Medizinstudierende stimmen Minister um: Corona-Einsatz gilt als Praktikum
Medizinstudierende, die in Niedersachsens Kliniken mithalfen, können aufatmen: Ihr Einsatz wird nun doch als Teil der Ausbildung angerechnet.
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Mit Carlos Oltmanns, seinem Stellvertreter, ist er an diesem Tag im niedersächsischen Landtag in Hannover, bei Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU). Und als Simon und Oltmanns eine Stunde später gehen, haben sie einen Sieg errungen: „Volle Anrechnung!“, sagt Simon. „Endlich!“ Die Erleichterung ist ihm anzumerken, die Freude auch.
Vor einem Jahr hatte Thümler Medizinstudierende gebeten, sich freiwillig zum Klinikeinsatz zu melden, zur Unterstützung des Pflegepersonals in der Coronapandemie. Und sie waren gekommen: Rund 1.000 Freiwillige gab es allein für die MHH. Ihr Einsatz dauerte bis in den Juni hinein. Das Versprechen aber, ihn als studienrelevantes Praktikum anzuerkennen, wurde nie eingelöst (taz berichtete).
Das Problem: Praktika in der Vorlesungszeit sind nicht vorgesehen, nicht erlaubt. Nominell aber waren die Lehrveranstaltungen Mitte April wieder gestartet. Nur digital zwar, aber immerhin.
Hochschule und Landesprüfungsamt hätten gern geholfen, durften aber nicht. Derweil versank die Landesregierung in Uneinigkeit. „Das war ein endloses Gezerre zwischen Wissenschafts- und Gesundheitsministerium“, sagt Simon, auch er einer der freiwilligen Coronahelfer. „Aber das ist ja nun ausgestanden.“
Andreas Hammerschmidt, Marburger Bund
Das ist ein kleines Wunder. Als Lars Alt, Landtagsabgeordneter der FDP, Anfang Februar in einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung den Fall zur Sprache bringt, ist die Antwort des Wissenschaftsministeriums noch ernüchternd: Eine Änderung der Verfahrensweise komme „nicht in Betracht“. Zeiten, in denen Online-Unterricht angeboten werde, seien „keine vorlesungsfreien Zeiten, denn auch Online-Vorlesungen sind hochschulischer Unterricht, der mit sonstigen Tätigkeiten nicht kompatibel ist“.
Das ist jetzt anders. „Thümler hat sich durchgesetzt und das gekippt“, sagt Simon. „Und das nicht nur rückwirkend. Er hat uns zusagt, dass das auch für einen möglichen Einsatz während der dritten Pandemiewelle gilt.“ Die monatelangen Proteste haben sich also gelohnt. Das ist auch bitter nötig. Denn viele reguläre Praktika sind durch Corona ausgefallen und neue Studierende drängen nach.
Auch der Marburger Bund Niedersachsen hatte sich für den Asta-Kampf stark gemacht: Die Corona-Einsätze der Studierenden nicht als Praktika anzuerkennen, sei „nicht nachvollziehbar“, hatte Andreas Hammerschmidt kritisiert, einer der Vorsitzenden. „Wann, wenn nicht in einem Ernstfall wie der Corona-Pandemie, werden angehende Ärztinnen und Ärzte am dringendsten gebraucht?“
Es gelte, Ausnahmeregelungen für Niedersachsen zu schaffen. Ferner sei eine grundsätzliche Änderung der Approbationsordnung herbeizuführen. Viel zu tun also für Niedersachsens Landesregierung. Sie setze sich „im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Approbationsordnung für Ärzte dafür ein, dass die Ableistung von Famulaturen bzw. des Pflegepraktikums zukünftig auch während der Vorlesungszeit möglich ist“, hatte sie Alt vor sechs Wochen geantwortet.
Kein landespolitisches Handeln also, dafür ein Verweis auf Berlin, denn die Approbationsordnung ist Sache des Bundesgesundheitsministeriums: Am Beispiel der gegenwärtigen coronabedingten Situation zeige sich „die Notwendigkeit, auch künftig auf außerordentliche Situationen adäquat reagieren zu können“.
Thümlers Anrechnungsversprechen trägt nun dazu bei, hier erste Weichen zu stellen. Zugleich widerspricht es dem, was sein eigenes Ministerium Lars Alt geantwortet hat. So sehen Machtworte aus – oder Kapitulationen. „Bisher hat Niedersachsen die Hilfseinsätze zu bürokratisch gesehen“, sagt Simon. Nordrhein-Westfalen sei da längst weiter.
„Wir dürfen unseren Ärztenachwuchs nicht hängen lassen!“, hatte der Marburger Bund Niedersachsen gefordert. Bereitschaft zur Improvisation sei gefragt. Die ist jetzt bewiesen.
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