Meduza-Auswahl 25. September–1. Oktober: Wie Russland seinen Staatshaushalt sanieren will
Der Krieg gegen die Ukraine hat ein Rekordloch in die Staatskasse gerissen. Dem will Moskau entgegenwirken – und erhöht die Steuern für Bürgerinnen und Bürger.

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 25. September bis 1. Oktober 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Sanktionierte Chemikalie an Russland geliefert
Belarussische und russische unabhängige Medienrecherchen haben herausgefunden, dass das Lösungsmittel N-Methyl-2-Pyrrolidon (NMP), das sowohl für friedliche als auch für militärische Zwecke verwendet werden kann, offenbar aus Spanien nach Russland geliefert wurde. Eigentlich steht es unter Sanktionen. Meduza berichtet auf Russisch.
NMP kann zur Herstellung von Giftstoffen für Granaten der Typen K-51 und RG-VO verwendet werden. Im Mai 2025 erklärte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte, dass die russische Armee im Krieg gegen die Ukraine Granaten dieser Typen sowie andere Munition mit „gefährlichen Chemikalien“ einsetzt.
Insbesondere wird es für die Herstellung von Tränengasmunition benötigt, deren Einsatz der russischen Armee vom Generalstab der ukrainischen Streitkräfte vorgeworfen wurde. Das NMP wurde von einem belarussischen Unternehmen nach Russland geliefert, das mit drei großen Geschäftsleuten in Verbindung steht, die von den US-Behörden als „Geldbeutel“ von Alexander Lukaschenko bezeichnet wurden. Die spanische Polizei hat im Zusammenhang mit der Lieferung der sanktionierten Chemikalien neun Personen festgenommen. Drei von ihnen sind Mitglieder einer Familie aus Russland: Maria Oleynikova und ihre Kinder Vyacheslav und Irina. Sie besitzen Restaurants in Barcelona, Moskau und Sankt Petersburg.
Wo russische Frauen kinderlos bleiben
Tschetschenien und Inguschetien sind die Regionen in Russland mit dem höchsten Anteil an Frauen, die 50 Jahre alt werden, ohne Kinder bekommen zu haben. Auch Unfruchtbarkeitsdiagnosen sind im Nordkaukasus häufiger als in anderen Teilen des Landes. Dennoch bleibt das Thema in diesen zutiefst traditionellen Gesellschaften tabu, und Frauen, die keine Kinder bekommen können, werden oft als „mangelhaft“ angesehen. Meduza berichtet auf Englisch.
In Familien im Kaukasus wird oft davon ausgegangen, dass eine Frau unmittelbar nach der Heirat ein Kind bekommen sollte. Wenn sie nicht schwanger wird, wird sie als „defekt“ bezeichnet. Verwandte – insbesondere Schwiegermütter – beginnen sich zu beschweren: „Vielleicht bist du krank? Geh zurück nach Hause, lass meinen Sohn eine gesunde Frau heiraten, damit er Kinder haben kann.“ Das hat verheerende Auswirkungen auf die Frauen: Sie beginnen, sich schuldig zu fühlen und sich selbst als mangelhaft zu betrachten.
Die Geschichte der betroffenen Frauen ist oft dramatisch: Bis zu ihrem 26. Lebensjahr war Lina bereits von 20 Gynäkologen behandelt worden. Ihre Schwiegermutter stimmte allem zu, was die Ärzte vorschlugen. Lina wurden Hormone verschrieben; ihr Gewicht schwankte, aber sie stieß auf kein Verständnis. Um herauszufinden, warum sie nicht schwanger werden konnte, wurde sie wiederholt operiert. Lina packte ihre Sachen und ging.
Entwurf für Haushalt in Russland genehmigt
Die russische Regierung hat einen Entwurf für den Haushalt 2026 bis 2028 genehmigt. Die vollständigen Dokumente sind noch nicht öffentlich, aber die vom Finanzministerium bekannt gegebenen Zahlen und wesentlichen Steueränderungen machen die Absichten des Kremls deutlich: Im Jahr 2026 plant er, 1,2 Billionen Rubel (14,4 Milliarden Dollar) aus der Bevölkerung zu entnehmen und in den Staatshaushalt und den Krieg zu leiten. Das geschieht zum Nachteil der normalen Bürger und der Privatwirtschaft. Meduza recherchiert, ob das ausreichen wird, um das Rekordloch im Haushalt zu stopfen (englischer Text).
Die Regierung verschärft auch die Auflagen für kleine Unternehmen. Sie senkt die Umsatzgrenze für Unternehmen, die das vereinfachte Steuersystem Russlands in Anspruch nehmen können, von 60 Millionen Rubel (etwa 720.000 US-Dollar) auf nur noch 10 Millionen Rubel (etwa 120.000 US-Dollar). Das System ist sehr beliebt: Etwa 70 Prozent der Einzelunternehmer nutzen es.
Insgesamt werden die Ausgaben für Militär und Sicherheit 38 Prozent des Haushalts 2026 ausmachen – nur geringfügig weniger als die für 2025 geplanten Rekordwerte von 41 Prozent, dem höchsten Anteil seit der Sowjetzeit.
Göttlich texten
Ende September tauchte Zosima, Russlands sogenannte orthodox-christliche Messenger-App, kurzzeitig bei Google Play auf. Die App wurde jedoch bald wieder entfernt, wahrscheinlich bis zum offiziellen Start am 30. Oktober. Einige russische Medien stellten fest, dass dieses Datum auf den Vorabend von Halloween fiel – ein Detail, welches sie als symbolisch empfanden.
Trotz der kurzen Verweildauer im Google Play Store gelang es einigen Journalisten, die App herunterzuladen und zu testen. Meduza berichtet auf Englisch.
Die App soll dazu dienen, Gläubigen zu helfen, mit ihrer örtlichen Gemeinde in Kontakt zu bleiben: Sie sollen Neuigkeiten über Kirchen in ihrer Nähe zu erhalten, Gebete erbitten können und „immer mit der Kirche und ihrem Pfarrer in Verbindung bleiben“.
Die Entwickler haben versprochen, dass Nutzer persönliche und Gruppenchats erstellen, Fotos und Videos teilen, Livestreams senden und sogar Spenden für Kirchen sammeln können. Normale Nutzerprofile erlauben bereits Freundschaftsanfragen, und laut den Entwicklern werden sie bald auch Fotos, Videos, Alben und Playlists anzeigen.
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