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Maroniten-Patriarch flüchtet aus Ostbeirut

■ Kirchenoberhaupt Nasrallah Sfeir floh nach Überfall auf seinen Amtssitz / Neuer Staatschef ruft zu nationaler Versöhnung auf

Beirut (afp) - Einen Tag nach der Wahl eines neuen Staatspräsidenten im Libanon hat der maronitische Patriarch Nasrallah Sfeir unter dem Druck von Anhängern des Generals Michel Aoun am Montag das „Christenland“ verlassen. Es ist das erste Mal in der Geschichte des 14jährigen libanesischen Bürgerkrieges, daß das geistliche Oberhaupt der einflußreichsten Glaubengemeinschaft des Landes von seinem Amtssitz in Bkerke, etwa 20 Kilometer nördlich der Hauptstadt Beirut, fliehen mußte.

Aus Wut über Sfeirs Unterstützung für die Präsidentenwahl hatten rund einhundert Anhänger des Chefs der christlichen Militärregierung den Amtssitz des Geistlichen gestürmt und den Kirchenführer gezwungen, ein Bild von Aoun zu küssen. Sfeir begab sich auf seinen Sommersitz im syrisch kontrollierten Norden Libanons, wo er den am Vortag gewählten Staatschef Rene Moawad traf.

Aoun hatte die Wahl des maronitischen Abgeordneten Moawad zum neuen libanesischen Präsidenten am Sonntag als „verfassungswidrig“ abgelehnt. Sein politischer Rivale Selim Hoss hingegen, Chef der überwiegend moslemischen Regierung Libanons, erklärte am Sonntag abend seinen Rücktritt. Mit diesem Schritt ermöglichte er dem neuen Präsidenten entsprechend dem Abkommen von Taif, eine Regierung zu bilden. Moawad beriet am Montag mit Abgeordneten über die Zusammensetzung eines neuen Kabinetts.

Der neue Staatschef, ein Rechtsanwalt, Politiker und mehrfacher Minister, stammt aus einer der bekannten Maroniten-Clans aus Zghorta im Nordlibanon. Er gilt als ein Mann des Dialogs und der Öffnung. Moawad hält an der Einheit des Libanon fest, ist aber auch von der entscheidenden Rolle Syriens bei der Lösung der libanesischen Krise überzeugt.

In seiner Antrittsrede rief er am Sonntag alle Libanesen zur nationalen Versöhnung auf und schloß ausdrücklich niemanden aus. Als dringlichste Aufgabe bezeichnete er, die „israelische Besatzung“ in Südlibanon zu beenden, wo Israel eine 850 Quadratkilometer große „Sicherheitszone“ beansprucht. General Aouns vordringlichstes Ziel ist hingegen der Abzug aller 35.000 syrischen Soldaten von libanesischem Territorium. Moawad kann nach Ansicht von Beobachtern nicht mit Aoun diskutieren, solange dieser nicht als Regierungschef seinen Rücktritt einreicht und sich dem Präsidenten unterstellt. Andernfalls verlöre Moawad sein Ansehen als Präsident.

General Aoun ist politisch zunehmend isoliert. Washington, die arabischen Länder und auch Paris haben Moawad umgehend zu seiner Wahl gratuliert.

Die USA warfen Aoun vor, dem Land einen schlechten Dienst zu erweisen. Auch das eigene christliche Lager hat der General, der sich nicht mehr an die Regeln der konfessionellen Politik hält, mit seinem Stil vor den Kopf gestoßen. Das zeigte einmal mehr die Flucht des maronitischen Patriarchen.

Die beiden anderen großen Kräfte im christlichen Lager gehen ebenfalls auf Distanz: Die Falange-Partei hat die Wahl des Präsidenten unterstützt; die „Forces Libanaises“ haben sich zwar nicht geäußert, aber ihr Chef Samir Geagea hat eine Erweiterung der Militärregierung abgelehnt, die einer Kriegserklärung an Moawad gleichgekommen wäre.

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