piwik no script img

Matteo Salvini in Italien vor GerichtErhobenen Hauptes

Der frühere Innenminister muss sich wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch verantworten. Er hatte Boote mit Geflüchteten abgewiesen.

Sechs Tage lang saß das Rettungsschiff „Open Arms“ fest Foto: Francesco Ruta/IPA/imago

Rom taz | Italiens früherer Innenminister Matteo Salvini steht ab Mittwoch in Palermo vor Gericht. Der Chef der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega muss sich wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch verantworten, weil er in seiner Amtszeit als Innenminister im August 2019 dem Flüchtlingsschiff Open Arms sechs Tage lang das Einlaufen in einen italienischen Hafen verweigert hatte.

Fast eine Woche lang mussten deshalb 147 Mi­gran­t*in­nen in der Sommerhitze an Bord des NGO-Schiffs ausharren – in den Augen der Staatsanwaltschaft ein klarer Fall von Freiheitsberaubung. Dieser Fall fügte sich in die Strategie Salvinis als Innenminister in der Regierung unter Giuseppe Conte vom Juni 2018 bis zum Dezember 2019 – eine Koalitionsregierung der Fünf Sterne mit der Lega.

Unter dem Schlachtruf „Italiener zuerst!“ praktizierte der Lega-Chef damals die Politik der „geschlossenen Häfen“ und hinderte immer wieder Schiffe sowohl von NGOs als auch von der italienischen Küstenwache daran, Flüchtlinge in Italien an Land zu bringen.

Salvini kündigte schon im Vorfeld an, er werde zum Prozessauftakt „erhobenen Hauptes“ in Palermo anwesend sein, denn er setzt auf Vorwärtsverteidigung. Der Rechtspolitiker reklamiert für sich, er habe als Minister doch bloß „das Vaterland verteidigt“ und Schaden von Italien abgewendet.

Nicht isoliert gehandelt

Zudem will er den Beweis antreten, er habe innerhalb der Regierung keineswegs isoliert gehandelt. Deshalb hat seine Verteidigerin das halbe damalige Kabinett vorgeladen, vom seinerzeitigen Ministerpräsidenten Conte über den Außenminister bis hin zu Luigi Di Maio, damals für die Fünf Sterne Vize-Ministerpräsident.

Auch wenn ihm bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe drohen, kommt der Prozess in Palermo Salvini in diesem Moment durchaus gelegen Seine Lega durchlebt eine politisch schwierige Phase. Noch bei den Europa-Wahlen im Mai 2019 hatte sie gerade aufgrund ihrer aggressiven Anti-Flüchtlings-Politik sensationelle 34 Prozent geholt. Vor diesem Hintergrund hatte Salvini im August 2019 den Koalitionsbruch mit den Fünf Sternen vollzogen, weil er sich bei schnellen Neuwahlen einen Kantersieg erhoffte.

Doch aus den Neuwahlen wurde nichts, da damals völlig überraschend das Movimento 5 Stelle eine Koalition mit der gemäßigt linken Partito Democratico erneut unter dem Premier Conte schloss. Auch als Conte dann im Februar 2021 seine parlamentarische Mehrheit verlor, musste die Lega Hoffnungen auf Neuwahlen begraben. Unter Mario Draghi fand sich eine Notstandskoalition zusammen, die ihre Rechtfertigung aus dem Kampf gegen die Pandemie zog.

Auch die Lega biss in den sauren Apfel und trat in diese Koalition ein, nicht zuletzt weil sie bei der Verteilung der EU-Milliarden aus dem „Next-Generation“-Wiederaufbauprogramm mit am Tisch sitzen wollte. Seither verliert sie kontinuierlich an Zustimmung.

Stimmung gegen Coronamaßnahmen

Am rechten Rand ist sie der harten Konkurrenz der postfaschistischen, ebenso rüde fremdenfeindlichen „Fratelli d’Italia“ (FdI – Brüder Italiens) unter der populären Giorgia Meloni ausgesetzt, die aus der Opposition heraus offen Stimmung gegen die Regierung Draghi und viele ihrer Corona-Maßnahmen macht.

Auch Salvini stänkert immer wieder gegen die „Einschränkung der Bürgerfreiheiten“ etwa durch den Impfpass – muss dann aber die Regierungspolitik mittragen. Die Folge: in den Umfragen liegt FdI mittlerweile bei 20 Prozent und damit gleich auf mit der Lega.

Auch in den eigenen Reihen ist Salvini nicht mehr unumstritten. So fordern diverse Regionalpräsidenten aus dem Norden ein klares Bekenntnis zu restriktiven Coronamaßnahmen, um eine weitere Pandemiewelle zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund ist der Prozess für Salvini die willkommene Bühne, um sich als entschlossener Anführer der populistischen Rechten in Szene zu setzen und die Reihen der Lega wieder zu schließen – bei ihrem Lieblingsthema Migration.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!