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Queere BewegungenMehr als nur Glitzer

Essay von Dennis Chiponda

Die CSD-Saison beginnt und unser Autor ist genervt: Über Marsha P. Johnson weiß kaum jemand Bescheid, hypersexualisiert und unpolitisch findet er die meisten Paraden.

Marsha P. Johnson – hier im Juni 1982 in New York – war bei Stonewall 1969 eine der ersten, die Widerstand leisteten Foto: Barbara Alper/getty images

S chwul sein heißt für viele Männer: Sex, Selfies, Pumpen und Party. Diese vier Aspekte sind für sie nicht nur Teil des Lebens, sondern fest mit ihrer Identität verwoben. Denn viele in der Community verwechseln Hedonismus mit Charakter und zeigen das unverhohlen, halb nackt tanzend, auf den jetzt startenden Christopher-Street-Day-Paraden in ganz Deutschland.

Wir Homosexuelle haben uns in unseren Privilegien eingerichtet. Wir feiern, als gäbe es kein Morgen, während die Rechten längst dabei sind, uns die Zukunft zu nehmen. Doch politische Haltung, die über Sexpositivität hi­naus­geht, suche ich oft vergeblich, vor allem bei den großen CSDs. Dabei können wir genau wegen dieser Haltung heute so offen feiern.

Der Stonewall-Aufstand in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 war der Wendepunkt für die moderne queere Bewegung. Nach einer Polizeirazzia im Stonewall Inn, einer Bar im New Yorker Greenwich Village, wehrten sich queere Menschen – viele davon trans, Schwarze und Latinx – erstmals kollektiv gegen Diskriminierung und Polizeigewalt. Die Proteste dauerten mehrere Tage und wurden zum Symbol für Widerstand gegen Unterdrückung.

Eine der wichtigsten Figuren dieser Nächte war Marsha P. Johnson, eine Schwarze trans Frau und Dragqueen. Gemeinsam mit Sylvia Rivera gründete sie die Organisation STAR, die sich um obdachlose queere Jugendliche kümmerte – ein Akt echter Solidarität, während der Mainstream der Schwulenbewegung sich lieber auf „respektable“ Anliegen konzentrierte.

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Wir haben Stonewall viel zu verdanken

Marsha P. Johnson war bei Stonewall eine der Ersten, die Widerstand leisteten. Ihr Mut machte sie zur Ikone, doch in den Folgejahren wurde sie von der weißen, bürgerlichen Schwulen- und Lesbenbewegung oft ignoriert. Viele wollten sich von den „unbequemen“ Transpersonen und People of Color dis­tan­zie­ren, um gesellschaftlich ak­zeptab­ler zu erscheinen.

Marsha P. Johnson kämpfte trotzdem weiter. Sie starb 1992, verarmt und am Rande der Gesellschaft. Ihr Vermächtnis lebt in der queeren Bewegung weiter, auch wenn viele ihren Namen erst jetzt wiederentdecken.

Stonewall war kein Startschuss zu einer Party, sondern zu einem politischen Kampf. Es waren die Mutigen, die Marginalisierten, die für unsere heutigen Freiheiten kämpften. Wer den CSD feiert, sollte wissen: Ohne Marsha P. Johnson und viele andere trans und PoC-Aktivist*innen gäbe es diese Freiheiten nicht.

Doch wenn ich auf den CSDs frage, ob jemand Marsha P. Johnson kennt – oder wenigstens die Geschichte von Stonewall –, blicke ich oft in fragende, besoffen-glasige Augen. Mich verwundert das wenig, denn der CSD, der inklusiv sein sollte für alle Farben des genderqueeren Spektrums, ist zu einer weißen Hunkparade verkommen. Man besäuft sich auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer.

Zieht euch bitte etwas an

Ich habe auf vielen CSDs gehört: „Er darf nicht zu politisch werden. Das wollen die Leute nicht.“ Dann sollen sie halt zu Hause bleiben! Denn Gleichberechtigung und die Verteidigung queerer Rechte sind kein Spaßprogramm, das nur mit Party funktioniert.

