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Medienkonzentration in der TürkeiDie Schere im Kopf

Die türkische Zeitung „Hürriyet“ wurde an einen regierungsnahen Konzern verkauft. Wie wirkt sich das auf die Arbeit der Journalisten und publizistisch aus?

„Ein neues System“ – in der Türkei und in der „Hürriyet“ Foto: dpa

Am Nachmittag der Entscheidung sind alle Klapptische der Kantine vor dem Gebäude der Doğan-Medien-Gruppe im Istanbuler Stadtteil Bağcılar voll. Die Journalist*innen, die unter dem Dach von Doğan bei der Tageszeitung Hürriyet arbeiten, rauchen und schlürfen mit besorgten Mienen ihren Kaffee. Die Menge auf dem Platz ist laut, geredet wird aber nur über ein Thema: den Verkauf der Zeitungen und Fernsehsender der Doğan-Gruppe an die regierungsnahe Demirören-Holding, der an diesem Tag im März beschlossene Sache ist. Auf die meisten Fragen gibt es keine klaren Antworten. Plötzlich sind jahrelang gemunkelte Gerüchte wahr geworden.

Mit der Übernahme durch Demirören bekam die Regierung mit der Hürriyet auch das letzte bis dahin nicht von ihr kontrollierte Mainstreamblatt in die Hand. Mit einer Auflage von 280.000 stand Hürriyet laut dem Medienportal MedyaTava auf Platz drei der meistverkauften Zeitungen in der Türkei. Demirören investiert als Mischkonzern vorrangig im Bausektor und in der Industrie. Bereits 2011 hatte sich der Demirören-Konzern die eher liberale Zeitung Milliyet einverleibt. Milliyet und Hürriyet gehörten ehemals zu den auflagenstärksten Zeitungen des Landes – sie erreichten schichtübergreifend ein Publikum aus allen politischen Lagern. Die Frage ist, wie viele der Leser*innen der Hürriyet nach der Übernahme noch die Treue halten.

Erdoğan Demirören, den Gründer und Vorstandsvorsitzenden der gleichnamigen Holding, der im Juni starb, kennen in der Türkei viele Menschen von einem mitgeschnittenen Telefonat mit Recep Tayyip Erdoğan von 2014. Auf dem Mitschnitt, der an die Öffentlichkeit gelangte, ist zuerst zu hören, wie Demirören den damaligen Premier fragt: „Habe ich dich traurig gemacht, Patron?“ Dann Erdoğan, der Demirören wegen einer Meldung in der zu seinem Konzern gehörenden Milliyet wütend herunterputzt. Am Ende schluchzt der Holdingchef ins Telefon: „Wie bin ich da bloß hineingeraten?“ Das Telefonat zeigt, in welchem Verhältnis die neuen Besitzer der Hürriyet zur Regierung stehen.

Warten auf den Feierabend

Bei den Hürriyet-Redakteur*innen ist die Stimmung im Konzerngebäude in Bağcılar seit der Übernahme gedrückt. Viele von ihnen sind zwar bereit zu reden, aber nur unter der Bedingung, dass ihre echten Namen nicht veröffentlicht werden. Sie haben Angst, dass der Druck auf die Mitarbeiter erhöht wird, wenn herauskommt, dass sie sich auch mit externen Kolleg*innen unterhalten und mit Kritik nicht hinterm Berg halten. Deshalb sind die Namen der Hürriyet-Redakteur*innen in diesem Artikel geändert.

Die langjährige Hürriyet-Redakteurin Ayşegül Kaya* zeigt sich entmutigt. Viele Redaktionsmitglieder fühlten sich dazu verurteilt, mit Demirören zu arbeiten, erzählt sie. „Als ich vom Verkauf gehört habe, dachte ich als erstes: Hoffentlich bietet die Doğan-Familie allen, die nicht für die neuen Besitzer arbeiten wollen, eine Alternative an. Doch nichts dergleichen.“ Viele fühlten sich wie Inventar, das mitsamt dem Kaufhaus verkauft wurde, sagt Kaya. In der Redaktion sei die erste und vielleicht wichtigste Veränderung durch die Übernahme der Einbruch der Motivation gewesen. Kaya sagt, wegen der Ungewissheit mache sich Resignation breit.

Der erfahrene Redakteur Serkan Taş* leidet unter dem Gefühl, es sei doch alles egal. Jeder warte nur noch auf den Feierabend und wolle nach Hause, erzählt er. Sie fühlten sich wie Beamten in einem Nine-to-five-Job. Taş arbeitet zwar weiter, sagt aber, er schaue manchmal während der Arbeitszeit Serien oder spiele am PC. „Ich denke, es hat doch alles keinen Sinn mehr, egal, was ich tue. Wer nicht Zeitungen wie Evrensel oder BirGün kauft, hat keine Chance mehr, Fakten zu erfahren.“

Tabuthemen und Selbstzensur

Nach dem Verkauf von Doğan an den Demirören-Konzern gab es zahlreiche Entlassungen bei den TV-Sendern der Gruppe, bei der Zeitung dagegen blieb das bislang aus. Doch der Druck steigt. Die Hürriyet-Journalist*innen konnten zwar auch vor der Übernahme nicht alles schreiben, was sie wollten. Unter Demirören sehen sie sich aber gezwungen, noch stärker auf der Hut zu sein. Überschriften, die Serkan Taş setzt, werden auf jeden Fall geändert. Immer wieder gibt es auch inhaltliche Änderungen gegen seinen Willen, bevor nachts gedruckt wird. Taş sagt, er verlange dann, dass sein Name entfernt wird. „Aber unsere jüngeren Kolleg*innen haben die Schere schon im Kopf. Sie denken, dieses und jenes kommt sowieso nicht durch, und schreiben die Meldung erst gar nicht.“

Im Gespräch über die Publikationspolitik nach der Übernahme sagt Ayşegül Kaya, es habe ein, zwei Vorfälle gegeben, dann sei klar gewesen, dass manche Themen tabu seien. „Ich habe das derart verinnerlicht, dass mir manchmal gar nicht mehr auffällt, wie ich mich selbst zensiere“ sagt sie.

