Marie NDiayes Roman "Drei starke Frauen": Verbrechen und Strafe

In Marie NDiayes Buch "Drei starke Frauen" sind die Männer gewalttätig, die Mensche böse. Die Figuren bleiben Opfer der Verhältnisse, trotzdem sollte man dieses Buch lesen.

Selbst ziemlich tough: Die Autorin von "Drei starke Frauen" Marie NDiaye. Bild: rts

Es ist ein deprimierendes Buch. Ein aufklärendes, feministisches, politisches, literarisch hochwertiges und sehr gut erzähltes Buch. Es ist ein Buch, über das geredet wird und über das geredet werden sollte. Es ist das Buch, für das Marie NDiaye, 1967 in Pithiviers, Departement Loiret, geborene Französin mit senegalesischem Vater und seit der Wahl Sarkozys in Berlin lebend, den Prix Goncourt erhalten hat, den höchsten französischen Buchpreis.

Es ist ein Buch, das "Drei starke Frauen" heißt und damit eine kleine Täuschung vollzieht. Der Roman besteht aus drei Geschichten, die thematisch fest, von den Figuren her aber nur lose miteinander verbunden sind. Es tauchen auch drei Frauen auf, die Beschreibung "stark" erscheint aber nach und nach eher stark übertrieben. "Drei starke Frauen" ist trotzdem auch ein feministisches Buch. Allerdings gibt es einfache Antworten, einfache Handlungen in diesem Buch nicht. Es läuft auch nichts auf vorhersehbare Gleichungen hinaus.

Es sind nämlich nicht die Frauen, sondern die Männer, die hier stark im Sinne von gewalttätig, mächtig und fatal erscheinen. Es sind besonders zwei Väter, die im Blickpunkt stehen, im Blickpunkt der ersten beiden Teile des Buchs. Und es sind Töchter und Söhne, die unter diesen Vätern zu leiden haben.

Im ersten Teil geht es um eine Frauenfigur namens Norah, die als Anwältin in Paris arbeitet und Teil einer modernen Patchworkfamilie ist. Eines Tages lässt ihr Vater sie rufen, der in Afrika ein Feriendorf verwaltet und von ihr gut begründet gehasst wird: Dieser Vater hat ihre Mutter, ihre Schwester und sie verlassen, als sie fünf Jahre alt war, und ihren Bruder Sony mitgenommen, um sich um ihn zu kümmern. Beschrieben wird er als mächtige Vaterfigur, kalt, gefühllos, beherrschend und beherrscht, und in der Folge konterkarierend als der Schatten, der von dieser Figur übrig geblieben ist. Norah wundert sich über diese Diskrepanzen - bis sie herausfinden muss, dass ihr Bruder im Gefängnis sitzt. Er soll ein Verbrechen begangen haben. Jemand, eine Frau, ist umgekommen.

In der zweiten Geschichte ist es ein Sohn, der unter den Folgen väterlicher Gewalt zu leiden hat, dessen berufliches und privates Scheitern in direkter Folge eines Mords steht. Der Vater hat im Affekt erst seinen Geschäftspartner getötet, der ihn hintergangen hat, anschließend sich selbst. Rudy ist ein weißer Lehrer irgendwo in Afrika. Er ist verheiratet mit einer schönen schwarzen Kollegin und inzwischen selbst Vater eines kleinen Sohns. Er verstrickt sich in eine Prügelei mit Schülern, die ihn den Sohn eines Mörders genannt haben - was folgt, ist ein Exzess aus Scheitern, Flucht und Selbstverleugnung. Rudy Descas zieht nun mit seiner Kleinfamilie zurück nach Frankreich, wo er ein mickriges Leben als Küchenverkäufer führt, also einem Beruf nachgeht, den er hasst, und eine Stelle besetzt, die er seiner Mutter, einer älteren Dame mit Hang zu religiös motivierter Esoterik, zu verdanken hat. Zu seinem heranwachsenden Sohn hat er keine Verbindung, seine Mutter ist eine verständnislose Irre, sein Job steht auf der Kippe, seine Frau hat ihn mit seinem Chef betrogen.

"Drei starke Frauen" präsentiert die Familie als Hort der Gewalt, als Hort des Misstrauens, die Familie als Ausgangspunkt tödlich verlaufender Tragödien. Die Familie als etwas, in dem man sich nicht aufgehoben fühlen kann, sondern grundsätzlich allein ist. Marie NDiaye baut mit einer sehr strengen, übergenauen, detailversessenen Sprache eine ungehörige Nähe zu ihren Figuren auf; besonders der zweite Teil des Buchs arbeitet sehr stark mit Verdichtungen. Beschrieben wird ein Tag im Leben des Rudy Descas; das Leben einer Figur, dessen Linien auf diesen vielleicht alles entscheidenden Tag zulaufen. Im gewissen Sinn läuft dieser mittlere Teil also wie eine perfekte Kurzgeschichte ab. Changiert wird hierbei ständig zwischen außen verlaufender, konkret beschriebener Handlung und fortwährend kommentierendem inneren Monolog, der eine sehr große psychologische Dichte hat. Die Figuren erklären sich selbst, erkennen ihre Abgründe, schwanken aber fortlaufend in ihren Urteilen. Die Figur der Norah aus dem ersten Teil dekonstruiert sich selbst; eine objektive Wahrheit wird gleichzeitig so wahrscheinlich wie irreal. Die Realität ist immer auch eine psychische.

