Meduza-Auswahl 13. – 29. Oktober: Russische Staatsbürger wider Willen
Russland zwingt die Bewohner der besetzten Gebiete in der Ukraine, die Staatsbürgerschaft anzunehmen. Wer sich widersetzt, hat etwa keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 23. bis 29. Oktober 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Nach US-Senktionen: Rezession in Russland
Die russische Wirtschaft läuft Gefahr, in eine Rezession zu stürzen. Die Preise steigen unterdessen weiter rapide an. Die Sanktionen gegen Rosneft und Lukoil, die am 23. Oktober vom US-Finanzministerium bekannt gegeben wurden, sind ein schwerer und gefährlicher Schlag.
Sie könnten eine Reihe negativer Folgen für die Wirtschaft haben: eine Schwächung des Rubels, einen Rückgang der Öl- und Gaseinnahmen des Bundeshaushalts, eine zweistellige Rezession und eine hohe Inflation. Wie jedoch die Erfahrungen nach Februar 2022 gezeigt haben, wird alles davon abhängen, wie die Sanktionen eingehalten und kontrolliert werden.
Meduza analysiert auf Russisch wie groß die Risiken sind. Und warum die Beschränkungen für den Ölexport besonders gefährlich sein könnten.
Einbürgerung auf Befehl
In einem Dekret vom März 2025 forderte Wladimir Putin die in den besetzten Gebieten lebenden Ukrainer auf, bis zum 10. September einen russischen Pass zu beantragen oder das Land zu „verlassen“. In den Wochen seit Ablauf dieser Frist ist das Leben in den besetzten Gebieten der Ukraine für diejenigen, die dieser Aufforderung nicht nachgekommen sind, erheblich schwieriger geworden.
Die Besatzungsbehörden machen es Menschen ohne russischen Pass unmöglich, einen Arzt aufzusuchen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, einen Arbeitsplatz zu finden, eine Rente zu beziehen oder humanitäre Hilfe zu erhalten. In einem neuen Bericht hat BBC News Russian Augenzeugenberichte über die Folgen der russischen Zwangspasskampagne zusammengetragen. Meduza fasst die Ergebnisse auf Englisch zusammen.
Olga, eine ehemalige Einwohnerin von Melitopol, die nun nach Europa geflohen ist, weigerte sich nach der Besetzung der Stadt im März 2022, den russischen Pass anzunehmen. Obwohl sie dadurch keinen Zugang mehr zu medizinischer Versorgung hatte. Schon als sie 2023 einen Gynäkologen aufsuchte, musste sie einen Arzt finden, der bereit war, sie heimlich zu behandeln.
Das neue Telegram heißt Telega
Seit dem 20. Oktober 2025 funktionieren die beliebten Messenger WhatsApp und Telegram in Russland nur noch eingeschränkt: Nutzer aus verschiedenen Regionen des Landes können keine Nachrichten versenden, und manchmal lassen sich die Apps gar nicht mehr öffnen. Vor diesem Hintergrund wächst die Popularität des Messengers Telega, der eine Alternative zu Telegram darstellt. Meduza berichtet auf Russisch.
Der Dienst Telega belegt den dritten Platz in der Rangliste der kostenlosen Apps im russischen App Store in der Kategorie „Soziale Netzwerke“. Das Hauptmerkmal der App besteht darin, dass sie dank eines integrierten Proxys das Chatten mit anderen Nutzern und das Anrufen dieser Nutzer ohne VPN ermöglicht. Den Bewertungen zufolge gelingt es dem Messenger tatsächlich, die in der Russischen Föderation geltenden Beschränkungen zu umgehen.
Während des Autorisierungsprozesses erhält der Messenger allerdings Zugriff auf die persönlichen Daten des Benutzers, darunter seine IP-Adresse, seine Telefonnummer, seine Sprache, die Dauer der Sitzung sowie Metadaten. Mit anderen Worten: Telega kann verfolgen, wer wann mit wem kommuniziert.
Aus „Extremisten“ macht Moskaus Jusitz nun „Terroristen“
Die Generalstaatsanwaltschaft Russlands hat beim Obersten Gerichtshof beantragt, die von Alexej Nawalny gegründete „Stiftung für Korruptionsbekämpfung“ als „terroristische Organisation“ einzustufen. Im Jahr 2019 wurde die Organisation vom Justizministerium in das Register der „ausländischen Agenten“ aufgenommen, 2021 dann als „extremistische Organisation“.
Im russischen Gesetz gibt es es einen grundlegenden Unterschied zwischen „Extremisten“ und „Terroristen“ – Meduza erklärt das System auf Russisch: Die maximale Freiheitsstrafe für einen „Terroristen“ kann bis zu 30 Jahre (bei mehreren Straftaten) oder sogar 35 Jahre (bei mehreren Verurteilungen) betragen. Darüber hinaus kann eine Person aufgrund von „terroristischen“ Straftatbeständen sogar zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt werden.
Vor allem Personen, die in direktem Zusammenhang mit der Stiftung stehen, sind nun gefährdet. Dazu gehören offenbar ehemalige und derzeitige Führungskräfte der Organisation. Eine weitere Gefahr könnte für Spender bestehen – und zwar im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Finanzierung von Terrorismus.
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