Marie Skov über Punk in der Kunst: „No Future ist zurück“
Punk hat Erfahrungen mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit. Ein Gespräch mit Marie Arleth Skov, die die erste Kunstgeschichte des Punk geschrieben hat.
wochentaz: Frau Skov, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Punk in der bildenden Kunst zu veröffentlichen?
Marie Arleth Skov: Schon als Teenager habe ich gerne Punkmusik gehört und mochte seine visuelle Seite. Ich komme ursprünglich aus Dänemark und bin Ende der 1990er nach Berlin gegangen, um Kunstgeschichte zu studieren. Da habe ich gesehen, wie viele Verbindungen es zwischen Punk und verschiedenen Avantgarde-Bewegungen gibt, insbesondere des 20. Jahrhunderts. Obwohl es sehr ausgeprägt ist, gab es kaum Analysen davon.
Was erscheint Ihnen an Punk 2023 zeitgemäß?
Wir befinden uns in einer politischen und sozialen Schieflage, wo viele Menschen das Gefühl haben, dass wir uns in einer Ausweglosigkeit befinden. Vor allem für die junge Generation ist ein No-Future-Gefühl entstanden, für Ältere ist das Gefühl vielleicht eher zurückgekehrt. Punk hat Erfahrungen damit. Es ist eine Bewegung, in der Musik, Kunst, Selbstausdruck, Mode, Stil ineinander fließen. Es existiert großes Verständnis dafür, wie unterschiedlich man sein kann als Mensch; dass Identität frei konstruiert werden kann, bis hin dazu, dass der eigene Körper konstruiert werden kann. Es ist okay, sich auf jede erdenkliche Art auszudrücken und diese hybride Form des Seins kann Kunst sein und kann verschiedene Barrieren des Denkens durchbrechen. Dann wird es auch zu etwas Politischem, und also bleibt es wichtig.
geboren 1980 in Kopenhagen. Lebt seit 1999 in Berlin. Hat in Berlin und Kopenhagen studiert. Gehört zum Netzwerk „Punk Scholars Network“. Ihr Buch „Punk, Art, History“ (Intellect Books, Bristol 2023, 307 S., ca. 34 Euro)
ist die erste umfassende und sehr anschaulich geschriebene Kunstgeschichte des Punk.
Billy Idols Song „Eyes without a Face“ läuft immer noch im Radio. Punk in dieser Form ist Oldie, andererseits sticht der Trash-Gedanke ins Ohr, der befreiend wirkt.
Punk hat gezeigt, wie wichtig Trash sein kann. Trash ist Glamour, ist Dreck, ist alles, was verpönt ist, aber total Spaß macht. Das ist auch in Punk-Kunst wichtig. Fusionierte Geflechte zwischen Musik und Mode, Performance und Kunst, wo es darum geht, genau solche gewollt geschmacklosen Momente in den Mittelpunkt zu stellen und Spaß daran zu haben. Auch eine Figur wie die Dragqueen Divine gehört hier mit rein, denn sie hat aus Trash Kunst gemacht. Dieser Aspekt ist das, was wir an Punk lieben.
„Sometimes Punk is art and sometimes art is Punk“, lautet Ihr erster Satz, ein paar Seiten später ist die Fotografie eines Gemäldes von Helmut Middendorf abgebildet. Es zeigt eine Person auf einer Bühne, die eine Mikrofonstange zertrümmert, was der Coverfotografie vom Album „London Calling“ von The Clash nachempfunden ist, die den Bassisten Paul Simonon zeigt, wie er seinen Bass zerstört. Wann ist Punk Kunst, wann nicht?
Das Gemälde ist ein gutes Beispiel für „art that is Punk“. Das Zitat vom Zitat, wie bei Middendorf, ist etwas, was Ende der 70er häufig vorkommt. Die Kopie an sich ist im Punk zentral. Der Fotokopierer wird Mitte der 70er als Gerät entdeckt, mit dem sich Kunst generieren lässt. Die Kopie ist auch ein Mittel, um sich gegen den Kult und die Fetischisierung des Erhabenen in sogenannten Meisterwerken zu stellen, gegen das unerreichbare Kunstwerk, das teure Einzelstück, was nur für Reiche oder für Museen zu haben ist. Die Idee der Kopie spricht für die Verbreitung. Die Verbreitung einer Botschaft ist ein demokratischer Akt, das rückt Kunst gleich in eine andere Sphäre.
Die Geste des Gemäldes wirkt heroisch-theatralisch. Durch Punk kam Heldenverehrung zugleich auf den Prüfstand. „No more Heroes“. Negation wird selbst zur heroischen Geste.
Einerseits hat Punk sich gegen die Heroisierung gestellt, und zwar in der Kunst und in der Musik. Publikum und Band werden eins. Und in der Kunst ging es eben nicht mehr um einzelne männliche Genies, die in einer Edelgalerie ihre Meisterwerke als Einzelshow präsentieren. Typisch waren Gruppenausstellungen, in denen Leute gemeinsam ihre Arbeiten präsentiert haben. Die haben Street-Art gemacht, Zine-Art, da herrscht Egalität. Andererseits gibt es in der Punkszene eine fast romantische Sehnsucht nach Anti-Heroes. Gescheiterte werden zu Punk-Helden.
