Medien in Polen: „Je schwachsinniger, desto besser“
Polnische Medien schaufeln sich mit unglaubwürdigen Geschichten ihr eigenes Grab. Einige Tageszeitungen verloren ein Viertel ihrer Leserschaft.
WARSCHAU taz | Frei erfundene Nachrichten, manipulierte Interviews und brisante Informationen aus angeblich erster Hand – das ist der Stoff, aus dem sich die Polen Tag für Tag ein Bild der Realität machen sollen. Die Sensationsgeschichte „TNT auf dem Wrack der Tupolew“ auf der Titelseite der rechtsnationalen Tageszeitung Rzeczpospolita war jedoch etwas zu grob gestrickt.
Zwar schaffte es Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der rechtsnationalen Partei „Recht und Gerechtigkeit“, die Polen mit markigen Zitaten weiter aufzuhetzen: „Wir haben es hier mit einem unerhörten Verbrechen zu tun! Es wurden 96 Bürger der Republik Polen ermordet!“ Doch schon Stunden später war klar: Auch diese explosive Story über einen angeblichen russischen Anschlag auf Polens Präsidenten war frei erfunden.
Anders als bei dem sonst üblichen Unsinn in zumeist rechten Zeitungen Polens, mussten diesmal der Autor des Artikels, Cezary Gmyz, der Chefredakteur Tomasz Wróblewska sowie zwei weitere verantwortliche Redakteure den Hut nehmen.
Zuvor war die Flugzeugkatastrophe, bei der im April 2010 Polens Präsident, die gesamte Militärführung und ein Teil der polnischen Funktionselite ums Leben gekommen waren, von Politikern und Journalisten bereits auf „künstlichen Nebel“ und „unsichtbare elektromagnetische Strahlung“ zurückgeführt worden. Die These von einem Anschlag ist also nicht neu. Inzwischen, zweieinhalb Jahre nach dem Unfall, glauben 30 Prozent aller Polen an ein Attentat. Dass der Unfallhergang von einer russischen und einer polnischen Kommission rekonstruiert wurde, rückt dabei mehr und mehr in den Hintergrund.
Unglaubwürdige Medien
„Das ist nur die Spitze des Eisbergs“, urteilt Jacek Zakowski, einer der angesehensten Journalisten Polens, über den dramatischen Niedergang des polnischen Journalismus in den letzten Jahren. Denn selbst wenn man Gmyz als übereifrigen Journalisten und die der rechtsnationalen Partei Kaczynskis nahestehende Rzeczpospolita abziehen würde, bliebe keine glaubwürdige Medienlandschaft übrig.
Symptomatisch sei, so Zakowski in der linksliberalen Gazeta Wyborcza, dass der Verband der polnischen Journalisten die entlassenen Redakteure gegen die „Repressionen der Verleger“ verteidigen würde, ohne die begangenen Fehler auch nur mit einem Wort zu benennen. Der ehemalige Starreporter der Gazeta Wyborcza, Wojciech Jagielski, hält es nicht mehr aus, dass Journalisten immer öfter Politiker nach der Maßgabe interviewten: „Je schwachsinniger, desto besser“.
Für Zakowski und Jagielski steht fest: Nicht nur in Polen, auch in den anderen Ländern habe das Infotainment die Glaubwürdigkeit der Medien zerstört. Doch in Polen bestrafen das die Leser besonders hart: Die Auflagen aller wichtigen Zeitungen in Polen brachen ein, die Quoten früher wichtiger Informationssendungen stürzten in den Keller. Die größten Verluste musste in den vergangenen zwölf Monaten der Verlag Presspublica mit seinen Zeitungen Rzeczpospolita (minus 25,24 Prozent) und Gazeta Giedy Parkiet (minus 20,81 Prozent) hinnehmen.
Begonnen hat der Niedergang der polnischen Mieden mit Managern, die nur noch eins im Sinn hatten: Kostenminimierung. So wurden erfahrene Journalisten gefeuert, junge, schlecht ausgebildete, aber billige Journalisten eingestellt, die Recherche auf ein Minimum beschränkt, das Archiv weitgehend abgeschafft, der Kommentar zur Königsdisziplin erklärt. Die „TNT-Affäre“ in Polen zeige, so Zakowski, dass guter Journalismus nicht zum Billigtarif zu bekommen sei. Doch solange die Medienmanager nicht wieder mehr in Qualität investierten, sei keine Änderung in Sicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland