Meduza-Analyst über Wagner-Aufstand: „Prigoschin bereits besiegt worden“
Das russische Exilmedium Meduza berichtet seit Monaten über die Wagner-Söldner. Analyst Andrey Perstev erklärt, warum Prigoschin wenige Aussichten auf Erfolg hat.
Meduza war eines der ersten Medien, das über den Wagner-Aufstand am 24. Juni berichtet hat. Wir sprachen mit Andrey Pertsev, einem politischen Analysten, über die Wahrnehmung der Wagner-Söldner und deren Chef Jewgeni Prigoschin in der russischen Gesellschaft.
Waren Sie über den Wagner-Aufmarsch in Rostow am Don und in Richtung Moskau überrascht?
Ja. Prigoschin verhielt sich emotional, was untypisch für ihn ist – er ist ein umsichtiger Geschäftsmann. Emotionen führten dazu, dass der Aufstand zum ungünstigsten Zeitpunkt organisiert wurde. Er hatte wahrscheinlich eine militärische Meuterei vor.
Meduza war das erste russischsprachige Medium, das darüber berichtete: Wie haben Sie von den Ereignissen erfahren?
Die Kommunikation wird über Boten, über geheime Frequenzen und über nicht ganz offensichtliche Kommunikationskanäle aufrechterhalten.
Wie erklären Sie sich den Paradigmenwechsel bei Putin, der nicht mehr die Existenz der Wagner-Söldner leugnet?
Putin hat längst aufgehört, die Rolle Wagners zu leugnen – etwa seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Zuvor waren Prigoschins Söldner in Ländern involviert, in denen Russland versuchte, seine Beteiligung zu verbergen – weshalb Putin sie nicht anerkannte. Im Fall Ukraine entfiel diese Voraussetzung.
Kann man von einer Atmosphäre der Angst durch Prigoschin, vor allem auf der Ebene der russischen Eliten sprechen?
Es gibt keinen großen Einfluss von Wagner auf die russischen Eliten. Die Gouverneure streiten direkt mit Prigoschin – wie etwa in der Region Swerdlowsk, Jewgeni Kujwaschew. Prigoschin ist es nicht gelungen, den Gouverneur von Sankt Petersburg, Alexander Beglow, abzusetzen. Der Kern von Prigoschins politischem Projekt richtet sich eigentlich gegen die Elite. Am Anfang unterstützen ihn noch die Brüder Kowaltschuk, denn sie glaubten, so ein Projekt könnte an Putin „verkauft“ werden. Dann begann der Wagner-Chef, gegen die Elite zu agieren. Jedoch kann man definitiv nicht von großer Angst und Einflussnahme sprechen.
Sind die Wagner-Söldnertruppe und Prigoschin in der russischen Öffentlichkeit präsent?
Prigoschin ist keine Fernsehfigur in staatlichen Medien. Aber dank seiner auffälligen öffentlichen Äußerungen in populären Instant-Messengers wie Telegram wurde er unter begeisterten Kriegsbefürwortern und einem politisierten Publikum gut bekannt. Laut Umfragen liegt seine Vertrauensquote bei 4 Prozent; bei den Präsidentschaftswahlen würden 2 Prozent der Russen für ihn stimmen. Nicht viel. Prigoschins Rhetorik ist zu widersprüchlich, und sein Image zieht die einfachen Leute im Land nicht an. Exekutionen mit dem Vorschlaghammer, das ist das Bild eines Verbrechers, was vielen Russen Angst macht. Noch beängstigender sind Prigoschins Äußerungen über die Generalmobilmachung und die Verwandlung Russlands in ein Nordkorea. Wenn man die Bilder des Marschs in Rostow am Don sieht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Prigoschin von einem großen Teil der Bevölkerung unterstützt wird. Doch das ist bei Weitem nicht der Fall. Rostow hat mehr als eine Million Einwohner, auf den Bildern sind bestenfalls ein paar tausend in der Nähe von Panzern zu sehen, nur einige Dutzend mit Wagner-Fahnen. Außerdem glaube ich, dass viele der fotografierten Menschen nicht wirklich verstanden haben, was passierte. Gegen Wagner wurde auch in Rostow demonstriert, übrigens, und viel mehr wären auf die Straße gegangen, wären die Wagnerianer länger in Rostow geblieben.
Erwarten Sie einen neuen Aufstand von Prigoschin oder einen weiteren Versuch, gegen die russische Armee zu agieren?
Einige Analysten beschrieben die Ereignisse als „ein Zirkus“… Ich sehe es anders. Der Zweck des Aufstands bleibt wohl noch unklar, jedoch waren die Kosten viel zu hoch bloß für einen Zirkus. Putin hat bereits die Veruntreuung öffentlicher Gelder bei Wagner und Prigoschins Cateringfirma Concord angedeutet. Ihn erwartet also gar nichts Gutes – Prigoschin ist bereits besiegt worden.
Andrey Perstev ist russischer Journalist und arbeitet als politischer Analyst für das Exilmedium Meduza.
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