Das macht sich in der Berichterstattung der Hürriyet bemerkbar. Wer die Zeitung nicht oft aufschlägt, dem mag der Unterschied nicht auffallen. Für die Leser*innen, die die Medienkonzentration in der Türkei auch an der Tonalität ihrer Zeitung bemerken, zeigt sich an einer kleinen Meldung auf der Titelseite, dass die Art und Weise, wie man über die Regierungsmitglieder berichtet, eine sehr wohlwollende ist.

Am 9. Juli erscheint der scheidende Ministerpräsident Binali Yıldırım in dieser Meldung als Lebensretter und väterlicher Freund für einen jungen Menschen, den er am Sprung von einer Brücke in Istanbul hindert. Im Innenteil des Blattes umrahmt diese Nachricht einen größeren Text zum politischen Systemwechsel im Land. „Der letzte Ministerpräsident rettete den Suizidgefährdeten von der Brücke“ ist die Heldentat des Ministerpräsidenten betitelt. Dass er mit der Amtseinführung des Präsidenten am 9. Juli arbeitslos wird, wird nicht erwähnt.

Eine Anzeige als Todesdrohung

Spätestens seit der Übernahme der Hürriyet ist die schmeichelnde Berichterstattung über die Regierungspartei um den Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seine Regierungsmitglieder eine unsichtbare Blattlinie der Redaktion. Wer sich nicht an die unausgesprochene Richtlinie hält und versucht, weiterhin kritisch zu berichten, kann schnell zur Zielscheibe werden.

Am 26. Juni, also zwei Tage nach den Wahlen und nicht lange nach der Hürriyet-Übernahme, schaltete der Vorsitzende der rechtsextremen MHP, Devlet Bahçeli eine ganzseitige Anzeige in der Hürriyet. Die MHP war mit der AKP eine Koalition eingegangen, die der Regierungspartei eine absolute Mehrheit sicherte, die sie allein nicht mehr zustande gebracht hatte. In der Anzeige bezichtigte Bahçeli Dutzende namentlich genannte Journalist*innen, auch von Hürriyet, Akademiker*innen und Chefs von Umfrageinstituten, die MHP „beseitigen zu wollen“.

In einem Land, in dem Journalistenmorde durch rechte politische Kräfte in den vergangenen Jahrzehnten noch sehr präsent sind, kam diese Anzeige einer Todesdrohung gleich. Auch bekannte und renommierte Journalisten wie Kadri Gürsel standen in dieser seltsamen Anzeige, die die Hürriyet-Anzeigenabteilung umstandslos abdruckte.

Ein leitender Mitarbeiter der Hürriyet glaubt, dass diese Anzeige in derselben Form auch schon vor dem Verkauf an die Demirören-Holding gedruckt worden wäre. „Wenn es ums Geld geht, haben die nicht mal Skrupel, eine Anzeige zu drucken, die sich gegen ihre eigenen Mitarbeiter*innen richtet. Das war bei Doğan so, das ist bei Demirören so“, weicht er den Fragen nach der Angst der Mitarbeitenden nach dem Erscheinen dieser Anzeige aus. Die Hürriyet-Journalisten, deren Namen in der Anzeige abgedruckt wurden, wollen sich nicht dazu äußern.

Die Wahrheit zwischen den Zeilen

Am Abend der Übernahme im März sitzen die Doğan-Mitarbeiter*innen in der Bar im Zeitungsgebäude in Bağcılar, an den Wänden hängen politische Karikaturen und Bilder. Die Sorge, die nachmittags vor der Kantine herrschte, ist in die schummrige Atmosphäre der Bar umgezogen. Draußen war es laut, hier drinnen ist es stiller. Einige malen sich besorgt aus, was sich im Land durch die Übernahme der Doğan-Gruppe verändern wird, wie es für sie im Berufs- und Privatleben weitergeht. Ob sie nun ihre Jobs verlieren oder nicht, sie fürchten, ihr Drink heute Abend könnte der letzte in dieser Bar sein.

Hier schauten viele Mitarbeiter*innen gern mit Kolleg*innen vorbei, bevor sie sich auf den Heimweg machten, hier plauderte man angeregt. Noch ist ungewiss, ob die Bar die stürmischen Zeiten, die Land und Zeitung durchmachen, übersteht. Das Schicksal der Bar liegt ebenso wie das der Zeitungsmitarbeiter*innen in den Händen der neuen Eigentümer. Wie die Regierung und das von ihr eingesetzte Personal über Spirituosen denkt, ist bekannt.

Serkan Taş ist sich nicht sicher, ob er wirklich traurig wäre, wenn er gefeuert wird. Wie alle anderen hat auch er berechnen lassen, wie hoch die Abfindung bei Entlassung wäre. Ihn beunruhigt allerdings, dass er durch jemanden mit größerer Nähe zur Regierung ersetzt werden könnte. „Zumindest schreibe ich in den Meldungen, die ich noch bringen kann, das, was für mich Fakten sind. Es steht nicht in den Überschriften und auf Seite eins, aber wer meine Meldungen liest, erfährt die Wahrheit.“

* Namen von der Redaktion geändert

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

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