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Meakusma-Festival in BelgienBatterien aufladen mit Hirschen

Im Spannungsbereich von Dancefloor, Elektronik, Klangkunst und Landschaft: das Meakusma Festival im belgischen Eupen.

Natur meets Bass: Tänzerinnen und Tänzer am Samstag in Eupen Foto: Beata Szparagowska

Ein Waldgebiet in den Ardennen, es dämmert. Die Sonne versinkt hinterm Horizont, bis der Himmel in Nachtschwarz getaucht ist. Über morsche Zweige, vorbei an Gestrüpp, Farnen und nach dem Sprung über einen Bewässerungsgraben geht es ins Unterholz. Unterwegs begegnen wir kleinen Grüppchen, eine Taschenlampe durchschneidet den Wald. Irgendwo muss es sein! Nein, wir suchen keine Location für einen illegalen Rave, wir suchen nach Damwild. Die Euphorie bei der Suche ist die Gleiche.

Von links hinten ist ein Röhren zu vernehmen, erst schwach, dann deutlicher, ein gutturaler, dunkler Klang. Das brünftige „ÄÄÄGGG“ flößt Respekt ein, schon weil die Bäume den Sound durch ihren Schalltrichter verstärken. Näher ran geht nicht, ein Schlagbaum verstellt den Weg: „Ruhezone! Bitte gönnen Sie dem Wild die Brunftzeit.“ Jetzt röhrt einer von rechts. „WÖÖÖGGG.“ Allmählich entsteht eine Brüllspirale, denn von links kontert ein Hirsch mit „ÜÜÜGGG“, ein satter Rülpslaut, mal klingt er nach Grunzen, dann bellt er.

Der Wildhüter, der uns geführt hat, lächelt zufrieden. Hohe Venn heißt das ihm anvertraute Waldgebiet. Auf mehr als 4.000 Hektar erstreckt es sich nahe der deutsch-belgischen Grenze, ein Hochmoor mit Erhebungen bis auf 700 Meter. Der Wind pfeift hier durchaus gebirgig. Die Hohe Venn ist die erste Erhebung nach Nordsee und Flachland.

„Röhren Hören“ ist Programmteil des Festivals Meakusma, das zum ersten Mal in der nahe gelegenen belgischen Stadt Eupen im Gelände um den Alten Schlachthof stattfindet. In der Gegend lebt ein Teil der deutschen Minderheit des Landes. „Die wechselvolle Geschichte hat viele, teils abenteuerliche Spuren hinterlassen, was sich auch bei den Menschen bemerkbar macht. Wir Belgier haben generell ein Identitätsproblem, was aber nicht unbedingt problematisch ist, wir nehmen es als Chance zur Vielfalt wahr“, erklärt Michael Kreitz, der Meakusma zusammen mit Christophe Hoyon im Jahr 2004 als Kulturinitiative begonnen hat.

Randständig, aber bestens vernetzt

Sie begannen mit Konzerten und Clubnächten und veröffentlichten 2008 die erste Platte bei dem gleichnamigen Label. Seither sind Dutzende weitere erschienen, die den exzellenten Ruf von Meakusma als randständige, aber bestens vernetzte Plattform für elektronische Musik untermauern. „Wir sind stets in Belgien ausgegangen und haben uns in Deutschland über Musik informiert.“ In einer Zeit, wo Identitäres allerorten regiert, tut dieses Fluide besonders gut.

Zu dritt mit David Langela haben sie nun das dreitägige Meakusma-Festival ins Leben gerufen, im Spannungsfeld von Clubkultur, Klangkunst und experimenteller Elektronik.

Körper gehen beim Outdoorraven eine Osmose mit der Natur ein, schrieb Jean-Yves Leloup

Wer sich fragt, was das europäische Projekt in kultureller Praxis bedeutet, findet in Meakusma sofort eine Folie für Völkerverständigung und grenzübergreifenden Austausch von Sounds und Ideen. Anders als die Hirsche, kommen die eingeladenen KünstleInnen etwa aus Italien, Portugal, England. Zur logistischen Unterstützung hat auch das Brüsseler Goethe-Institut beigetragen.

Was elektronische Musik anbelangt, hat Belgien eine lange Tradition. Bereits in den Achtzigern entstand hier Electronic Body Music (EBM), eine Frühform von Techno, in den Neunzigern schossen Labels wie R & S wie Pilze aus dem Boden. Sie haben Künstler aus den USA ebenso veröffentlicht wie Eigengewächse.

