? Schon bei den nivellierten Berechnungen in Sachen HartzIV sind viele durch die Durchschnittsraster gefallen. In vorderster Linie ältere, chronische kranke Schwerbehinderte auf dem flachen Land, die auf den ÖPNV angewiesen sind. Deren Belastungen angesichts stetig steigender Fahrkosten und so genannter "Igel" Leistungen der Krankenkassen sind mit den bisherigen Transferleistungen nicht zu schultern.
Da müsste "Väterchen Staat" mächtig aufstocken. Im Musterland des Neo-Liberalismus ein frommer Wunsch.
Lowandorder
"Und ihr - die ihr mal anders ward -
Was soll man euch nur raten! - "
Dege - Väterchen Franz -
Und dann - sowas -
"…Wenn die Grünen das Thema Gerechtigkeit nicht überzeugend besetzten, profitiere am Ende die Linkspartei davon.…"
Genau dieses ewige taktische Gehampel -
Vergeßt es.
Ihr seid in der Wolle grün-bürgerlich -
nicht sozial-rot gefärbt.
Die eherne Trias der Moderne
Liberté Fraternité Egalité -
ist euch spätestens mit Josef F.
(&Kosovo) komplett aus dem Visier geraten;
könnt ihr einfach ums Verrecken nicht zu Ende buchstsbieren!
Die Spätzles einschl. Fritzchen sind doch nur die besonders
anekelnde miles&more-Vatiante.
Eure Lügen haben schlicht erst gar keine Beine.
UNWÄHLBAR.
Lowandorder
So so - Ihr tazmods meint also -
frauman dürfe nicht griffeln -
Die Grünen hielten die Bürger
für blöd!?
Aber in drei Düwels Namen -
dann erklärt doch mal sonem
Simpel wie mir -
Wie die so einen Sondermüll
abzusondern wagen -
Und - das Schärfste - nochens glauben -
Damit durchzukommen!
Sorry - aber inn Buurenslang:
"So blöd - daß sie die Schweine beißen!"
Un das ist schon - ziemlich blöd.
Lowandorder
kurz -
Euer Problem -
Ihr haltet andere für so blöd -
Wie euch selber -
& - das zeigen die Zahlen -
Is eben nich der Fall.
KarlM
@Lowandorder Klasse, so poetisch hätt ich s nicht hinbekommen!
adagiobarber
Erbschaftssteuer & Vermögenssteuer ... zwei zeitbrisante Themen. Ran da !
Angstfreie Grundsicherung für die ernsthaften Fälle ... ein wichtiges Thema. Ran da !
Im Gegenzug muss/sollte aber auch klar sein, daß gesellschaftliche Hilfe nicht zum Nulltarif zu haben ist. Wer körperlich & geistig dazu in der Lage ist sich im Gegenzug bücken zu können, soll sich auch bücken ... sprich: eine adäquate Arbeitsleitung dafür erbringen.
Den Luxus der gegenleistungsfreien Alimentation können wir uns genauso wenig leisten, wie die seit den 90iger Jahren ausgesetzte Vermögenssteuer.
Auch das Totschlagargument 'Erbvermögen ist bereits versteuertes Vermögen' ist aus dem Argumentationstausch auszuschließen.
Wenn Vermögenstransfers erfolgen, sind diese in allen Fällen bereits der Besteuerung unterlegen.
BigRed
Sicher, wenn ordentlich bezahlte und einigermassen ausfüllende Arbeitsplätze vorhanden sind, werden die Leute auch arbeiten.
Allerdings sind sie das in Deutschland nicht und was Sie da schreiben, klingt doch arg nach "workfare" mit all seinen Nachteilen.
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Ich bekomme immer Fracksausen, wenn von "wir" die Rede ist. Wer soll das denn sein, bitteschön?
Und wer entscheidet darüber, ob jemand "körperlich und geistig" in der Lage ist, eine "adäquate ArbeitsleiStung" zu erbringen? Vielleicht ein Kombinat "Lausch und Guck Reloaded"?
Wo ist Geist bei Tätigkeiten im 450 Euro-Sektor erforderlich? Dessen Anwesenheit ist doch eher hinderlich!
amigo
@adagiobarber Für ererbtes Vermögen wurde keinerlei Gegenleistung seitens der Erben erbracht und muss - bis auf einen Freibetrag - massivst besteuert werden.
Frank Mustermann
Doch, ein gutes Verhältnis zu den Eltern beibehalten, dann klapps auch mit dem Erben.
Der Vererbende muss selbst entscheiden können, wo die Kohle hingeht, zu den Kindern, oder z.B. zur Deutschen Krebshilfe.
Das kann der Bürger viel besser entscheiden, als ein langweiliger Beamter eines Staates, dem hier einige unglaubliches Vertrauen entgegenbringen.
Age Krüger
Das ist korrekt.
Insofern sollte er das lebend durchführen und sich jemanden suchen, dem er vertraut. Ein Summe, die man nur dann erhält, wenn jemand stirbt, ist eher was für Berufskiller.Was der Lebende dem Toten gibt, muss dennoch versteuert werden. Das ist bei allen Dienstleistungen so.