Mehr als Wichsvorlagen: Schweinkram, historisch
Die Schau „Porn That Way“ im Schwulen Museum zeichnet die Geschichte des nicht-heterosexuellen Pornos nach. Eine Erkundung.
BERLIN taz | Vorsorglich weist das Haus darauf hin, dass der Besuch erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres gestattet ist: Dem Schwulen Museum in Berlin muss wahrscheinlich daran gelegen sein, jede Skandalisierung um wenigstens diese Schau zu vermeiden.
„Porn That Way“ – die kleine Anspielung auf den Albumklassiker Lady Gagas wird mit Absicht formuliert worden sein – heißt die Ausstellung und widmet sich, wie man früher gesagt hätte, nichts als Schweinkram.
Pornografie also, Stoff, von dem ein höchster Richter in den USA sagte, er wisse nicht, was sie genau sei, aber sehe er ein Beispiel, könnte er sagen, ob es sich um sexuell stimulierende Bilder handele.
Das ist eine viel zu vage, um nicht zu sagen: lebensbejahende Definition, und das wird die Ausstellung im Schwulen Museum auch eindrücklich belegen. Tatsächlich kann alles sexuell appetitanregend sein – ein entblößtes Knie einer jungen Frau reichte vor 100 Jahren, um junge, heterosexuelle Männer in hoffende Wollust zu versetzen.
Gedruckte Wichsvorlagen sterben aus
Das hat sich längst geändert – und das macht die Entscheidung der vier KuratorInnen Kevin Clarke, Ines Höhne, Patrick („Patsy l’Amour laLove“) Henze, Laura Méritt und Sarah Schaschek so plausibel, diese Revue schwuler, lesbischer, queerer und Trans*-Pornographie historisch anzulegen – und um ein solches, nicht nur aktuelles Verständnis der Zuschauenden zu bitten.
„Porn That Way“, das muss man nämlich sagen, ist als Schau vielleicht auch ein heiter stimmender Nekrolog auf eine wichtige Mediengattung. Denn in der gedruckten Fassung ist Pornografisches eine vermutlich aussterbende Gattung: Sexuell förderliches Material in gedruckten Bildern und Texten verliert stark an Bedeutung im Vergleich mit dem, was inzwischen im Internet frei erhältlich ist.
Wenige Klicks reichen, um in die Welt der kleinen Vergnügen und Verheißungen fantasmatisch einzutauchen: Das Netz macht möglich, was früher selbst Teil der Sehnsucht war – Heftchen oder Bildchen in Händen zu halten, die einerseits dokumentieren, was der oder die KonsumentIn begehrt und andererseits jenes Begehren am Leben hält.
Ein reichhaltiges Archiv
Pornografie als Ersatz für das echte sexuelle Leben? Das mag früher gegolten haben – etwa in der Ära, in der die DDR-Ikone Charlotte von Mahlsdorf jung erwachsen war und ihr schwules Coming-out durch aufgeklebte Nacktheiten, mit der Schere aus Illustrierten geschnitten, dokumentierte, als Bilderbogen dessen, was erhofft und gewollt ist.
Das Schwule Museum, das diese famose Schau auf 380 Quadratmetern hinbekommen hat und dennoch nur über ein Budget verfügte, das jede arrivierte Galerie in Berlin-Mitte für eine Vernissage zu verplempern bereit und willens ist, musste mit wenig Geld auskommen. Und konnte es, weil der hinterlassene Fundus der Charlotte von Mahlsdorf in den Kellern des Hauses liegt.
Auch eine Fülle anderer Exponate mussten nicht umständlich besorgt oder angekauft werden. Man hat es ja alles reichlich, jetzt ist die Chance zu zeigen, was schwule und (weniger) lesbische und trans*ische Bilderlust bedeutete. Und wie diese Chance genutzt wird.
Das Aids-Zeitalter änderte die pornografischen Oberflächen
Ein historischer Bilderbogen führt von Zitaten aus der Antike über Oscar Wilde und DDR-Pornografien schließlich zu westlichen Exponaten aus den fünfziger bis siebziger Jahren. Auffällig, dass gerade in dieser Dekade nach den queeren Unruhen in New Yorks Bar „Stonewall“ an der Christopher Street ein heftiger Wandel in der schwulen Pornoproduktion stattfand: Die sexuellen Szenen werden so explizit, wie es irgend nur geht.
„Porn That Way“ noch bis 21. März 2015 im Schwulen Museum, täglich 14–18 Uhr, Samstag 14–19 Uhr, Dienstag geschlossen.
Schwules Museum Berlin
Lützowstr. 73, 10785 Berlin. Bus M29, 100, 187 - „Lützowplatz“ www.schwulesmuseum.de
Sehr viele Penisse sind zu sehen, gänzlich erigiert oder nach dem Akt sozusagen auf Halbmast. Das ist aus heutiger Sicht, zumal in diesem musealen Kontext, beinah reizfrei in sexualisierter Hinsicht.
