Martin Scorsese feiert Filmemacher: Mit dem Enthusiasmus eines Kindes
Die Doku „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ ist eine Liebeserklärung. Martin Scorsese spielt weit mehr als bloß den Erzähler.
Martin Scorsese ist inzwischen über 80 Jahre alt, seit rund 60 Jahren dreht er Filme, und noch länger sieht er Filme, atmet sie, liebt es, über sie nachzudenken und zu reden. Gerade letzter Aspekt wurde in den jüngsten Jahren immer wichtiger, da Scorsese seine Position als allseits verehrter Starregisseur dazu genutzt hat, mit seiner World Cinema Foundation zahlreiche Filme aus aller Welt zu restaurieren und oft zu ihrer Wiederentdeckung beizutragen.
Allein das Signet „präsentiert von Martin Scorsese“ kann einem vergessenen Film nie gekannte Aufmerksamkeit verleihen, ihn aus dem Wust der Filmgeschichte befreien und die Anerkennung geben, die er verdient. Wenn in einigen Jahren unweigerlich ausführliche Elogen auf einen der wichtigsten Regisseure der Filmgeschichte geschrieben werden, könnte insofern ein Aspekt von Scorseses Leben und Arbeit besondere Aufmerksamkeit bekommen: Seine Freundschaft mit dem britischen Regisseur Michael Powell, der seine Wiederentdeckung zwar nicht nur, aber doch entscheidend Martin Scorsese verdankt.
Insofern hat es nicht nur Sinn, es ist geradezu zwingend logisch, dass es Martin Scorsese ist, der in David Hintons Dokumentarfilm „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ als Erzähler fungiert und dass diese Dokumentation über eines der großen Regie-Duos der Filmgeschichte also fast genauso viel über Martin Scorsese erzählt.
Als Scorsese in den 70er Jahren begann, in den Olymp des Kinos aufzusteigen, mit „Hexenkessel“ seinen Durchbruch schaffte, ein paar Jahre später für „Taxi Driver“ mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet wurde, war Michael Powell fast in Vergessenheit geraten. Die Zusammenarbeit mit Emeric Pressburger war vorbei und sein inzwischen als visionär, damals aber als abstoßend wahrgenommener Psychothriller „Peeping Tom“ hatte Powell zum Paria gemacht, der einsam auf dem englischen Land lebte und Tee trank. Bis ihn Scorsese besuchte, sich mit ihm anfreundete und für den finalen Akt seines Lebens nach New York holte.
„Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“. Regie: David Hinton. Vereinigtes Königreich 2024, 131 Min.
Bevor er ihn persönlich kennenlernte, lernte Scorsese Powells Bilder kennen: So oft hat Scorsese von seiner Jugend erzählt, dem Asthma, das ihn als Kind ans Bett fesselte und dazu „zwang“, endlos viel Fernsehen zu schauen, dass diese Geschichte fast schon den Status einer Legende eingenommen hat.
Einschneidende filmische Erlebnisse
Schon in seinen eigenen Dokumentarfilmen aus den 90er Jahren „A Personal Journey with Martin Scorsese Through American Movies“ und „My Voyage to Italy“ hatte Scorsese diese Geschichte erzählt, mit mitreißender Begeisterung von einschneidenden filmischen Erlebnissen berichtet, vom ersten Kontakt mit dem Medium, das sein Leben prägen sollte. In jenen Filmen lag der Fokus auf dem klassischen Hollywood-Kino beziehungsweise dem italienischen Neorealismus der Nachkriegszeit, hier nun ist es das britische Kino.
Dies entdeckte Scorsese anfangs nicht über bestimmte Regisseure, sondern über Logos von Produktionsfirmen: „London Films“ oder „Ealing Studios“ hießen diese, doch eine stach heraus: „The Archers“ mit dem markanten Logo einer Zielscheibe, in deren Mitte ein Pfeil einschlägt. Und hinter den Archers stand, wie Scorsese bald herausfand, das Duo Michael Powell und Emeric Pressburger.
Trotz des kleinen Schwarz-Weiß-Fernsehers, auf dem der damals kaum zehnjährige Scorsese die Filme von Powell und Pressburger sah: Der Effekt, den sie auf den zukünftigen Regisseur hatten, muss enorm gewesen sein. Mit spürbarer Begeisterung erzählt Scorsese von seiner ersten Begegnung mit „Hoffmanns Geschichten“, einem Opern-Film, der ihm, so Scorsese, alles über die Verbindung von Bildern und Musik beibrachte, das er wissen musste.