Klar, auch politische Veranstaltungen sollen Spaß machen. Aber warum müssen wir unsere sexuellen Fantasien und Abenteuer des Nachtlebens während eines Familienevents am hellichten Tag ausleben? Sieht so das queere Leben aus, das wir im Alltag führen? Nein. Es ist ein Teil der Subkultur, den wir sonst bewusst in die Nacht verlegen – wie Heteros auch.

Beim CSD sind auch Kinder anwesend. Es soll ein Familienfest sein, aber ich kann manchen so tief in den Gluteus maxismus blicken, dass ich mich frage, ob das nicht besser auf die Afterparty gehört. Rechte Kräfte behaupten ohnehin ständig, wir würden Kinder einer Frühsexualisierung aussetzen. Dieses Vorurteil müssen wir nicht auch noch bestätigen. Ich möchte meinem Neffen zeigen, dass jede Form von Liebe Respekt verdient – nicht, welchen Fetisch sein Onkel hat.

Der CSD ist leider zum performativen Karneval verkommen. Auch deshalb habe ich keine Lust mehr auf die großen Veranstaltungen. Die Bühne gehört dort den weißen, muskulösen, cis Gays, die in der Werbung für Diversity stehen, solange sie das Schönheitsideal darstellen. Der Rest? Randfiguren. ­Asexuelle Menschen, Lesben, PoC … fühlen sich oft nicht angesprochen oder sogar ausgeschlossen. Gerade diese hypersexualisierten, aufgepumpten Männer sind das schwule Äquivalent zu betrunkenen Fußballfans, die grölend in die Bahn steigen. Ist es das, was sie meinen, wenn sie von Gleichberechtigung sprechen? So toxisch sein, wie die Heteros?

Auf dem Land muss man mutig sein

Die kleinen CSDs auf dem Land sind oft politischer, solidarischer und echter. Dort geht es um Inhalte, Sichtbarkeit und Community. Es gibt Sprechbeiträge, es wird diskutiert, gestritten, geweint und gelacht. Man spürt die Gefahr von rechts unmittelbar. Wir erinnern uns an die Angriffe in Bautzen und Leipzig. Diese CSDs sind noch nicht so „pinkwashed“ und banalisiert, weil die Menschen noch unmittelbar spüren, wofür sie kämpfen. Ich wohne in Leipzig. Wann wurde ich das letzte Mal dafür diskriminiert, schwul zu sein? Jahre her. Aber auf dem Land muss man mutig sein, um sich zu outen.

Ich habe nichts gegen Sex und Party. Aber muss ich auf einer politischen Demo halb nackt tanzen, während am Rand die AfD Wahlstände aufbaut und queere Rechte im Bundestag unter Kanzler Friedrich Merz wieder zur Disposition stehen? Während trans Menschen in den USA um ihr Leben fürchten, weil der US-Präsident sie hasst? Während in Ungarn Regenbogenfamilien kriminalisiert werden? Während in Deutschland queere Jugendliche auf dem Land Angst haben, sich zu outen, und die Zahl der Übergriffe auf Homo- und Transsexuelle steigt?

Viele, die heute auf dem CSD feiern, interessieren sich wenig für Inhalte. Sie gehen nicht zu den Sprechbeiträgen, sie hören nicht zu und wollen nicht diskutieren. Sie wollen feiern. Und die heterosexuelle Allys machen sich ein bisschen Glitzer ins Gesicht, feiern mit und fühlen sich ganz toll dabei.

Queere Rechte werden uns gerade wieder Stück für Stück genommen – leise und schleichend. Und wir tanzen dazu

Wenn wir nicht aufpassen, sind unsere Rechte irgendwann weg und die Leute merken es nicht einmal. Vergesst nicht: Die Goldenen Zwanziger waren eine Hochzeit queerer Kultur – bevor die NS-Zeit innerhalb weniger Jahre alles zunichtemachte.