NDiaye arbeitet zudem gern mit surrealen, filmisch wirkenden Effekten - Effekten, die aus magischen Erzählungen, Motiven, die aus Schauermärchen oder Psychothrillern stammen könnten. Im ersten Teil ist es ein Flammenbaum, der eine entscheidende Rolle spielt, im zweiten Teil erscheint ein rachsüchtiger, aus dem Himmel geschickter Bussard, im dritten Teil sind es Unheil verkündende Raben. Verbrechen und Strafe, Spiralen der Gewalt und die Opfer familiärer Zusammenhänge - in diesem Sinne arbeitet NDiaye nahezu gnadenlos. In der destillierten Grundaussage erinnert das Buch an die Filme von Michael Haneke. Es ist die Gewalt, die die Gesellschaft strukturiert. Gewalt ist erblich, vor der Gewalt gibt es kein Entkommen.

Die Handlung des zweiten Teils verläuft ähnlich einer Kriminalgeschichte, allerdings unternehmen die Figuren auch höchst banale Dinge. Sie frühstücken, reden, fahren Auto, telefonieren. Es gibt einfache Sätze unter höchst komplexen. "Rudy hupte." (Seite 196) Es gibt einleuchtende Analogien zwischen Alltag und Politik, wie sie in Bäckereien transzendent werden können. "Er hatte dieses provinzielle Frankreich, das er so gut kannte, plötzlich satt, oh, schrecklich satt, dachte er, dieses schlechte Brot, das auf Fußhöhe herumstand, der bleiche, nasse Schinken, die Hände, die, wie diese gerade jetzt, abwechselnd Nahrung und Geld anpackten, das Brot und die Scheine." (Seite 229)

Der letzte Teil des Buchs erinnert stark an Michael Winterbottoms halbdokumentarischen Film "In this World", nur eben aus afrikanischer Perspektive. Khady Demba, elternlose, junge, verheiratete Frau, versucht verzweifelt, schwanger zu werden, nur um sich kurz darauf als plötzliche Witwe in fremdem Haushalt wiederzufinden. Ihre Schwiegerfamilie ist sie schnell leid und schickt sie nach Europa: Es gibt Bündel und Geld, Schlepper und ein verrottetes Boot, aus dem sie im letzten Moment flüchtet. Nicht ohne sich dabei empfindlich zu verletzen.

Es gibt eine schüchterne Liebesgeschichte, einen neuen Fluchtplan, gefälschte Pässe, neue Identitäten und einen Höllenort in der Wüste, es gibt das Erwachen im Horror, der aus körperlichen Gebrechen, Leiden, Verfall, Prostitution und Verrat besteht. "Drei starke Frauen" ist ein deprimierendes Buch. Die Figuren, im Wesentlichen zwei Frauen und ein Mann, versuchen sich zu behaupten, bleiben aber Opfer ihrer eigenen und der übergeordneten Geschichte. Opfer der Verhältnisse. In kleinen, "Kontrapunkt" genannten Abschnitten jeweils zum Ende eines Teils, versucht NDiaye, Gegenläufe, andere Perspektiven aufzuzeigen. Zu zeigen, dass es zu einer VerliererInnenseite auch immer eine Gewinnerseite gibt. Aber die Relativierungen sind kurz.

Natürlich bliebe auch einiges zu kritisieren. Die eingestreuten Effekte, besonders im zweiten Teil, wirken manchmal etwas zu hergeholt. Das gilt besonders für den Bussard. Manchmal blickt das Buch, bei aller sprachlichen Genauigkeit, zu sehr in Richtung klassischer Handlungsaufbau, zu sehr in Richtung Krimi. An eine Großerzählung wie Bolaños "2666", das gleichsam wie nebenbei das gesamte Elend der Welt, das gesamte Panorama des Schreckens erzählt, reicht "Drei starke Frauen" nicht heran, dafür gibt sich das Buch zu konstruiert (aber ein höhere Latte als Bolaño gibt es gerade sowieso nicht).

Trotzdem ist das hier ein Buch, das man lesen, gelesen haben sollte. Und wenn es noch so deprimierend ist. Die Welt ist schlecht, die Menschen sind böse: "Drei starke Frauen" ist ein hoch politisches Buch. Man sollte es lesen.

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