Massentötungen im Konzentrationslager: Prozess wird unterbrochen
Der Prozess um die Tötung von Tausenden Häftlingen im KZ Sachsenhausen zieht sich: Der Angeklagte muss zu einer Behandlung ins Krankenhaus.
Unklar blieb zunächst, welche Auswirkungen dies auf den Ablauf des Verfahrens haben wird, für das bislang 22 Verhandlungstage bis in den Januar vorgesehen waren. In der kommenden Woche sollte ursprünglich der Historiker Stefan Hördler als Sachverständiger gehört werden. Für Anfang November waren die Aussagen eines Überlebenden des KZ aus Israel und eines Nachkommen eines Inhaftierten aus Frankreich geplant. Beide sind im Prozess Nebenkläger.
Der heute 100-Jährige soll der Anklage zufolge zwischen 1942 und 1945 im KZ Sachsenhausen als Wachmann der SS Beihilfe zur Ermordung von Tausenden Lagerinsassen geleistet haben. Am zweiten Prozesstag hatte der Angeklagte bestritten, in dem KZ gewesen zu sein. Das Verfahren vor dem Landgericht Neuruppin wird aus organisatorischen Gründen in einer Sporthalle in Brandenburg/Havel geführt.
Ein Ermittler des Landeskriminalamts berichtete im Gericht von einer Hausdurchsuchung bei dem Angeklagten im Oktober 2019. Der damals 99-Jährige sei davon überrascht worden, berichtete der Beamte. Gesucht wurde von den Ermittlern nach Fotos oder Dokumenten wie Briefe und Tagebücher, die auf die Tätigkeit des Beschuldigten als KZ-Wachmann hinwiesen. Sichergestellt wurde aber nur eine Fotografie, die den Angeklagten nach der Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft zeigte, wie der Beamte berichtete.
Laut dem Protokoll soll sich der Angeklagte bei der Durchsuchung zu den Vorwürfen geäußert haben. Diese Äußerungen dürfen aber nicht verwendet werden, wie das Gericht auf Antrag der Verteidigung entschied. Denn es blieb unklar, ob der Angeklagte zuvor ausreichend über seine Rechte belehrt worden war.
Menschenunwürdige Zustände im Lager
Eine Beamtin der Polizeidirektion Nord berichtete im Gericht über die Vernehmungen von zwei Überlebenden des KZ. Beide hätten von menschenunwürdigen Zuständen im Lager und von zahlreichen Tötungen von Häftlingen dort und während der Todesmärsche in Richtung Ostsee zum Ende des Krieges berichtet, sagte die Beamtin.
Einer der Überlebenden war der inzwischen ebenfalls 100-jährige Leon Schwarzbaum, der kurz vor Kriegsende in das KZ gebracht wurde. Dieser habe erklärt: „Der Tod war überall im Lager vorhanden. Früher oder später musste man sterben. Es blieb keine andere Rettung“, zitierte die Beamtin. Schwarzbaum wurde auf dem Todesmarsch kurz vor Schwerin Anfang Mai von einer amerikanischen Einheit befreit.
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