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Massenmord an Kiewer Juden 1941„Kleinkinder nicht mitgezählt“

Der Bundespräsident hat der Ermordeten von Babyn Jar gedacht. 33.000 Menschen wurden 1941 nahe Kiew getötet – möglicherweise auch deutlich mehr.

Elke Büdenbender und Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkveranstaltung in Kiew Foto: ap

Kiew taz | Spärlich war die Beleuchtung am gestrigen Abend, als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski mit Bundespräsident Steinmeier, Israels Staatschef Herzog und Politikern aus Georgien und mehreren EU-Staaten am Holocaust-Gedächtniskomplex Babyn Jar einige neu eröffnete Denkmäler besuchte. Ziel war es, der Ermordung von 33.771 Kiewer Jüdinnen und Juden vor 80 Jahren am 29. und 30. September 1941 in der Kiewer Schlucht Babyn Jar durch deutsche Truppen zu gedenken.

Eines der viel beachteten neuen Denkmäler ist die erst kürzlich fertiggestellte Kristallklagemauer der serbischen Performance-Künstlerin Marina Abramović: eine 40 Meter lange schwarze Wand mit weißen Quarzkristallen, die sich auf der Höhe von Kopf, Herz und Bauch des Betrachters befinden.

Die Zahl der in Babyn Jar ermordeten Menschen sei möglicherweise höher als bislang angenommen, erklärte Selenski, der von 200.000 ermordeten Jüdinnen und Juden sprach. Es seien vor allem Frauen, Greise und Kinder gewesen, die die Nazis am 29. und 30. September ermordet hatten. „Die Kleinkinder haben sie gar nicht mitgezählt“, so Selenski.

„Diese Tat, sie war keine Vergeltungsaktion“, betonte Frank-Walter Steinmeier, „der Massenmord an den Kiewer Juden war ein genauestens geplantes Verbrechen“ – geplant und begangen von SS, Sicherheitspolizei und Soldaten der Wehrmacht. Sie alle waren beteiligt.

Am Morgen des 28. September, so beschreibt es eine Augenzeugin, eine Kiewer Lehrerin, zogen Menschen in einer nicht enden wollenden Kolonne durch ihre Straße. „Frauen, Männer, junge Mädchen, Kinder, Greise, ganze Familien. […] Sie gehen schweigend. Es ist unheimlich“, sagte Steinmeier.

Eine symbolische Synagoge

„Ich bin 80 Jahre alt, wurde an dem Tag geboren, an dem hier zigtausende ermordet worden sind“, erklärte der jüdische Kantor Joseph Malowani, bevor er in einer „symbolischen Synagoge“ ein jüdisches Totenlied in die Dunkelheit sang. Auch die „symbolische Synagoge“ war vor kurzem eröffnet worden; sie wurde nach dem Vorbild zerstörter westukrainischer Synagogen gebaut und besteht aus Holz aus allen Teilen der Ukraine.

Zuvor hatte Steinmeier am Montag den Ort Korjukiwka im Gebiet Tschernihiw besucht und einen Kranz am Denkmal für die in diesem Ort ermordete Dorfbevölkerung niedergelegt. Am 1. und 2. März 1943 waren etwa 6.700 BewohnerInnen von SS-Truppen und ungarischen und ukrainischen HelferInnen, die unter deutschem Kommando standen, erschossen worden. Die Dorfbevölkerung hatte sich im Restaurant, dem größten Gebäude des Dorfes, angeblich zu einer Passkontrolle einfinden müssen. Dort wurden die Menschen hingerichtet.

An der Veranstaltung in Babyn Jar am Montag entzündete sich aber auch Kritik. Gegenüber „Radio Swoboda“ bedauerte der Publizist Witali Portnikow, dass man in Babyn Jar nur an einem Jahrestag der Toten gedächte. In dreißig Jahren Unabhängigkeit habe die Ukraine es nicht geschafft, in Babyn Jar etwas zu bauen, das vergleichbar wäre mit der Gedenkstätte Auschwitz. Daran, so Portnikow, sei vor allem der fehlende politische Wille, auch in der Gesellschaft, schuld.

Die Historikerin Tetjana Pastuschenko forderte ebenfalls auf „Radio Swoboda“ ein Moratorium für alle Baupläne auf dem Gebiet von Babyn Jar. Bauliche Maßnahmen an Orten, an denen die Gebeine von so vielen Toten liegen, seien nicht akzeptabel, so die Historikerin.

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1 Kommentar

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  • Vielen Dank für diesen Beitrag und den Beitrag von Waltraud Schwab am 9.10.21 ( taz.de/Archiv-Such...&SuchRahmen=Print/ ). Unter Schwabs Beitrag steht, dass er auch vom Auswärtigen Amt gefördert wurde. Das tut gut zu lesen.



    Es ist noch sehr viel Aufarbeitung zu leisten, es macht Hoffnung, dass damit begonnen wird, von allen oder zumindest vielen Seiten.



    Die ,,Effizien des Mordens'' von Baby Jar lässt Zweifel aufkommen, ob die absolute Auslöschung des jüdischen Volkes sich erst nach der Wannseekonferenz 1942 stattfand und durchgeführt wurde.



    Es ist noch so viel Erinnerungsarbeit zu leisten. Ellie Wiesel hat einmal gesagt, ihn schockierte besonders, nach dem Krieg zu erfahren, dass die Sonderkommandos besonders aus Akademikern und Universitätsprofessoren bestanden haben. Diese ,,Verrohung der Bürgerlichkeit" schockierte und schockiert und muss in der Gedenkkultur stärker mitbedacht werden, auch um die Gegenwart besser zu begreifen und wirklich für ein ,,Nie wieder! zu sorgen. Wer im Sonderkommando war musste viel weniger um sein Leben fürchten als der Wehrmachtssoldat und war sich seiner Auszeichnugn und seines gesellschaftlichen Aufstieges sicher. Auch das: Erschütternd und entsetzlich.



    Auch Deutschland hat noch so viel aufzuarbeiten, wie man bei der von Steinmeier besuchten Gedenkveranstaltung in der Ukraine und in der Berichterstattung lernen und erfahren konnte. Davon könnte und müste es noch mehr geben, zum Beispiel in Lemberg.



    Das Auswärtige Amt könnte auch hier Unterstützungsarbeit leisten. Es könnte ein Ort sein, an dem Deutschland, Polen, Russland und die Ukraine gemeinsam einen Gedenkort schaffen.