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Mediziner Thomas Hilbert über Reisefähigkeits-Gutachten"Mit Berufsethik unvereinbar"

Thomas Hilbert vom Bremer Gesundheitsamt zu den Versuchen der Ausländerbehörde, an seinem Amt vorbei kranke Flüchtlinge abzuschieben.

Abheben und weg - einen Arzt, der die Reisefähigkeit bescheinigt, finden die Bremer Behörden fast immer irgendwo Bild: DPA
Christian Jakob
Interview von Christian Jakob

taz: Herr Hilbert, schreiben Ihre Ärzte Gefälligkeitsgutachten für Flüchtlinge?

Thomas Hilbert: Wir begutachten ausschließlich nach weithin anerkannten, rein fachlichen Grundsätzen. Das gilt nicht nur für die Frage der Reisefähigkeit von Abzuschiebenden, sondern für alle medizinischen Gutachten, die von unseren Ärztinnen und Ärzten erstellt werden. Dabei lassen wir uns weder durch Auftraggeber noch von Patienten beeinflussen. Darauf lassen wir uns gar nicht ein.

Ist es mit diesen fachlichen Grundsätzen vereinbar, wenn ein Abzuschiebender unmittelbar vor seiner Abreise am Flughafen von einer Ärztin untersucht wird, die ihn vorher noch nie gesehen hat?

Ich habe von diesen Fällen gelesen und war tief erschrocken, dass Ärzte sich hierfür angedient und zur Verfügung gestellt haben.

Ist so ein Verhalten denn berufsrechtlich statthaft?

Meine persönliche Meinung dazu deckt sich mit der der Ärztekammern: Mit der Berufsethik ist das nicht zu vereinbaren.

Wollte die Bremer Ausländerbehörde deshalb an Ihnen vorbei kranke Asylbewerber von Ärzten unter solchen Bedingungen untersuchen lassen, um sie abschieben zu können?

Die Innenbehörde und Senator Mäurer haben immer betont, dass sie sich an unsere Gutachten halten und ich glaube, dass dies auch gilt…

Thomas Hilbert, 61

leitet beim Bremer Gesundheitsamt den sozialmedizinischen Dienst. Er ist für die medizinische Begutachtung von Abzuschiebenden zuständig.

Zumal die Innenbehörde erst im April einen entsprechenden Erlass verfügt hat. Trotzdem sah die Praxis zuletzt anders aus.

Tatsächlich hat sich in den letzten Wochen angedeutet, dass hier verschiedentlich Fehler passiert sind.

Ihre ehemalige Kollegin Zarah Mohammadzadeh, die nun in der Bremischen Bürgerschaft Migrationspolitik für die Grünen macht, hält diese Praktiken für Nachwirkungen der restriktiven Linie aus den Jahren der CDU-Regierungsbeteiligung. Diese wirke in der Ausländerbehörde noch immer fort.

Aus dieser Frage halte ich mich raus.

Weshalb?

Wir und die Ausländerbehörde haben unterschiedliche Rollen. Das muss das Innenressort mit der Ausländerbehörde im Stadtamt klären.

Die Debatte ist nicht neu. Die Ausländerbehörde versucht ja schon seit Jahren, ihre Behörde zu umgehen.

Vor Jahren hatte die CDU schon einmal versucht, uns die Zuständigkeit für Reisefähigkeitsgutachten zu entziehen. Allerdings gab es damals sehr viele Fälle von Geduldeten, die geltend machten, aus medizinischen Gründen nicht abgeschoben werden zu können.

Ist das jetzt nicht mehr der Fall?

Seitdem ist Zahl der Asylbewerber stark zurückgegangen.

Wie viele Flüchtlinge begutachten Sie derzeit?

Anfang des Jahrzehnts waren es um die 200 pro Jahr, die meisten mit psychischen Krankheiten. Das ist so geblieben, nur dass es jetzt nur noch 50 bis 60 pro Jahr sind.

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