Sie zitieren die Berliner Künstlerin Käthe Kruse, deren Vater ihr bescheinigt hat, sie sei nichts, sie könne nichts, aus ihr würde nie etwas werden. Das hat sie erst recht getriggert. Aus dem Mangel an Unterstützung wurde ein Dynamo für DIY.
Das ist etwas Gleichzeitiges, es passiert in Medien, im Film, in Bildender Kunst und in der Musik. Man benutzt Geräte wie die Super-8-Kamera, es gab neue Übertragungsmöglichkeiten, die Audio-Cassetten-Kultur ist entstanden. Das geht über auf Orte, in denen man etwas macht: Kloschüssel reparieren genauso wie Kunst machen. Oder Performance. Oder Musik: Ich trommle, ich kann das. In den Städten gab es kaputte, leerstehende Häuser, in die man einziehen konnte. Dort entsteht neue Freiheit für Orte und Produktionsmittel, der kaputte Zustand und der niedrige Mietpreis begünstigen das.
Amsterdam und Kopenhagen sind zentrale Städte in Ihrem Buch, dort waren Kunst, Literatur und Punk besonders eng verbunden. Warum?
Punk manifestiert sich jeweils anders in unterschiedlichen kulturellen Sphären. In Amsterdam gab es enge Verbindungen zur „Provo“-Bewegung der 1960er Jahre, die eher kreativ-anarchistisch unterwegs war. In beiden Städten spielten Frauen wichtige Rollen in der Punk- und Kunstszene. Überall wurden sie rausgeschrieben aus der Geschichte, obwohl sie damals zentral waren, und jetzt müssen wir sie wieder reinholen.
Durch die lokale Anbindung wurde Sprache wieder näher an den Alltag gerückt.
Die Verknüpfung von Punk und Poesie ist in beiden Städten eng. Punk findet in der lokalen Sprache statt. Dadurch wurde auch Abstand genommen von einer klischeehaften, nichtssagenden Mainstream-Glamour-Sprache, wie sie etwa Abba benutzt haben. Es ging zurück zur eigenen Realität, zurück zur eigenen, auch harschen Lebenswelt. Zudem gibt es enge Verbindungen zu Kunstrichtungen der 1960er. CoBrA als Bewegung zwischen Politik und Kunst war maßgebend, Asger Jorn war eine wichtige Figur. Jorns Gesten der Zerstörung und seine kompromisslose Haltung wurden von den Punks bewundert.
Jorn war bekannt für seine Übermalungen, bei denen er Kopien von Werken Alter Meister mit eigenen Mustern verunziert.
Letztendlich geht es Jorn damit um eine Freisetzung der Kunst. Die Idee, eine Überraschung zu kreieren, indem man etwas Disruptives unternimmt, um den Morast des Alltags aufzuwirbeln und die Langeweile aufzuwerfen, ist archetypisch punk. Das macht Jorn auch mit den Bildern. Punk-Künstler:innen haben sich das von ihm abgeschaut.
Zuletzt fiel mir bei einer Performance von Florentina Holzinger der Einfluss von Punk auf, ohne dass es da auch nur einen Hauch retro zugegangen wäre. Holzinger hat für den Zustand der Welt einen drastischen Ausdruck gefunden.
Eine der Sachen, um die es bei Punk geht, ist, dahin zu gehen, wo es weh tut. Das ist wiederum sehr mutig. Es mag abstoßend sein, schwierig, unattraktiv, genau damit beschäftigt sich Punk. Das schafft eben auch die Glaubwürdigkeit, die mir an Punk sehr gefällt. Ja, Florentina Holzinger hat auch so eine Kompromisslosigkeit in ihrer Kunst.
Nun ist der Begriff Punk inzwischen vollständig hohl. Siehe das Wirtschaftsmagazin „Business Punk“. Punk wird inflationär auf alles angewandt, was renitent sein will: Ist Friedrich Merz am Ende Punk?
Nein, mit Punk hat das nichts zu tun, das ist nur bigotte Scheiße, was sich als Anti-Establishment zu verkaufen versucht. Das Problem, dass Punk kooptiert werden kann, existiert allerdings von Beginn an. Wenn man Punk auf Provokation reduziert, kann es leicht von allen Seiten missbraucht werden. Punk ist meist links, aber nicht auf Parteilinie, es hat libertäre Seiten. Wenn man sich an diese Wurzeln erinnert, minimieren sich Falschauslegungen. Es ist eine Bewegung von unten, gegen Macht, gegen Bigotterie, gegen Kapitalismus, gegen Protz, und trotzdem kann es Glam sein. Das ergibt nach wie vor Sinn und bleibt wichtig. So wichtig wie seit 1977 nicht mehr.
Seit dem 7. Oktober lässt sich in der Kunstszene Ignoranz beobachten, was den Terror der Hamas angeht, der verharmlost oder verleugnet wird. Das setzt eine Welle von schlimmem Antisemitismus in Gang.
Es ist eine Form von Dogma, wenn Kunst zur einseitigen Stellungnahme gezwungen und instrumentalisiert wird. Zumindest das, was ich an Kunst spannend finde, öffnet den Geist, anstatt ihn zu verschließen. Egal, ob man Punk ist oder nicht, es ist elementar, Menschlichkeit zu bewahren, egal, wer Aktivist, wer Künstlerin, wer Politikerin ist. Es geht im Punk eher darum, kritisch und empathisch zu denken. Wer das macht, wird antimuslimische und antisemitische Hetze verabscheuen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen