kritisch gesehen: Mehr als nur Steine im Wald
Der Springhornhof macht Landschaft zu Kunst: Die Sommerausstellung bringt drei Hamburger Künstler zusammen
Steht im Wald ein Baumstamm kopfüber, das leere Fachwerk eines versteckten kleinen Hauses strahlt blau und auf der Lichtung ist ein großer Himmelsspiegel in der Erde verborgen, dann muss der Springhornhof nicht mehr fern sein. Ausgehend von diesem Kunstort sind um Neuenkirchen im Heidekreis seit 1977 über 40 Landschaftskunstwerke entstanden – eine der größten Interventionen dieser Art in Europa. Dazu gibt es regelmäßige Ausstellungen in den ehemaligen Hofgebäuden des Kunstvereins selbst – wobei ebenfalls der Skulptur ein besonderes Augenmerk gilt.
Die aktuelle Sommerausstellung hat der Hamburger Bildhauer Volker Lang kuratiert. Er setzt seine eher erzählerischen Arbeiten in Dialog mit zwei Künstlern, die schon bei der Gründung der Institution geholfen haben: Der 1935 geborene HAWOLI ist in diesem Frühjahr verstorben. Er hatte sein Atelier auf dem Springhornhof. Jan Meyer-Rogge, der Hamburger Meister fragiler Gleichgewichte, hat schon die 90 erreicht.
Rein aus dem Material, sei es Holz oder Stahl, bauen sich seine minimalistischen Skulpturen in einfachen Grundformen auf. Sie verblüffen mit einer fast schon zauberhaft unwirklichen Statik, in der die dicken Vierkanthölzer oder schweren Stahlwinkel sich ohne Hilfskonstruktionen in den Raum hinein behaupten.
„Der Raum zwischen den Steinen – HAWOLI, Jan Meyer-Rogge, Volker Lang“, Kunstverein Springhornhof, Tiefe Straße 4, 29643 Neuenkirchen, Fr bis So, 14–17 Uhr. Bis 7. 9. Landschaftskunst und Ateliergarten jederzeit zugänglich
Zwischen mythischer und industrieller Anmutung changieren die mit Metall kombinierten Steine von HAWOLI. Sein Skulpturengarten schließt sich mit gerne geöffneten Türen direkt an die Ausstellungsräume an. Auch im Marmormekka Carrara hat er gearbeitet. Und Drucke und bearbeitete Fotografien der Oberflächen stark geäderter Sägeschnitte mitgebracht. Doch selbst ein so grundlegend auf den Stein fixierter Bildhauer wie HAWOLI blieb in den 70er-Jahren nicht unbeeinflusst vom Siegeszug der Pop-Art: Schraubenformen, Neonröhren und Plastikfolien zogen kurzfristig in seine Arbeiten ein.
Öffnen bei HAWOLI in einer Serie aus den 1990ern gerahmte Steinstücke die Assoziation über das Detail zum großen Ganzen einer Gebirgslandschaft, so funktionieren bei Volker Lang eine Wolke aus Gips oder eine Welle aus Glasguss eher gegenteilig: sie zeigen das Paradoxe daran, volatile Naturformen auf Dauer fest fassen zu wollen. Und seine Fotos und Papierprägungen aus einem steinigen Alpental beziehen sich nicht auf einen Ort künstlerischer Produktion, sondern auf ein Schlachtfeld des ersten Weltkrieges.
Ein ausschließlich aus dem Material heraus gedachter Skulpturenbegriff scheint heute nicht mehr hinreichend interessant genug. In erweitertem Rahmen arbeitet der gegenüber seinen geschätzten Kollegen 30 Jahre jüngere Volker Lang stets auch konzeptionell. Er verwendet häufig literarische Bezüge und politische Kontexte in seinen Werken. So ist das Gedenkhaus für die „Opfer des Feuersturmes“ in Hamburg-Rothenburgsort oder das Deserteurdenkmal am Dammtor von ihm. Im Springhornhof steht die kühle „Zirkusfassade“, eine eigentlich zu Aktionen einladende hölzerne Bühne von 2009, für einen Kunstbegriff, der Räume nicht mit autonomen Zeichen besetzt, sondern Orte bestimmt, die teils ganz speziell, teils allgemein erweitert auf die von Menschen der Welt eingeschriebenen Geschichten und die zu verantwortende Geschichte referieren.
Skulpturale Interventionen können eindrücklichere Begegnungen schaffen als der schnelle Blick auf ein Bild an der Wand: In der Heide bei Neuenkirchen können nicht nur die Gedanken, sondern auch die Körper die Kunst erwandern gehen. Hajo Schiff
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