Mehr Diversität in der NFL: Voll in die Offensive
In der National Football League müssen die US-Klubs bei der Trainerauswahl künftig mehr auf Diversität achten. Eine Klage ist Auslöser für den Wandel.
M an stelle sich vor: Die Vertreter der 36 deutschen Fußballklubs der ersten und zweiten Bundesliga treffen sich und beschließen, dass künftig jeder Klub mindestens einen Assistenztrainer mit Migrationshintergrund einstellen muss. Oder eine Frau.
Eben: Das ist kaum vorstellbar. Obwohl auch in diesem Land langsam ernsthafter über Rassismus diskutiert wird. Obwohl im Fußball überdeutlich ist, dass Spieler mit türkischen oder afrikanischen Wurzeln zwar die DFB-Auswahlmannschaften dominieren, aber auf der Funktionärsebene Minderheiten immer noch kaum vorkommen. Allerdings: Tayfun Korkut hat noch nicht die Bundesliga wegen Rassismus verklagt. Brian Flores aber hat das getan. Und weil Flores im Februar mit seiner Klage gegen die National Football League (NFL) und einige ihrer Klubs gewaltige Schlagzeilen machte, sah sich der umsatzstärkste Sportunterhaltungsbetrieb der Welt zu einem spektakulären Schritt gezwungen.
Am Montag verkündete die NFL, künftig müsse jedes NFL-Team mindestens einen Assistenztrainer, der einer Minderheit angehört, oder eine Assistenztrainerin einstellen. Die Liga selbst übernimmt in den ersten Jahren einen Teil des Gehalts der neu Eingestellten, die im Offensivbereich beschäftigt werden müssen. Der Grund: In den für die Verteidigung verantwortlichen Trainerstäben sieht es mit Minderheiten viel besser aus, nahezu die Hälfte aller Defensiv-Koordinatoren identifizieren sich als Minderheiten. Aber die Cheftrainer sind meist Offensiv-Spezialisten.
Die Folge: Zwar sind ungefähr 70 Prozent der NFL-Spieler Afro-Amerikaner, aber aktuell nur zwei von 32 Cheftrainern Schwarz, nur fünf gehören ethnischen Minderheiten an. „Es gibt den Trend, dass Cheftrainer aus der Offensive kommen“, erklärte Art Rooney, der Besitzer der Pittsburgh Steelers, „aber gerade dort gibt es zu wenige Vertreter von Minderheiten.“
Vorab vergebene Jobs
Dass die NFL Rooney vorschickte, um vor der Presse die neuen Bestimmungen zu erläutern, war kein Zufall. Handelt es sich doch um eine Verschärfung der sogenannten Rooney Rule, die auf seinen Vater Dan Rooney zurückgeht. Der war die treibende Kraft dafür, dass NFL-Teams seit 2003 verpflichtend Kandidaten aus Minderheiten zu Vorstellungsgesprächen einladen müssen, wenn sie Toppositionen in ihrem Trainerstab besetzen. Eine Vorschrift, die von vielen US-Unternehmen adaptiert wurde, deren Wirksamkeit indes umstritten ist. In der NFL hatte sie zur Folge, dass nicht mehr Chefcoaches mit einem diversen Background eingestellt wurden, sondern dass potenzielle Kandidaten wie Brian Flores auf ausgiebige, aber schlussendlich erfolglose Jobinterview-Reisen geschickt wurden. Die Jobs waren schon vorab an weiße Bewerber vergeben. Dagegen unter anderem klagte Flores im Februar.
Zu den neuen Vorschriften gehört auch, dass Frauen den Minderheiten in der „Rooney Rule“ gleichgestellt werden. Theoretisch könnte also ein NFL-Eigentümer, der einen Cheftrainer sucht, zwei weiße Frauen zum Vorstellungsgespräch einladen, um den Vorschriften gerecht zu werden. Ein unwahrscheinliches Szenario, glaubt Art Rooney: „Es gibt einfach aktuell zu wenige Frauen im Kandidaten-Pool.“
Zusätzlich beschloss die Liga, ein Komitee für Diversity einzurichten, das die Implementierung der Regeln überprüfen soll, das aber nur beratende Funktion besitzt. Auch dass es kaum Minderheitenvertreter*innen unter den mächtigen Klubbesitzern gibt, wurde kritisiert. Konkrete Maßnahmen, das zu ändern, wurden im offiziellen Statement der Liga allerdings nicht angemahnt. Wie ernst es ihr mit der neuen Politik ist, steht schon bald auf dem Prüfstand: Der Verkauf der Denver Broncos steht an. Mindestens vier Milliarden US-Dollar dürfte die Franchise kosten. Welchen Hintergrund der oder die Käufer*in oder die Mitglieder*innen des Konsortiums haben, das den Zuschlag erhält, wird nun vermutlich eine größere Rolle spielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin