Mathieu Amalrics Film "Tournée": Die Rückseite des Showgeschäfts
Mathieu Amalric porträtiert einen verkrachten Tourmanager. Er tourt mit einer Truppe nicht ganz junger US-Stripteasetänzerinnen durch Frankreich.
Wenn Mimi, Kitten oder Dirty Martini ins Rampenlicht treten und die Bühne mit ihren runden Körpern, Glitzerfummeln und Straußenfedern vibrieren lassen, zeigt die Kamera ihre Stripteasenummern ausschließlich mit den Augen ihres Managers.
Hinter dem Bühnenvorhang verfolgt Joachim Zand (Mathieu Amalric) die Tagesform seiner Stars, saugt den Beifall aus der Tiefe des dunklen Zuschauerraums auf, macht Planspiele für den großen Durchbruch. Sein Blick hat Feuer, er glaubt mit der erotischen Retro-Show ein Pfund in der Hand zu halten.
Mathieu Amalrics zartfühlender Katastrophenfilm "Tournée" feiert die Renaissance des New Burlesque, indem er fünf Tänzerinnen und einen lässigen Stripteaseboy als sympathische Egos ernst nimmt. "Its our show!!", diese Lektion muss der fahrige Charmeur Joachim immer wieder neu von seiner Truppe lernen.
Die amerikanischen Ladys, die er in Frankreich, dem Mutterland aller Sexklischees, durchsetzen will, sind alle Profis jenseits der Glamour-Marke Jugend, präsentieren ihr knalliges Vaudeville-Vergnügen jedoch mit weitaus mehr Wärme und Persönlichkeit als etwa Dita von Teese oder Cher.
Auch unter ihren Künstlernamen Mimi Le Meaux, Kitten on the Keys, Dirty Martini, Julie Atlas Muz und Evie Lovelle spielen sie sich selbst. Nachts vitale Theatertiere, kämpfen sie am Morgen mit Unpässlichkeiten, proben unter den widrigsten Umständen, halten die üppigen Kostümkreationen instand und lassen sich von einem einfältigen Roadie mit dem sprechenden Namen Ulysse ins nächste Hotel kutschieren, ohne genau zu wissen, in welcher Stadt sie gerade sind.
Wunderbares Timing
Den Rahmen dieser Tournée-Geschichte entnahm Mathieu Amalric einer alten Erzählung von Colette, noch aus der Zeit, als Vaudeville-Revuen das Hauptvergnügen der kleinen Leute waren. Die Schriftstellerin beschrieb die eigenartig gelöste Melancholie, das Driften auf einer Tournee, das auch der Film in einem wunderbaren Timing zwischen komisch-drastischen Glanznummern und leisen verlorenen Momenten ausbalanciert.
Mathieu Amalric, der als Schauspieler zum Beispiel in "Schmetterling und Taucherglocke" gern existenzielle Extreme spielt, nahm sich als Koautor, Koproduzent und Regisseur vor, von diesem anderen Lebensgefühl in der Backstage-Atmosphäre zu erzählen. Am Ende übernahm er auch die Rolle des Impresarios, der zugleich Widerpart und Freund der Frauen ist und im Vertrauen auf den Erfolg kaum zum Schlafen kommt. "Tournée" erzählt vor allem durch sein Porträt einer verkrachten Existenz von der Rückseite des Showgeschäfts.
Paris ist perdu
Joachim, der verliebte Voyeur in den Kulissen, umsichtiger Aufpasser und Organisator der Tour, hat die Revue nur für ein paar französische Küstenstädte buchen können. Für ihn geht es um nicht weniger als die Rückkehr nach Frankreich nach einigen Jahren in den USA. Doch sein Traum, die New-Burlesque-Tournee mit einem krönenden Abschluss in Paris zu adeln, stößt auf immer größere Hindernisse. Joachim muss die Truppe alleinlassen, um seine Bekannten unter den Theater- und Fernsehleuten der Stadt zu überzeugen. Zudem hat seine Exfrau die beiden Söhne in einem Café abgesetzt, wo er sie abholen soll, um seinen Teil der Ferien mit ihnen zu verbringen.
Die Tour de Force eskaliert zu einer Art Slapstickserie, bei der die Lust zu improvisieren mit dem Schauspieler/Regisseur Mathieu Amalric manchmal zu heftig durchgeht. Doch trotz der ausufernden Begegnungen mit Schuldnern und Erzfeinden ist sein Kette rauchender Antiheld eine schöne Persiflage. Im schwarzen Anzug mogelt er sich mit wiegenden Schritten durch die Backstage-Zonen und bezieht Prügel, weil er viel zu vielen Leuten Geld schuldet. Dieser Hasardeur passt nicht mehr in die Welt, nicht einmal sein Wunsch nach einer Pause von der allgegenwärtigen Musikbeschallung in Cafés und Hotel-Lobbys findet Gehör, auch seine Kinder wachsen ihm über den Kopf und müssen irgendwann in den Zug nach Hause gesetzt werden. So bündelt der Film seine Geschichte des Scheiterns, indem er Joachim Sand zu seinen vitalen, gut gelaunten und lebensklugen Ladys zurückkehren lässt.
Mimi Le Meaux (Miranda Colclasure), die tätowierte Blondine mit der glamourösen Straußenfeder-Show, erweist sich im Touralltag als guter Kumpel. Paris ist perdu, die verrückte Truppe findet sich auch im Niemandsland französischer Provinzkäffer, Gewerbezonen und Autobahnknoten zurecht. Ihr Glamour verdankt sich auch einem Familiengefühl. Die Sexiness von Mimi und den anderen hat in all ihrer Körperlichkeit eine Portion Mütterlichkeit, in der sich der scheiternde Platzhirsch Joachim fallen lassen kann.
"Tournée". Regie: Mathieu Amalric. Mit Mathieu Amalric, Anne Benoit u. a. Frankreich 2010, 111 Min.
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