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Mehr als ein Filmfest

Homosexuelles Leben: Dienstag starten die Lesbisch-Schwulen Filmtage  ■ Von Doro Wiese

Seit ein paar Tagen kursiert in meinem FreundInnen- und Bekanntenkreis eine neue Verabschiedungsformel. Bleibt es in Unschärfe, wann man sich über den Weg laufen wird, heißt es schlicht: „Wir sehen uns auf den Lesbisch-Schwulen Filmtagen“. Womit gesagt ist, dass diesem Festival eine weitaus größere Funktion zukommt, als Filme zu zeigen, die ansonsten die Kinos nur schwer erreichen. Denn die Lesbisch-Schwulen Filmtage sind zudem ein soziales Ereignis. Gepilgert wird nicht nur zu den Abspielorten – dieses Jahr Metropolis, Neues Cinema, Studio und die Zeise-Kinos –, sondern auch das Rahmenprogramm wird mit Vorliebe goutiert. Selbstverständlich trägt dieses Publikumsverhalten maßgeblich zu der schillernd-brizzeligen Atmosphäre bei, die das Festival auszeichnet. Kein Wunder also, dass es alljährlich mit Vorfreude erwartet wird.

Diese Begeisterung, die ein Selbstbewusstsein lesbisch-schwuler Bewegungskultur verdeutlicht, sollte jedoch nicht über den hart errungenen Status solcher Veranstaltungen hinwegtäuschen. Offen lesbische oder schwule Filme sind in den über hundert Jahren der Filmgeschichte erst in der Nachkriegszeit entstanden. Zumeist zeigten die frühen Filme jedoch eine unglückliche Liebesgeschichte, deren ProtagonistInnen aus Verzweiflung über ihre „sexuellen Verwirrungen“ den realen oder sozialen Tod wählen oder sich von den Geliebten abkehren. Da solche Filme schwerlich eine positive Identifikation gewährleisten, gab es immer schon andere Formen der Aneignung. Schwul oder lesbisch „gelesen“ wurden auch solche Filme, in denen sich Männer liebevoll oder kameradschaftlich auf Männer beziehen; dargestelltes männliches oder weibliches Cross-Dressing wurde als Anspielung auf subkulturelle Praktiken verstanden. Auf dem diesjährigen Festival wird mit Wings (1927) der Faden der Buddy-Movies aufgenommen, in denen dargestellte Männerfreundschaften gerade deshalb umgelesen werden können, weil sie über Gefühlstabus hinweggehen.

Während in diesem Fliegerdrama des ersten Weltkriegs dementsprechend ein positiver Bezug der Männer untereinander zur Darstellung kommt, vermittelt Claire Denis' Beau Travail (1999) ein ganz anderes Bild von der Militär-Maschinerie. Schauplatz ist hier die körperliche Drill-Anstalt der Fremdenlegion, in der für offene Gefühle kein Platz mehr bleibt. Nur die Erzählerstimme vermittelt aus dem Off ein Gefühlsdrama, in dem uneingestandene homoerotische Gefühle zum Mord führen. Denis vermittelt so die Sprengkraft eines Homosexualitäts-Tabus, das in reinen Männerdomänen vorherrscht und zudem gesellschaftlich sanktioniert ist. Sehr sensibel tastet sich der Film zudem an die Wichtigkeit des Körpers heran, wie er sich mittels Härte und Stärke als autonom und machtvoll inzeniert.

Eine geschichtliche Erforschung versteckter und verfolgter Homosexualität bieten zwei weitere Filme an: Verzaubert (1993) und Paragraph 175 (1999). Denunziation und Strafverfolgung hieß das drohende Fallbeil für homosexuelle Lebensformen bis zum Ende der 60er Jahre; während der NS-Zeit wurden „überführte“ Schwule und Lesben in Gefängnissen oder Konzentrationslagern interniert und fanden dort größtenteils den Tod. Verzaubert und Paragraph 175 nehmen sich dieser Lebensgeschichten an; während jedoch Verzaubert ein relativ großes Spektrum an Umgangsformen darstellt und zum Sprechen bringt, spitzt Paragraph 175 sein Thema auf die Verfolgungssituation während der NS-Zeit zu. Mit autoritativer Geste bettet er die Interviewsequenzen in Bilder der Zeitgeschichte ein; leider führt die stark zusammenfassende und mit sehr bekannten Bildthematiken unterlegte Historisierung zu einer Unschärfe des Films.

Wem solche Themen zu schwer im Magen liegen, der kann sich selbstverständlich leichterer Kost zuwenden. Die Veranstaltungseröffnung in den Zeisehallen, von den heimatlichen Göttinnen Blessless Mahony und Didine von der Plattenvlotburg begleitet, verspricht mit dem querulanten Umerziehungsfilm But I'm a Cheerleader (1999) zu einem reichlich farbenfrohen Spektakel zu werden. Empfohlen sei an dieser Stelle noch Punks (2000), eine Drag-Komödie à la Priscilla, sowie der reichlich campe Attack of the Giant Moussaka (1999). Augenschmaus bietet trotz sehr seifiger Erzählweise Women Love Women (2000), der mit Vanessa Redgrave, Chloä Sevigny, Ellen de Generes und Sharon Stone eine großartige Besetzung vorweisen kann. Wer vor älteren Frauen nicht zurückschreckt, kann auch die 100jährige Ruth Ellis zur Ikone erklären, deren Lebensgeschichte in Living With Pride: Ruth Ellis§100 (1999) nachgezeichnet wird. Erwähnt werden sollen auch die zahlreichen Kurzfilme, die in vier Programmen zusammengestellt sind. Und, und, und ... man darf gespannt sein, was gerichtet ist.

But I'm a Cheerleader: Di, 20 Uhr, Zeise; Verzaubert: Mi, 18.30 Uhr, Studio; Attack of the Giant Moussaka: Mi, 22.30 Uhr, Studio; Beau Travail: 19.10., 22.30 Uhr, Studio; Living with Pride: Ruth Ellis§100: 21.10., 13 Uhr, Metropolis; Punks: 21.10., 21 Uhr, Studio + 22.10., 22.30 Uhr, Metropolis; weitere Filme siehe Programm

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