: Marmeladenschimmel im Haushaltsloch
■ Wie der Landwirtschaftsminister Jochen Borchert gestern lernte, Früchte schonend einzukochen, und dem amtierenden Finanzminister Theo Waigel nun etwas vorsparen kann
Bonn (taz) – Null bleibt null, und für die Währungsunion gilt „3,0 ist 3,0“, aber Ministerjob ist nicht gleich Ministerjob. Nehmen wir einerseits Finanzminister Theo Waigel, der immer fahler und verbissener wird. Und betrachten wir andererseits Landwirtschaftsminister Jochen Borchert, wie er gestern beim Deutschen Hausfrauen-Bund die Einmachsaison 1997 eröffnet hat.
Um elf Uhr trifft der Landwirtschaftsminister in der haushaltswirtschaftlichen Schule in Bonn ein. Zur Begrüßung wird Holunderblütentee kredenzt.
Dann geht's zur Sache: „Einmachen wird ja häufig unter Einspareffekten betrachtet“, sagt Borchert. Theo Waigel würde jetzt hellhörig werden. Was? Wo? Wie? Ich kann noch einsparen? Ja, Herr Waigel! Je mehr Hausfrauen Früchte selber einmachen, statt Marmelade zu kaufen, desto weniger Geld brauchen sie, und desto mehr Geld kann man ihnen wegnehmen. Also ran an das Weihnachtsgeld für Beamte, an die Fortbildung von Arbeitslosen, wie Sie es bisher ja nur halbherzig planen. Und weil Psychologie ja ungemein wichtig ist, für den Wirtschaftsaufschwung und für das Kürzen von Leistungen sowieso, hat Borchert noch einen guten Tip: „Was zählt, ist die Freude beim Ausprobieren immer neuer raffinierter Rezepte.“
Waigel sollte sich ein Beispiel an Borchert nehmen. Der verkündete strahlend: „Einmachen ist eine schöne Sache, das macht Spaß.“ Borchert tritt an den Herd. Drei Damen legen ihm eine gelbe Schürze mit blauer Kordel über sein blaues Hemd. Die FDP-Farben könnten zwar Theo Waigel zur Weißglut bringen, nicht aber den Landwirtschaftsminister. Der macht den Herd an. Fernsehkoch Alfons Schuhbeck steht dabei, schlitzt eine Plastikwurst auf und schlabbert daraus rote Masse in einen Topf. Nix da mit frischen Tomaten. Borchert kennt solcherart Tricks wohl schon von seinem Kabinettskollegen mit den buschigen Augenbrauen und bemerkt: „Der Koch hat geschummelt.“ Anbetend sagt Frau Präsidentin Pia Ganszmann: „Herr Minister, Sie merken aber auch alles.“ Wann, denken die Umstehenden voll Mitgefühl, hat Theo Waigel wohl zum letztenmal solche Worte gehört?
Borchert kocht gelassen weiter, hat dabei die linke Hand unter der Schürze in der Hosentasche. Typischer Waigel-Reflex: Das mir bloß keiner in die Tasche langt. Auch Verfolgungswahn ist ihm als Mitglied der Regierung Kohl nicht fern. Als er für die Fotografen abschmecken soll, bemerkt er: „Sie wollen nur, daß ich mir die Zunge verbrenne.“ Aber wieso denn so mißtrauisch, Herr Minister. Ja, wenn's der Waigel wäre...
Dann ein kritischer Moment. Die alte Präsidentin des Hausfrauen-Bundes, Siglinde Porsch, sagt: „Ich will Sie gleich mal schocken!“ Waigel müßte jetzt die Konfrontation fürchten. Der Landwirtschaftsminister aber bleibt entspannt. Frau Präsidentin reicht ein Marmeladenglas hinüber mit fiesem madenartigen Schimmel. So könnten die geldfressenden Monster aussehen, die Theo Waigel in seinen Alpträumen heimsuchen und mit denen er klammheimlich das Schuldenloch erklärt. Markus Franz
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