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Megaprojekt Stuttgart 21Aufbäumen gegen den Kellerbahnhof

Politisch ist das Projekt am Stuttgarter Hauptbahnhof nicht mehr zu stoppen. Nun hoffen die Gegner, dass eine Kostenexplosion wie beim Transrapid das Vorhaben kippt.

So soll der Kellerbahnhof aussehen Bild: dpa

Sie geben nicht auf. Nicht vor dem ersten Spatenstich. Am Wochenende haben die Gegner des umstrittenen Megaprojekts Stuttgart 21 einen Entwurf vorgelegt, wie der Hauptbahnhof doch noch erhalten werden soll. Ein oberirdischer "heller, sonnendurchfluteter Bahnhof" schwebt dem Stuttgarter Architekten Roland Ostertag vor, mit einem 400 Meter langen Bogen aus Stahl und Glas, der alle Gleise überspannt. Das Gegenteil eines "anonymen Bahnhofs im Keller", findet Ostertag.

Der "Kellerbahnhof", wie ihn die Gegner abschätzig nennen, ist das Herz von Stuttgart 21. Aus dem oberirdischen Kopfbahnhof soll von 2010 an ein unterirdischer Durchfahrtsbahnhof werden. Dazu gehört ein fast zehn Kilometer langer Tunnel, der die Innenstadt mit einem neuen ICE-Bahnhof am Flughafen verbindet. Das Prestigeprojekt wird Stuttgart für ein Jahrzehnt zur wohl größten Baustelle Europas machen. Kosten: mindestens 2,8 Milliarden Euro. 2 Milliarden kommen für eine Neubaustrecke nach Ulm dazu.

Ginge es nach dem Willen der Gegner, darunter die Grünen, der BUND und der Verkehrsclub Deutschland, würde der Kopfbahnhof nur modernisiert und dennoch an die Neubaustrecke nach Ulm angebunden. Sie warnen vor Lärmbelästigung und Umweltbelastungen durch Stuttgart 21 und befürchten eine Verteuerung des Nahverkehrs. Angebliche Kosten ihres schlichteren Alternativkonzepts: 1,2 Milliarden Euro.

Politisch ist Stuttgart 21 allerdings längst durch. Im Juli 2007 haben sich Bahn, Bund, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart grundsätzlich über eine Finanzierung verständigt. Die Gegner sammelten danach mehr als 60.000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid. Dieser wurde vom Stuttgarter Gemeinderat mehrfach als rechtlich unzulässig abgelehnt. Zwar wollen die Gegner bis zur letzten Instanz klagen, doch auch sie wissen, dass Stuttgart 21 juristisch wohl nicht mehr zu stoppen ist. Vor wenigen Tagen lehnte das Bundesverwaltungsgericht eine Klage gegen den längsten Tunnel des Projekts ab.

"Es gibt keine Zweifel, dass das Projekt kommt", hieß es bei der Stadt am Wochenende.

Die Bevölkerung allerdings bleibt gespalten. Laut einer Umfrage der Stuttgarter Nachrichten vom April befürworten 38 Prozent der Stuttgarter den unterirdischen Bahnhof, 35,4 Prozent sind dagegen.

Auftrieb hat den Gegnern das Scheitern des Münchner Transrapids im März gegeben. Eine ähnliche Kostenexplosion könnte auch für Stuttgart 21 noch das Aus bedeuten, so die Hoffnung. "Dieses völlig überdimensionierte Großprojekt wird zum Milliardengrab werden", sagt Peter Conradi, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter und erbitterter Gegner des Projekts.

Tatsächlich ist ein verbindlicher Finanzierungsvertrag, der auch die Übernahme von möglichen Mehrkosten bis zu 1,3 Milliarden Euro regelt, seit der Einigung im vergangenen Jahr noch nicht unterschrieben worden. Die Bahn begründet dies mit dem "komplexen Vertragswerk". Die Finanzierungsvereinbarung werde aber "in den nächsten Wochen" unterschrieben. "Dann ist das Projekt wasserfest", sagte ein Sprecher. Lokalmedien mutmaßen allerdings, dass die Verzögerung mit Planungsproblemen am Flughafen zu tun habe, die einen zusätzlichen Tunnel notwendig machen könnten.

Die Hoffnungen der Gegner ruhen nun auf einem Gutachten des Münchner Verkehrsberatungsbüros Vieregg und Rößler, das sie im Juli präsentieren wollen. Das Büro hatte 2007 für die bayerischen Grünen ein Gutachten über die Kosten des Transrapids erstellt. Die Ingenieure gingen von der fast doppelten Summe der offiziell genannten 1,85 Milliarden Euro aus - und sollten Recht behalten. Wie hoch er die Kosten von Stuttgart 21 kalkuliert, kann Martin Vieregg noch nicht verraten. Nur so viel: Es seien "deutlich mehr" als die bisher genannten 2,8 Milliarden Euro.

