Maßnahmen gegen Daten-Sammelwut: Alufolie um den Reisepaß
Ob Speicherchips, Kundenkarten oder Google - Verbraucher hinterlassen immer längere Datenspuren. Zwei Hannoveraner wollen sie zu mehr Vorsicht mit ihrer eigenen Persönlichkeit bewegen.
HANNOVER taz Manchmal ist Datenschutz ganz simpel. Er sieht dann aus wie eine Pausenstulle von Muttern. Jedenfalls wenn man ihn sich von Peter Leppelt und Wulf Bolte erklären lässt. Die beiden Päckchen, die die Hannoveraner Unternehmer da vor sich auf dem Tisch in ihrem Büro präsentieren sind toastscheibengroß, vielleicht ein bisschen dünner und nicht ganz quadratisch, aber alufolienverpackt, wie man es von einer Stulle kennt.
Die Metallfolie schützt in diesem Fall aber kein Brot, sondern ihren Reisepass. Genauer gesagt all die sensiblen Daten, die auf jenem winzigen Chip gespeichert sind, der inzwischen in jeden neuen Pass serienmäßig implantiert wird: Biometrisches Foto, Fingerabdruck, Name, Adresse. "Mit einem Lesegerät und ein bisschen technischem Know-How kann inzwischen jeder darauf zugreifen", verrät Leppelt. Deshalb die Alufolie. Da drunter funkt nichts mehr.
Es sind schon zwei ulkige Typen, die sich da für eine gemeinsame Sache zusammengefunden haben: Leppelt ist 31, studierte auf dem zweiten Bildungsweg erst Elektrotechnik, dann Ingenieurinformatik. Bolte ist 28, Kommunikationsdesigner und Hobbyfilmer. Der eine - Leppelt - mit Kurzhaarfrisur und Krawattennadel Typ Versicherungsvertreter, der andere mit schwarzgefärbtem Langhaar und Schornsteinfegerhose Typ Rocker. Im März haben sie das Unternehmen Praemandatum gegründet, lateinisch für Steckbrief. Ihr Ziel: Den Datenschutz und die Privatsphäre retten. Ihr Angebot: Tricks, wie der mit dem verpackten Reisepass, daneben Beratungsgespräche und technische Installationen am heimischen Computer.
Zielgruppe sind nicht etwa Unternehmen. "Das bringt eh nichts", fürchtet Bolte. Deshalb setzen sie am anderen Ende an: Beim Verbraucher. Der, so sein Kollege Leppelt, wüsste oft gar nicht, wie fahrlässig er mit seinen eigenen Daten umgingen. Und zwar nicht nur auf StudiVZ, dem beliebten Networking-Portal, auf dem "Studenten sich bewegen wie auf einem FKK-Strand". "Wir wollen die Verbraucher aufklären, wer alles ihre Daten sammelt, wo sie gesammelt werden, was man dagegen tun kann und weshalb man vorsichtig mit den eigenen Daten umgehen sollte."
Die Idee ist schon ein paar Jahre alt. "Ich fand Freiheit immer schon 'ne schöne Sache", erzählt Leppelt. "Wenn das flöten ginge, wär das schade." Aber erst die Grundrechtseingriffe nach dem 11. September haben die beiden derart beunruhigt, dass sie das Gefühl bekamen, etwas tun zu müssen. "Anti-Terror-Datei, Mautdaten, Visadatei, dazu der Datenhunger der Wirtschaft: Die Summe machts", sagt Leppelt.
Sie stehen noch ziemlich am Anfang. Ein Startkredit von 30.000 Euro hilft ihnen über die ersten Monate. Noch arbeiten die beiden in Räumen, die ihnen ihre Uni verbilligt zur Verfügung stellt. "Institut für mikroelektronische Systeme" steht am Eingang des gläsernen Gebäudes. Die Büros liegen im dritten Stock, am Ende eines Flurs, der mit seinen antiquierten Utensilien wie eine technische Zeitreise daherkommt: Vorne ein Rechner von der Größe eines Kühlschranks, links ein paar uralte Speichermodule und Prozessoren. "Etwas provisorisch", findet Bolte. "Aber das Ambiente passt doch."
