Massenmord an Kiewer Juden 1941: „Kleinkinder nicht mitgezählt“
Der Bundespräsident hat der Ermordeten von Babyn Jar gedacht. 33.000 Menschen wurden 1941 nahe Kiew getötet – möglicherweise auch deutlich mehr.
Eines der viel beachteten neuen Denkmäler ist die erst kürzlich fertiggestellte Kristallklagemauer der serbischen Performance-Künstlerin Marina Abramović: eine 40 Meter lange schwarze Wand mit weißen Quarzkristallen, die sich auf der Höhe von Kopf, Herz und Bauch des Betrachters befinden.
Die Zahl der in Babyn Jar ermordeten Menschen sei möglicherweise höher als bislang angenommen, erklärte Selenski, der von 200.000 ermordeten Jüdinnen und Juden sprach. Es seien vor allem Frauen, Greise und Kinder gewesen, die die Nazis am 29. und 30. September ermordet hatten. „Die Kleinkinder haben sie gar nicht mitgezählt“, so Selenski.
„Diese Tat, sie war keine Vergeltungsaktion“, betonte Frank-Walter Steinmeier, „der Massenmord an den Kiewer Juden war ein genauestens geplantes Verbrechen“ – geplant und begangen von SS, Sicherheitspolizei und Soldaten der Wehrmacht. Sie alle waren beteiligt.
Am Morgen des 28. September, so beschreibt es eine Augenzeugin, eine Kiewer Lehrerin, zogen Menschen in einer nicht enden wollenden Kolonne durch ihre Straße. „Frauen, Männer, junge Mädchen, Kinder, Greise, ganze Familien. […] Sie gehen schweigend. Es ist unheimlich“, sagte Steinmeier.
Eine symbolische Synagoge
„Ich bin 80 Jahre alt, wurde an dem Tag geboren, an dem hier zigtausende ermordet worden sind“, erklärte der jüdische Kantor Joseph Malowani, bevor er in einer „symbolischen Synagoge“ ein jüdisches Totenlied in die Dunkelheit sang. Auch die „symbolische Synagoge“ war vor kurzem eröffnet worden; sie wurde nach dem Vorbild zerstörter westukrainischer Synagogen gebaut und besteht aus Holz aus allen Teilen der Ukraine.
Zuvor hatte Steinmeier am Montag den Ort Korjukiwka im Gebiet Tschernihiw besucht und einen Kranz am Denkmal für die in diesem Ort ermordete Dorfbevölkerung niedergelegt. Am 1. und 2. März 1943 waren etwa 6.700 BewohnerInnen von SS-Truppen und ungarischen und ukrainischen HelferInnen, die unter deutschem Kommando standen, erschossen worden. Die Dorfbevölkerung hatte sich im Restaurant, dem größten Gebäude des Dorfes, angeblich zu einer Passkontrolle einfinden müssen. Dort wurden die Menschen hingerichtet.
An der Veranstaltung in Babyn Jar am Montag entzündete sich aber auch Kritik. Gegenüber „Radio Swoboda“ bedauerte der Publizist Witali Portnikow, dass man in Babyn Jar nur an einem Jahrestag der Toten gedächte. In dreißig Jahren Unabhängigkeit habe die Ukraine es nicht geschafft, in Babyn Jar etwas zu bauen, das vergleichbar wäre mit der Gedenkstätte Auschwitz. Daran, so Portnikow, sei vor allem der fehlende politische Wille, auch in der Gesellschaft, schuld.
Die Historikerin Tetjana Pastuschenko forderte ebenfalls auf „Radio Swoboda“ ein Moratorium für alle Baupläne auf dem Gebiet von Babyn Jar. Bauliche Maßnahmen an Orten, an denen die Gebeine von so vielen Toten liegen, seien nicht akzeptabel, so die Historikerin.
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