Wir müssen wieder unbequem werden

Ich will einen CSD, der wieder politisch ist. Einen CSD, der kämpft, solidarisch ist, unbequem bleibt. Einen CSD, der für alle da ist, nicht nur für die Privilegierten. Einen CSD, der nicht nur feiert, sondern auch erinnert. Der nicht nur konsumiert, sondern gestaltet. Einen CSD, der Haltung zeigt!

Jetzt ist nicht die Zeit für Hedonismus. Es ist Zeit, unsere Rechte zu verteidigen, Privilegien zu reflektieren und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Die queeren Rechte werden uns gerade wieder Stück für Stück genommen – leise und schleichend. Und wir tanzen dazu.

Dabei müssen wir wieder unbequem werden. Wir müssen kämpfen. Für uns. Für alle. Für die, die nicht laut sein können. Für die, die vergessen wurden. Für die, die noch kommen werden.

Also: Zieht euch an, kommt raus, hört zu, macht mit. Es geht um mehr als Party. Es geht um alles.

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12 Kommentare

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  • auch als Hetera möchte ich mich für diesen Beitrag bedanken. wie in vielen Bereichen ist auch hier das eigentliche politische Anliegen durch die Oberflächlichkeit der Spaßgesellschaft pervertiert.

  • Schließe mich Pride an. Autor Chiponda ist offenbar zu jung (und hat obendrein seine Recherche-Hausaufgaben nicht gemacht), um nachvollziehen zu können, wie sehr das Zeigen von Nacktheit und Sex auf CSDs ein emanzipatorischer Akt war (und ist) in einer Gesellschaft, die gleichgeschlechtliche Anziehung, Erotik und Sexualität als Perversion brandmarkt, die es eigentlich nicht geben dürfte / sollte.



    Diese Form des Protests als Hedonismus zu verspekulieren ist eben auch nichts weiter als ein Vorurteil.

  • "Der Staat soll's richten, wir machen derweil Party"



    Es ist diese Haltung weiter Teile der Gesellschaft, die der Autor zu Recht kritisiert - hier halt am Beispiel der CSDs.



    Und jede Handlung - und sei so noch profan - als "politisch" zu framen, nur weil sie von einer Minderheit ausgeführt wird, ist doch allzu billig.

  • Why not both? Hedonistisch Freiheitsrechte verteidigen und mit unbändiger Freude auch mal bei Stinos anecken. Wer bitte will Merz gefallen und wie soll das überhaupt möglich sein?

  • Erst einmal hat der Autor geschichtlich Unrecht. In den 1970er-Jahren war stonewall in Deutschland so gut wie nicht bekannt. Es gab in Deutschland in diesen Jahren eine von stonewall so gut wie gar nicht beeinflußte queere Bewegung, die sich nach der Reform des § 175 unabhängig von jenem entwickelte und deren Folge nach den so vielen, entstandenen, queeren Gruppen die Gründung vieler queerer Cafés, Buchläden und das queere Tagungshaus Waldschlößchen noch Anfang der 1980er-Jahre war. - Sich nackt auf einem CSD zu bewegen ist ebenso ein politischer Akt wie mit queeren Forderungen auf einem Pappschild zu demonstrieren. Gerade bzgl. der rechtsextreme Angriffe sollte Teilnehmenden nicht mangelndes politisches Bewußtsein unterstellt werden. Und gerade in der mangelnden Wahrnehmung des Autors von Vielfältigkeit an Herkunft und Queerness auf den CSDs habe ich denn noch einmal Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Autors.