Ein fester Kundenkreis muss sich auch erst noch finden. "Über 40, besser verdienend, eher gebildet", umschreibt Leppelt die Zielgruppe. Deshalb liegen in den meisten Hannoveraner Kleidungsgeschäften und Schreibwarenläden jetzt ihre Flugblätter, die auch auf ihren Internetauftritt verweisen.
Erste Rückmeldungen ließen nicht lange auf sich warten. Die Zeichen der Zeit stehen gut für die beiden. Datenschutz ist in. Dafür haben Unternehmen wie Lidl oder die Telekom mit ihren Spitzelskandalen gesorgt. Und natürlich Innenminister Wolfgang Schäuble. "Unser bester Mann", grinst Leppelt.
Ob Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung oder Fingerabdrucksdatei - selbst einigen Parteikollegen geht Schäubles Sammelwut inzwischen zu weit. Die Grünen fordern seit neustem ein neues Grundrecht zum Schutz persönlicher Informationen und haben dafür eine Onlineinitiative gestartet. Für Oktober hat der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zu neuen Protesten gegen staatliche Überwachung aufgerufen. Auch auf europäischer Ebene tut sich inzwischen etwas: Der neue Justizkommissar Jacques Barrot hat angekündigt, sich des EU-Rahmenbeschlusses zum Datenschutz anzunehmen, der seit Jahren auf Eis liegt. 54 Prozent der 14 bis 24-Jährigen in Europa würden es ihm danken: Sie sind besorgt über die Zukunft des Datenschutzes. Das zeigt eine EU-weite Umfrage des Wissenschaftszentrums Berlin.
Leppelt und Bolte wollen aber eher an die übrigen 46 Prozent ran. Die, die noch nicht ganz so beunruhigt sind. Fester Bestandteil eines jeden Beratungsgesprächs sind deshalb ein paar Schocker. Zum Beispiel der mit dem Fingerabdruck. "Geben Sie mal Ihr Wasserglas", sagt Bolte. Dann geht's fix: Mit Kleber wird darauf der Fingerabdruck sichtbar gemacht, abfotografiert, mit dem Bildprogramm bearbeitet und per Laserdrucker auf Folie gebracht. Auf das Relief verteilt Bolte gleichmäßig ein wenig Holzleim, lässt diesen aushärten und schneidet die Attrappe in Fingerabdruckgröße aus. Nochmal ein bisschen Kleber, rauf auf die eigene Fingerkuppe und: "Fertig ist die neue Identität."
Damit könnte man jetzt in gesicherte Computer einsteigen. Oder einen Pass fälschen. Oder jemand anders einen Mord anhängen. Aber natürlich wird die künstliche Fingerkuppe gleich wieder vernichtet. Die beiden Berater wollen sich ja nicht strafbar machen. Sie wollen nur aufrütteln.
Dafür eignet sich auch ein Ding namens RFID, kurz für Radiofrequenz-Identifikation. Das ist der Chip, der auch auf den Reisepässen prangt und Foto und Fingerabdruck speichert. Aber eben nicht nur dort.
Leppelt kramt ein RFID-Lesegerät hervor: "Das können sie in jedem Elektromarkt kaufen." Das Gerät sucht, es piept. "Schauen Sie, hier ist eine Nummer, die eindeutig einem einzigen Produkt zugeordnet ist", erklärt er. "Jeder Händler hat Zugriff auf eine Datenbank, die ihm sofort sagen kann, um welches Produkt es sich handelt." Das würde jetzt zu lange dauern. Deswegen geht Leppelt in den Nebenraum und holt den Piepsauslöser: Eine DVD. "Es könnte auch eine Porno-DVD sein, und der, der sich für ihre Vorlieben interessiert, ihr Nachbar."