Und ja, sieht man die Bilder einer Gondel, auf der sich zwei Männer bei einem schwerelos wirkenden Schwertkampf duellieren, unterlegt mit der Musik von Jacques Offenbach, fällt es leicht, einen Bezug zu den unzähligen Scorsese-Filme zu ziehen, in denen Scorsese Bilder mit dem Einsatz von Popsongs oder klassischer Musik überhöht.
Ihr Ruhm war nicht unumstritten
Doch auch Powell und Pressburger begannen nicht auf diesen filmischen Höhen. Ihre ersten Filme waren im kargen Schwarz-Weiß gedreht, erzählten kleine, intime Geschichten. Ein ungewöhnliches Duo waren die Beiden: Powell, ein aus der Arbeiterklasse stammender Brite, Pressburger ein distinguierter Ungar, der nach England migriert war; Powell der in die weite Welt strebende Lebemann, ein extrovertierter Regisseur, Pressburger ein eher introvertierter Intellektueller, der für die Drehbücher verantwortlich war.
Während des Zweiten Weltkriegs begann der Ruhm des Duos, der von Anfang an nicht unumstritten war. Denn zu einer Zeit, als die Nation und auch ihr Premier Winston Churchill nach oft eher schlichten Propagandafilmen verlangten, versuchten Powell und Pressburger differenzierte Filme zu drehen, in denen auch deutsche Figuren runde, ambivalente Charaktere waren.
Besonders deutlich wurde dies in ihrem ersten großen Klassiker: „Leben und Sterben des Colonel Blimp“, in dem der britische Hang zum Militarismus persifliert wurde. Der aber vor allem eine Romanze über einen britischen General war, der scheinbar heroische Momente im Off erzählte. Besonders eine berühmte Szene stellt Scorsese heraus: Ein britischer Soldat und sein österreichischer Rivale bereiten sich auf ein Duell vor, ein Duell, nach dem sie zu lebenslangen Freunden werden. Schier endlos dauert die Vorbereitung, die Anweisungen der Sekundanten, doch sobald das Duell beginnt, fährt die Kamera nach oben und lässt die Duellanten allein.
Ein radikaler, mutiger Moment, wie Scorsese betont, den er selbst viele Jahre später in einem seiner eigenen Klassiker zitieren sollte: In „Wie ein wilder Stier“ zeigt er Robert De Niro als Boxer Jake LaMotta bei der Vorbereitung zum Kampf um die Weltmeisterschaft, beim Einmarsch in den Ring, unterlegt mit Klängen aus Mascagnis „Cavalleria rusticana“, doch den eigentlichen Kampf sieht man kaum.
Meldramen in strahlendem Technicolor
Immer wieder zeigen solche Gegenüberstellungen den direkten Einfluss, den die Filme von Powell und Pressburger auf Martin Scorseses eigene Arbeiten hatten, was „Made in England“ in den besten Momenten zu einer Lehrstunde im Filmemachen werden lässt. Vor allem die in strahlendem Technicolor gedrehten Melodramen „Irrtum im Jenseits“, „Schwarze Narzisse“ und „Die roten Schuhe“ beschreibt Scorsese mit fast kindlichem Enthusiasmus, der inzwischen aber vom Wissen um die eigene Sterblichkeit durchzogen ist.
Im Laufe seines Lebens habe er die Filme von Powell und Pressburger immer wieder gesehen, sie seien mit ihm gewachsen, Aspekte, die er als junger Mann übersah, berühren ihn nun, da er selbst über 80 Jahre alt ist, tief.
Wie nah ihm vor allem Michael Powell war, lässt sich daran ermessen, dass er nicht nur half, Powells Werk aus der Versenkung zu befreien, sondern ihn auch mit seiner langjährigen Cutterin Thelma Schoonmaker bekannt machte, die bis zu Powells Tod 1990 seine Frau war. Martin Scorseses lebhafte, leicht melancholische Erinnerungen an den bewunderten Kollegen, aber vor allem Freund Michael Powell verleihen „Made in England“ eine besondere, persönliche Note.
Auch ein Grund, warum „Made in England: Die Filme von Powell und Pressburger“ das wichtigste Kriterium für einen Dokumentarfilm über das Kino erfüllt: Er macht Lust, ganz bald noch einmal oder, wenn man Glück hat, zum ersten Mal, die wunderbaren Filme des Duos zu sehen.
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