Bemerkenswert ist indes, dass die jungen Männer plötzlich nicht mehr wie Engel mit zufällig männlichen Geschlechtsmerkmalen sind, sondern solche mit unrasierten Achselhöhlen, von Jungerwachsenen, die das Schwule nicht wie ein Drama des Lebens aussehen lassen, im Gegenteil wie die Lust am Leben selbst.
Mit dem Aidszeitalter, etwa ab 1983, ändern sich die pornografischen Oberflächen. Was war, ist nun Vintage, das infizierende, keim- und virusbeladene Gestern. Es dominiert nun das, was der präzise Gegenentwurf zum pornografischen Bild aus der Nach-Hippie-Zeit war: Muskelmaschinen, Virilitätsmonster und Penetrationsroboter, rasiert, gestählt und steril, die den anderen Mann (oder Männer) ficken, wie es automatisierter, insofern lustfeindlicher nicht geht.
Aids hieß hier: auf jedes Einverleiben des anderen, auf orale oder schmeckende, leckende, riechende Lust verzichten. So wird dem (öfters) kondomisierten Phallus allein das performative Dirigat im Akt zugewiesen.
Lesben - jenseits der Wahrnehmungsschwelle
Im lesbischen Bereich spielten sich unterdessen – weitgehend jenseits der Schwelle schwuler (oder heterosexueller) Wahrnehmung – Konflikte ab, deren Pornografie bejahende Teile in dieser Ausstellung zu sehen sind. Es gab und gibt viele Lesben, die sich von der apodiktischen Haltung einer Alice Schwarzer („PorNo“) nicht beeindrucken ließen.
Einerseits stimmten sie zu, dass Frauen in der Pornografie immer auch ein Werkzeug, eine Bestimmung des Mannes sind. Andererseits negiere ein pures Nein zu sexuell beflügelndem Bildmaterial die Chancen, sich selbst die Welt der sexuellen Explizitheit zu erobern. Nicht mehr nur Material zu sein, sondern jenen Stoff selbst zu produzieren, der den eigenen Vorstellungslandschaften der Lust entspricht.
Im Schwulen Museum – das dem Namen zum Trotz längst nicht allein männliche Homosexuelle repräsentiert – sind eine Fülle von Arbeiten dieser Szenen zu sehen. Auch jene, die sich als Queers bezeichnen, die sich, wie sie es verstehen, den männlichen oder weiblichen Biologien nicht mehr unterwerfen wollen, finden hier ihre Performance.
Etliche Exponate könnten in jeder Galerie der Caffè-Latte-Milieus eine prominente Rolle spielen. Was an ihnen pornografisch sein könnte, muss jedem und jeder BetrachterIn überlassen sein.
„Porn That Way“ ist – als Überblick schwulen, lesbischen und trans*ischen Sehens und Musterns in einer heterosexuellen Welt, als Zeichenlabor des grundsätzlich Anderen – im Übrigen ausgesprochen kundig mit Texten begleitet.
Das Ende der Hochglanzfickmaschinenpornos?
Man erfährt, ohne sich wie im Bildungslabor zu fühlen, viel zur Historie nichtheterosexueller Pornografie, sexueller Ausdrücklichkeit und ihrem dauernden Wandel. Als ein Beleg für die Historisierung des Genres kann auch seine Akademisierung in den Porn-Studies gesehen werden.
Womöglich ist die Historisierung des Pornografischen noch zu früh angelegt: Wenn männliche Geschlechtsteile nach wie vor in der nichtpornografischen Medienwelt so konsequent verhüllt bleiben, muss der Sehnende weitersuchen.
Ansonsten ist ja das Explizite beinah schon banal geworden: Gewöhnliche Werbebilder selbst einer Margarinereklame wären früher durch keine Zensur gegangen. Und Jubelbilder von Fußballmannschaften nach Torerfolgen wären als unzüchtig abgelehnt worden.
Andererseits hat ja gerade im vorigen Jahrhundert ein kollektives Lernen stattgefunden: dass nicht jeder entblößte Unterarm gleich ein sexuelles Vorzeichen sein muss. Wir wissen inzwischen, dass alles stimulierend sein kann, die Sexualwissenschaft bestätigt es. Explizitheit entsexualisiert ja eher.
Neuester Trend im Schwulenpornosegment: Romantic Love, Sex mit langer Vorgeschichte, besser: eine Vorgeschichte, die im Sex mündet. Man könnte sagen: Das war einst die Domäne von Lesben – jetzt zieht die schwule Pornoproduktion nach. Hochglanzfickmaschinenpornos sind nur noch für Fetischisten attraktiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!