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Medienfreiheit in Litauen„Finger weg von der Meinungsfreiheit!“

Über 10.000 Menschen demonstrieren in Vilnius gegen ein Gesetz der Regierung, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk LRT an die Kandare nehmen will.

„Es fühlt sich schon so an, als würden wir anfangen, in einem Land zu leben, das uns nicht mehr gehört“ Foto: Mindaugas Kulbis/ap

Aus Berlin

Barbara Oertel

In der litauischen Hauptstadt Vilnius sind am Dienstag laut Polizeiangaben rund 10.000 Menschen auf die Straße gegangen, um gegen geplante Änderungen des Gesetzes über den litauischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk (LRT) zu demonstrieren.

Die Teil­neh­me­r*in­nen des Protestzuges hielten Plakate in den Händen mit Aufschriften wie „Finger weg von der Meinungsfreiheit!“ und „Für die Freiheit des Wortes und der Medien!“ Organisiert hatten die Kundgebung der litauische Journalistenverband und der Bund von Kulturschaffenden.

Es sei sehr beunruhigend, mitzuerleben, was derzeit vor sich gehe, zitiert das Nachrichtenportal des öffentlich-rechtlichen estnischen Rundfunks ERR eine 47-jährige Managerin aus Klaipėda, die am Dienstag ebenfalls an den Protesten teilnahm. „Es fühlt sich schon so an, als würden wir anfangen, in einem Land zu leben, das uns nicht mehr gehört.“

Grund für den Unmut ist die Einführung zweier neuer Vorschriften, die die Finanzierung des LRT sowie die Abberufung des Generaldirektors bzw. der Generaldirektorin regeln. Die Initiative geht auf die rechtspopulistische Partei Nemuno aušra (NA) zurück, die seit November 2024 als Juniorpartner mit in der Regierung sitzt.

Budget wird eingefroren

So soll das Jahresbudget des LRT für 2026, 2027 und 2028 bei 79,6 Millionen Euro eingefroren werden. Wäre der bislang praktizierte Mechanismus zum Einsatz gekommen, hätte das Budget für das kommende Jahr um 11 Prozent steigen müssen. Laut LRT sei diese Entscheidung getroffen worden, ohne das Management des öffentlich-rechtlichen Rundfunds vorab zu konsultieren.

Zudem soll die Generaldirektorin abgesetzt werden können, wenn sechs Mitglieder des LRT-Aufsichtsrats dem zustimmen. Das Gremium besteht aus 12 Mitgliedern. Vier ernennt der Präsident, vier das Parlament (je zur Hälfte Abgeordnete der Regierungskoalition und der Opposition), vier ernennen zivilgesellschaftliche Organisationen. Bislang brauchte es acht Stimmen, um die Leitung zu entlassen.

Die an dem Protest teilnehmenden Jour­na­lis­t*in­nen vertreten die Auffassung, dass diese Neuerung gegen die litauische Verfassung und europäisches Recht verstößt. Zudem würden dadurch Voraussetzungen geschaffen, um politischen Einfluss auf die Arbeit der LRT-Redaktion zu nehmen.

Aus diesem Grund fordern sie die Regierung auf, den Vorschlag zur Änderung des Entlassungsverfahrens zurückzuziehen und über eine Entpolitisierung des LRT-Vorstandes zu diskutieren. An diesem Prozess sollten auch Jour­na­lis­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen sowie Medien- und Rechts­ex­per­t*in­nen beteiligt werden.

Mehr als 100.000 Unterschriften

„Wir werden nicht schweigen, wie es die Po­li­ti­ke­r*in­nen tun, die glauben, die Lage werde sich beruhigen. Nein. Wir werden nicht ruhig bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind“, sagte die Investigativjournalistin und Vorsitzende des Journalistenverbandes, Birutė Davidonytė, am Dienstag.

Ihren Angaben zufolge hätten in den vergangenen Tagen mehr als 100.000 Personen eine Petition zur Unterstützung des LRT unterschrieben. Der Protest könnte Früchte tragen. Juozas Olekas, Sozialdemokrat und Präsident des litauischen Parlaments (Seimas), kündigte an, dass eine neue Fassung des Gesetzentwurfs zum LRT zeitnah ins Parlament eingebracht werde.

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