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berliner szenenMarzahner Eltern in Frankreich

Ich sitze in einer Bar in Kreuzberg, habe den letzten freien Tisch belegt und mich auf die Bank gesetzt, sodass ich fast den ganzen Raum sehen kann. W. hat angekündigt, dass sie zu spät kommt, ich beantworte also ein paar Nachrichten und bestelle schon mal etwas zu trinken.

Neben mir am Tisch sitzen sich zwei Paare etwa Ende dreißig gegenüber. Der rechts ist mit der Frau auf der Bank ihm gegenüber zusammen, sie halten Händchen. Die beiden anderen wirken aber noch gar nicht vertraut. Ich glaube, es ist eine „Ihr müsst euch unbedingt kennenlernen, ihr habt so viel gemeinsam“-Aktion.

Sie unterhalten sich über Reisen. Der Typ links ist nervös. Die Frau neben mir sieht ihn bloß reglos an und sagt kaum etwas. Das macht ihn offenbar noch nervöser.

„Ich war letztes Jahr mit meinen Eltern in Paris und wir haben in einem Zimmer geschlafen, weil das Hotel so teuer war. Das war kein Problem, aber das Wochenende war es!“, erzählt er jetzt. „Meine Eltern sind nie weiter als an die Ostsee gekommen, und nun Paris – ihr Traum. Sie waren so aufgeregt, wollten mit jedem sprechen und haben alle angequatscht, wie schön es doch ist und wie anders als zu Hause in Marzahn und so.“ Ich kichere verzückt in mich hinein. „Das Schlimme war aber, sie sprechen null Französisch. Also musste ich andauernd diese urpeinlichen Sachen übersetzen!“ Er schlägt sich die Hände vors Gesicht. „Es war so peinlich, dass ich irgendwann weggerannt bin, weil es so unangenehm war.“ Alle lachen. die Frau neben mir strahlt ihn an. Mit dieser Geschichte hätte er mich auf jeden Fall von sich überzeugt, denke ich. W. kommt, und ich verliere den Tisch aus den Augen, aber als sie gehen, fällt mir auf, wie die ruhige Frau den Mann mit den Eltern aus Marzahn ganz kurz am Arm berührt. Und ich bin sicher, das ist ein gutes Zeichen.

Isobel Markus

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