    • @Pride:

      Leider gab's wohl mit der 1200-Zeichen-Ergänzung zu meinem Kommentar ein Übermittlungsproblem. Deshalb nun nur noch eine Kurzfassung. Kinder urteilen einfach und klar allgemein und so auch bzgl. Nacktheit, was sie gut finden, und lassen ziemlich "links liegen", was sie nicht gut finden. Was sie eher verwirrt, unterlegen sie einer späteren Betrachtung. Erwachsene sollten sich fragen, was sich bzgl. Nacktheit bei ihnen selbst an falscher Moral gebildet hat. Der Autor sollte weder das falsche Narrativ Rechtsextremer mit dem Begriff der Frühsexualisierung bedienen noch das Linksextremer mit dem nicht zutreffenden Pinkwashing. Das betreibt er wohl für Leipzig auch noch selbst, denn gerade in Großstädten nimmt die Gewalt gegen queere Menschen extrem zu. Die Art der Demonstration ist zwischen Land und Stadt situationsbedingt unterschiedlich. Wir lassen uns auch hier nicht spalten. Solidarisch wird sich auf den CSDs gerade gegenseitig unterstützt. Vielfalt und Gemeinschaft sind unsere Stärken.

  • Lieber Dennis, du sprichst mir aus der Seele.

  • Danke für den Betrag.

    Dazu würde ich noch anmerken, dass sixb strafrei oberkörperfrei in der Öffentlichkeit zu präsentieren auch noch ein männliches Privileg ist.

    Aus Solidarität mit queeren Frauen ist doch wohl wenigstens ein BH angebracht...oder eben ein Tanktop.

  • Die halbnackten sowie nackten Körper gehören nun mal dazu. Sexualität, Aufklärung und Politik gehören nun mal zusammen. Und es ist nun wirklich nicht noch notwendig das Ganze mit dem Argument der rechten "Schutz der Kinder" zu verhöhnen:

    "Beim CSD sind auch Kinder anwesend. Es soll ein Familienfest sein, aber ich kann manchen so tief in den Gluteus maxismus blicken, (...). Rechte Kräfte behaupten ohnehin ständig, wir würden Kinder einer Frühsexualisierung aussetzen. Dieses Vorurteil müssen wir nicht auch noch bestätigen. Ich möchte meinem Neffen zeigen, dass jede Form von Liebe Respekt verdient – nicht, welchen Fetisch sein Onkel hat."

    Diversität heißt nun mal, dass auch die hedonistischen Nackten und Puppies dabei sind. Wer sich daran stört und Angst hat und das Argument der Nazis bedient, die Kinder bzw. Jugend könnte verdorben werden, soll zu Hause bleiben. Nur weil die Leute überwiegend nicht wissen, wer Marsha P. Johnson war, ist es kein Grund ihnen vorschreiben zu wollen, wie sie sich anzuziehen haben und und ob dort auch mal wie bspw. auf der heterosexuellen Love Parade der Gluteus maxismus vorgezeigt wird.



    Zusatz: obiges Foto von Johnson wäre auch bereits Frühsex. lt. AfD

    • @Hannah Remark:

      Hier wird doch eher dazu angeregt eine klar erkennbare Haltung einzunehmen, sie mit dem angesichts der aktuellen Lage leider notwendigen Ernst zu vertreten, da die erkämpften Rechte sonst fix futsch sind. Ich denke das ist ein valider Punkt.

  • Sehr guter Beitrag, den ich auch als heterosexueller Mann gut nachvollziehen kann, lässt sich vieles davon doch auch auf andere Bereiche übertragen in denen wir aus Sorglosigkeit und "Unernst" mühsam erkämpfte Rechte abschenken.

  • Toller Beitrag!



    Leider ist das m.E. der Zeitgeist: Es geht vergessen, dass WIR der Staat, der Bundestag, die Polizei, das Militär sind Es liegt an UNS, wenn wir etwas verändern wollen. Mich treibts in den Wahnsinn, wenn ich hier in der taz lese "der Staat müsste...", "die Politiker sollten...".



    Aber das liegt vielleicht an meiner Schweizer Herkunft😉