McLaren-Report zu Doping im Sport: Russen wollen es nicht gewesen sein
Von „Nichts dran“ bis „Alle Russen sperren“: Die Reaktionen auf den Bericht der Kommission könnten unterschiedlicher nicht sein.
Selten hat ein Bericht eine derartige Spreizung von Interpretationen und Handlungsaufforderungen ausgelöst wie der zweite Bericht der McLaren-Kommission zum Dopingvertuschungssystem in Russland. Von „Nichts dran“ bis „Alle Russen sperren, und zwar sofort“ reichte die Palette.
Das „Nichts dran“ kam natürlich aus Russland selbst. Dmitri Swischtschew, der im Sommer noch als Ausschussvorsitzender für Sport des russischen Parlaments die Auflösung der eigenen Fußballnationalmannschaft nach dem blamablen EM-Auftritt gefordert hatte, ließ sich jetzt zu der Aussage hinreißen: „Da ist nichts Neues dran, nur gegenstandslose Beschuldigungen gegen uns alle. Wenn du Russe bist, wirst du für jede einzelne Sünde angeklagt.“
Nun ja. Richard McLaren, ein seriöser Anwalt, der schon 2007 federführend am Mitchell-Report über Steroid-Missbrauch im US-Baseball beteiligt war, ließ gleich eine ganze Datenbank mit Belegen und Beweisen über institutionell gesteuertes Beseitigen positiver Dopingproben ins Netz stellen. Sogar vom IOC, eine lange Zeit in Dopingfragen nicht sehr erkenntnisfreudige Institution, bekam er Dank. Das IOC verpflichtete sich auch, alle 254 Urinproben russischer Athleten von den Winterspielen 2014 in Sotschi untersuchen zu lassen. Warum das noch nicht im Rahmen der McLaren-Ermittlung selbst geschah, ließ das IOC offen.
Immerhin will das oberste Sportgremium mit zwei eigenen Kommissionen nun weiter ermitteln. Die eine Kommission, angeführt vom ehemaligen Schweizer Bundesratspräsidenten Samuel Schmid, soll die institutionellen Verstrickungen beim Doping-Vertuschen in Russland weiter aufdecken. Die zweite, präsidiert von Denis Oswald, dem einstigen Gegenkandidaten Thomas Bachs bei den Präsidentschaftswahlen zum IOC, soll die Proben russischer Sportler reanalysieren und damit die Basis für weitere Disziplinarverfahren schaffen.
Viele russische Athleten betroffen
In den bisherigen Nachtests wurden bereits 17 russische Olympiastarter aus Peking 2008 und London 2012 als Doper überführt. 19 positive Fälle aus London sind noch in der Pipeline; hier können aber auch Sportler anderer Nationen betroffen sein. Bei 12 russischen Medaillengewinnern von Sotschi 2014 hat die McLaren-Kommission bereits mechanische Manipulationen an den Röhrchen festgestellt.
Über 1.000 Athleten insgesamt sollen vom Dopingvertuschungsprogramm profitiert haben. Das war die Kernaussage des zweiten McLaren-Berichts. Sie führte zu empörten Reaktionen – die teils auch komischen Charakter hatten. Michael Vesper etwa, Chef des DOSB, der sich in den letzten Jahren vor allem mit seiner Bremserrolle in Sachen Aufklärung von Dopingpraktiken in der alten Bundesrepublik und des wiedervereinigten Deutschlands einen unrühmlichen Namen gemacht hatte, fabulierte von einem „Angriff auf die Integrität des Weltsports“. Das ist es natürlich. Hätte Vesper aber im eigenen Verantwortungsbereich mehr Aufklärungselan an den Tag gelegt, hätten seine Worte jetzt mehr Gewicht.
Medial häuften sich die Stimmen nach einem sofortigen Ausschluss aller russischen Athleten von allen internationalen Wettbewerben. Juristisch sauber durchsetzen können das in einem Nicht-Olympia-Jahr aber nur die einzelnen Weltverbände. Dazu sollten die Judoka, die Biathleten, die Bobfahrer, Turner, Schlittschuhläufer, Ruderer, Radsportler, Gewichtheber schleunigst das von McLaren zutage geförderte Material mit Blick auf den eigenen Sport sichten. Angesichts des von McLaren angemerkten hohen Dunkelziffer-Potenzials sollte ein Fall pro Sportart für einen Komplettausschluss schon reichen.
Dass McLaren die Namen der Dopingprofiteure in seinem Beweismaterial schwärzen ließ und nicht einmal eine Statistik pro jeweils betroffene Sportart erstellt hat, lässt allerdings den einzelnen Verbänden freie Hand, konsequenter oder auch weniger konsequent zu ermitteln. Hier tut Druck not, auch vonseiten der Sportler, die sich durch gedopte Konkurrenten im Nachteil sehen.
Übrigens auch von Fußballern. Schon mit ganz einfacher Suchabfrage stößt man in den McLaren-Dokumenten auf je einen Fall aus der russischen Premjer-Liga in den Jahren 2014 und 2015 sowie mehrere Fälle der russischen U17-Auswahl. Das sollte für die Fifa genug Ansporn sein, sich schleunigst um einen alternativen Ausrichter für die WM 2018 zu bemühen. Stadien und Trainingsplätze mit Vakanzen im Sommer gibt es genug auf der Welt.
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