Soundsystem auf der Wiese

Das Bestreben, Raves, größere Partys, abseits der Metropolen zu veranstalten, gibt es schon lange, Out-of-the-Body-Erfahrungen sind dabei inklusive. Körper gehen beim Outdoor-Raven eine Osmose mit der Natur ein, hat der französische Kulturkritiker Jean-Yves Leloup in seinem Buch „Digital Magma“ formuliert. Beim Meakusma Festival wurde das auf ungezwungene Weise eingelöst. Auch, weil das Wetter mitgespielt hat und das eigens aus Berlin angefahrene „Killasan“-Soundsystem auf einer Wiese neben dem Gelände installiert wurde.

Am Samstagnachmittag legt der Berliner DJ und Produzent Mark Ernestus zusammen mit Mark Ainley aus London Dubreggae auf, der Funke springt sofort über. Angenehmer Wind schiebt die Bässe an, sie wandern aus den vier riesigen Bassboxen einmal durch die umliegenden Bäume und lassen sich auf der Wiese vor den Boxen nieder.

Jeder Rimshot sitzt, jeder Grashalm wird Teil des Flows. Erst zaghaft, dann mit mehr Dedication beginnen die Anwesenden zu tanzen. Schwaden vom Raclettestand, der seine Zutaten aus dem angegliederten Biogarten bezieht, tun ein Übriges. „Das Einbeziehen der Natur ist für uns selbstverständlich. Wir nutzen sie, um die Batterien aufzuladen. Da war es naheliegend, Musik und Umgebung zu verbinden“, erklärt Kreitz.

Erstaunlich, wie sich diese Engführung auch bei den Konzerten in den Hallen fortsetzt. Beim Auftritt der beiden Kölner Musiker Hans W. Koch und Dirk Specht, die ihre Synthesizer und Sequenzer in der Mitte des Raumes platzieren, spendet ein kleiner Tageslichtstrahl Helligkeit im ansonsten dunklen Raum. Die Staubkörner beginnen zu tanzen, dagegen wirkte die strenge Modularsynthese des Duos, sein monolithischer Klangblock wuchtig, fast reglos.

Grenzerfahrung mit Martinshörnern

Zur Grenzerfahrung wird der Auftritt von Markus Schmickler, verschanzt hinter seinem Laptop schraubt er die Lautstärke bis zum Anschlag. Mit den Klangwelten von Martinshörnern und Alarmanlagen spielt Schmickler, wendet diese ohnehin unangenehm konnotierten Sounds so weit in den roten Bereich der Übersteuerung, bis eine Sinfonie des Grauens entsteht.

Zwischendurch bekommen die Ohren Wellness verordnet, etwa bei dem Konzert „Piero Umiliani Today“. Fünf Musiker aus Mailand widmen sich dem italienischen Filmkomponisten Piero Umiliani (1926–2001) und führen teils perkussiv psychedelische, teils auch barock anmutende Ausschnitte seiner Werke auf.

Im Raum nebenan steigt wenig später der mit Spannung erwartete Auftritt eines Headliners: Babyfather, neues Projekt des Londoner Künstlers Dean Blunt. Er selbst ist allerdings gar nicht anwesend, stattdessen spielt sein DJ Escrow, während die Bühne hinter Trockeneisnebel verschwindet. Als wäre er auf Livesendung in einem Piratenradio, droppt DJ Escrow prägnante Sequenzen seiner Tracks und sagt seine Musik atemlos an, wie ein Moderator die Aktienkurse in Börsensendungen. „Sexy Money“ ist einer diese Breakbeats-Cuts betitelt. Escrow wiederholt endlos das Adjektiv „easy“. Daraus spricht das anstrengende Durchlavieren in der Finanzmetropole London.

Durchschnaufen ist wichtig. Dabei hilft der „selfperformative Audioguide“, den man am Eingang des Alten Schlachthofs ausgehändigt bekommt: Der Brüsseler David Helbich hat eine 60-minütige Tonspur kreiert, der man beim Spazieren über Straßen und Felder in und um Eupen zuhört. Interaktiv trommelt man dazu auf eiserne Brückengeländer, streichelt bemooste Hauswände und stapft durch Stoppelwiesen. Die Natur meint es diesmal gut.

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