Bald soll die RFID-Technologie in allen großen Kaufhäusern den Barcode ersetzen. In einigen "Future Stores" der Metro-Gruppe ist das bereits der Fall. "Die Idee ist super: Man fährt mit dem Einkaufswagen vor einen Scanner, und der Einkaufspreis erscheint auf einen Schlag", schwärmt Leppelt. "Aber der RFID wird nach dem Kauf nicht vernichtet. Das ist das Problem."
"Uns geht es nicht um Panikmache", betont Bolte. "Wir finden es nur wichtig, dass Menschen klar ist, was alles möglich ist. Nur Wissen schützt vor Totalüberwachung. Und Vorsicht."
"Vorsicht" ist eins der Lieblingsworte der beiden. Im Gegensatz zu "verbieten", das wollen die Jungunternehmer ihren Kunden nämlich überhaupt nicht. Sie sind zwar besorgt um den Zustand des Datenschutzes in Deutschland, aber eben keine paranoiden Spinner, die nur noch mit Kapuze rumlaufen, weil sie an jeder Ecke Überwachungskameras wittern. Obwohl sie Informatiker sind, verbringen sie ihre Nächte nicht auf skurrilen Netzwerkparties. Und Verschwörungstheorien sind das letzte, woran sie glauben würden.
Sie sind ja selbst Fans der modernen Kommunikationstechnik. Oder wie Bolte es ausdrückt: "Wir sind Technoholiker." Klar. Sieht man schon an ihren Handys. Leppelt hat ein Blackberry, so ein Laptop im Hanuta-Format. Bolte, der Rocker-Typ, hat ein Ding, das auf den ersten Blick wie ein Uralt-Handy aussieht. Aber es ist aufklappbar und wird plötzlich zum mobilen Computer. Sie halten auch gewisse Anti-Terrormaßnahmen für berechtigt. "Und natürlich find ich es super, wenn mein Kühlschrank mir per Bluetooth sagt, wann die Wurst alle ist und ich per Handy nachbestellen kann", sagt Bolte. Aber sie können eben nicht mit ansehen, wie unwissend und leichtgläubig manche Menschen ihre Daten preisgeben.
Nach der Schocktherapie gibt's die individuelle Analyse. Besitzen Sie Kundenkarten? Kaufen Sie bei Ikea? Welche Google-Dienste nutzen Sie? Wickeln Sie Ihre gesamte Korrespondenz über die gleiche Email-Adresse ab? Dann folgen die Tipps. Manchmal sind sie ganz einfach. "Sie wollen die Vorratsdatenspeicherung umgehen?", fragt Leppelt. "Gehen Sie in die Telefonzelle. Da sind sie sicher." Dann wiederum wird's komplizierter. Wenn es etwa darum geht, Kundenkarten zu vermeiden. Die beiden erzählen dann was von Computeralgorithmen, Datamining, exakten Personenprofilen und maßgeschneiderter Werbung. Man begreift recht schnell, dass das, was Unternehmen mit den privaten Daten treiben, nicht besonders toll sein kann.
Das gilt auch für Google. "Wenn Sie alle Google-Dienste nutzen, weiß eine einzige Firma mit den Maps, wo sie sind, mit iGoogle, wie Sie heißen, mit News, was Sie interessiert, mit Froogle, was Sie einkaufen, mit Calendar Ihre Termine, mit Gmail Ihre Emails, mit Scholar, in welchem Bereich Sie forschen und mit der Desktopsuche, was auf Ihrer Festplatte ist." Leppelt schaut ernst. Er könnte jetzt mal wieder "Vorsicht" sagen. Macht er aber nicht. Er weiß, dass sein Satz keine weitere Kommentierung braucht.
Man kann sich auch den kompletten Rechner von ihnen umbauen und neu installieren lassen. Dann verbieten sie übrigens doch etwas. Windows, zum Beispiel. Das wird durch Linux-Anwendungen ersetzt. Von den Google-Toolbars muss man sich dann auch verabschieden. Und von den Cookies, die alle Internetseiten so schön schnell laden lassen, sowieso. Warum? Lassen Sie es sich erklären.
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