: Marschieren statt Denken
betr.: „Kampf um Normalität“ (50 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland), taz vom 19. 7. 00
[...] Es wird sicherlich mahnende Worte geben, auch wenn es vielen Menschen nicht passt und sie in ihrer Verdrängungs- und Schlussstrichmentalität nicht wahrhaben wollen, dass 55 Jahre nach dem Ende des Holocaust wir schon wieder ein Ansteigen von Antisemitismus und Ausländerhass zu beklagen haben.
Über viele Jahrhunderte hinweg hat es sich scheinbar in das primitive Hirn „eingefressen“, das immer auf der Suche nach einem Schuldigen für die eigene Niederlage ist. Und es sind zumeist junge Leute, die Juden und Ausländer für ihre missliche Situation und für ihren sozialen Abstieg in der Gesellschaft verantwortlich machen. [...] Es sollte uns allen zu denken geben, dass der Rechtsradikalismus in Deutschland wieder auf dem Vormarsch ist und dass ein Teil unserer Jugend dem faden bürgerlichen Leben schon längst eine Absage erteilt hat, weil sie sich mehr dem Gemeinschaftsgeist und dem kollektiven Abenteuer hingezogen fühlen. Für sie gilt nur eins: Marschieren statt Denken!
Ich glaube, dass wir in Deutschland noch weit davon entfernt sind, von einem normalen Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bürgern zu sprechen. Das liegt vor allem daran, dass der Nationalsozialismus nach 1945 zwar bürokratisch und gerichtlich, auch finanziell „bearbeitet“ worden ist; die politische und emotionale Aufarbeitung hingegen hat leider nie ernsthaft stattgefunden! THOMAS HENSCHKE, Berlin
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