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2 Kommentare

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  • VM
    Volker Martin

    Liebe Redaktion!

     

     

    *** Vorneweg zum Bild:

     

    Ich kann nur hoffen, dass das gezeigte Bild vom Ingenhoven-Entwurf eine redaktionelle Panne ist... oder eine nicht deutlich genug gezeigte Abschreckung sein soll.

     

    Sehr sehr schade ist es, dass Sie nicht den "leichten, lockeren, lichten und filigranen" Entwurf [siehe http://www.kopfbahnhof-21.de] abbilden. Dieser hätte, neben das verwendete Bild gestellt, einen siegreichen Kontrast zum "Unterirdischen" geboten.

     

     

    *** Zitate und Anmerkungen dazu:

     

    (1) "Der "Kellerbahnhof", wie ihn die Gegner abschätzig nennen, [...]"

     

    Abschätzig? -- In meinem Keller reifen gute Weine!

     

    Aber Scherz beiseite: diese Vokabel könnte von den sturen, bockigen, fantasielosen und geldgeilen S21-Durchboxern stammen, um die Gegner, nein: die Befürworter der billigeren und besseren Lösung "Kopfbahnhof 21" (K21), zu diskreditieren. Wie sieht das Bild (s.o.) denn aus? -- Vielleicht immer noch ein wenig zu viel Licht, aber mein Bordeaux könnte sich wohlfühlen; abgesehen von den Erschütterungen durch die Züge.

     

    (2) "[...] ist das Herz von Stuttgart 21 [(S21)]"

     

    Sie geben es als Tatsache wieder, dass der unterirdische Bahnhof das Herz des Bahnknotens Stuttgart sei. Mag sein, aber eins, das folgerichtig zum Kapitalisten-Slogan "Das neue Herz Europas" (so der Name der blödsinnigen und teueren Image-Klampagne zu S21), zum Herzinfarkt verdammt sein wird. Zu wenig Gleise, zu kurze Haltezeit, viele Verspätungen, viele Anschlussversäumnisse und damit unzufriedene Bahnkunden. In der Folge wiederum weniger Bahnfahrer, weniger Züge, weniger Arbeitsplätze, mehr soziale Armut...

     

    (3) "Politisch ist Stuttgart 21 allerdings längst durch."

     

    Ja, so sieht es aus. Wenn man nicht genau hinschaut. Nur, dass das Ganze nicht "politisch" abgelaufen ist. Das kann man nur dann sagen, wenn man Korruption, Nutznießerei und Demokratiefeindlichkeit inklusive Rechtsverdreherei als "politisch" bezeichnet. Meine Vorstellung sieht in diesem Punkt etwas anders aus.

     

    Im Projekt S21 und dem "Drumherum" lauern ungeahnte, große (und medienwirksame) Skandale! Wo sind die Reporter der alten Schule, die diesen Ungeheuerlichkeiten mutig auf den Grund zu gehen gedenken?

     

     

    *** Fazit:

     

    Dieser etwas wie In-Die-Tasche-Der-Profiteure-Reden anmutende Artikel passt nicht so recht zu einem "linken, selbstverwalteten Zeitungsprojekt", wie Wikipedia über die taz schreibt: [http://de.wikipedia.org/wiki/Die_tageszeitung].

     

     

    Volker Martin

    Stuttgart

    Betroffener

  • HF
    Helmut Fuchs

    Schön, dass die taz darüber berichtet.

     

    Schade allerdings, dass die Stuttgarter Nachrichten mit ihrem Meinungsbild zitiert werden: Denn die Umfrage hatte eine völlig irreführende Fragestellung. Außerdem ist die Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung bzw. der Stuttgarter Nachrichten bezüglich S21 absolut einseitig (und fast so penetrant wie das Werben der Bildzeitung für Tempelhof).

     

    Erwähnung finden sollte wohl auch noch, mit welch blindem Vertrauen die Gutachten der Bahn vor den Gerichten behandelt werden. Sämtliche Einwände gegen die Qualität der Gutachten wird mit dem Argument vom Tisch gewischt, dass das Gericht nicht über die Gutachten zu befinden hätte, sondern über die Rechtmäßigkeit des Projekts. Begründet wird die Zustimmung dann aber regelmäßig mit just diesen Gutachten.