Medizinische Flüchtlingshilfe: Medibüro vor der Pleite
Seit 16 Jahren vermitteln Ehrenamtliche medizinische Hilfe für Illegalisierte. Jetzt geht dem Projekt das Geld aus. Staatssekretär bietet finanzielle Unterstützung an.
Das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe (Medibüro) steht kurz vor der Pleite. Zwar beraten die Ehrenamtlichen derzeit noch Menschen ohne Versicherung und Aufenthaltsstatus, denen ansonsten der Zugang zum Gesundheitssystem verwehrt bleibt. "Aber Kosten für die Behandlung können wir nicht mehr übernehmen", sagte Mitarbeiterin Dagi Knellessen am Dienstag der taz.
Wer krank ist, geht zum Arzt. Für Menschen ohne Aufenthaltsstatus und Krankenversicherung gilt diese einfache Rechnung nicht. Denn jeder Schritt ins öffentliche Gesundheitssystem ist gefolgt von der Angst vor Abschiebung und Kosten. Erst wenn gar nichts mehr geht und Krankheiten erschreckend weit fortgeschritten sind, kommen die meisten Hilfesuchenden ins Medibüro. Rund 1.000 sind es im Jahr, Statistiken gibt es nicht. Ehrenamtliche vermitteln den anonymen Zugang zu Ärzten und Krankenhäusern, finanzieren aus Spenden die Zuschüsse zu Medikamenten, Operationen, Zahnersatz, Geburten oder Schwangerschaftsabbrüchen.
"Eine solche finanzielle Notlage wie jetzt hatten wir in den ganzen 16 Jahren nicht", sagte Knellessen. Das Medibüro könne gerade noch die ausstehenden Rechnungen bezahlen, dann sei es pleite. Das Projekt verzichtet bislang aus politischen Gründen auf staatliche Unterstützung, finanziert sich ausschließlich über Spenden. Grund für die finanzielle Notlage könnte laut Knellessen die zunehmende Zahl der Hilfesuchenden sein. "Früher waren es vor allem Illegalisierte aus Afrika und Lateinamerika." Inzwischen komme gut ein Drittel aus Südosteuropa. Diese Menschen haben zwar kein Problem mit dem Aufenthaltsstatus, sind aber nicht krankenversichert. Roma zum Beispiel, die die Diskriminierung in Bulgarien oder Rumänien nach Berlin vertrieben hat.
Zwar verzichten die Ärzte im Netzwerk des Medibüros auf ihr Honorar. Aber bei nahezu jeder Behandlung fielen Material- oder Laborkosten an. "Eine Geburt kostet 2.500 Euro, das kann kein Flüchtling bezahlen", sagte Knellessen. Das Medibüro hat mit kooperierenden Krankenhäusern wesentlich günstigere Preise ausgehandelt. Doch selbst die könnten sie nicht mehr bezahlen.
"Wir haben immer auf unsere Abschaffung hingearbeitet" so Knellessen. Doch die Zeit dafür sei erst gekommen, wenn es politische Lösungen für den Zugang Illegalisierter zum Gesundheitssystem gebe. Zum Beispiel über den anonymen Krankenschein, mit dem sich Flüchtlinge bei jedem Arzt oder Krankenhaus behandeln lassen können, ohne eine Verfolgung durch die Ausländerbehörde zu fürchten.
Dafür setzt sich auch Benjamin Hoff (Linke) ein, Staatssekretär in der Senatsgesundheitsverwaltung. Seit über einem Jahr sitzt er mit den Leuten vom Medibüro am "Runden Tisch Flüchtlingsmedizin". Aber der Weg sei steinig, die Koalition habe noch zu keiner Einigung gefunden.
Am gesundheitspolitischen Sprecher der SPD scheint es nicht zu liegen. Thomas Isenberg bezeichnet sich als Verfechter des anonymen Krankenscheins, seine Partei habe sich die Verbesserung des Zugangs zum Gesundheitssystem für Flüchtlinge ins Wahlprogramm geschrieben. Allein bei den Innenpolitikern habe sich "dieses Bewusstsein noch nicht gefestigt", sagte er. Wenn der nächste Koalitionspartner nicht CDU heiße, "kommt der anonyme Krankenschein in der nächsten Legislaturperiode", verspricht der SPD-Politiker.
Bis dahin bleibe "das Medibüro für Berlin eine unverzichtbare Einrichtung", sagte Staatssekretär Hoff und bot den Ehrenamtlichen finanzielle Unterstützung aus der Gesundheitsverwaltung an. Ob das die politische Zielsetzung des Medibüros erlaube, müsse man diskutieren, hieß es von dort. Vorerst rufen Knellessen und ihre MitstreiterInnen zu mehr Spenden auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!