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Marianne Faithfulls Doppel-Cover-AlbumDie ganz große Gala

Auf ihrer neuen Doppel-CD bietet Sängerin Marianne Faithfull Coverversionen mit Die-nu-wieder-Effekt. Geholfen haben Sean Lennon, Rufus Wainwright und Jarvis Cocker.

Sängerin mit Trademark-Organ: Marianne Faithfull. Bild: dpa

Die Faithfull. Hingebungsvoll, konzentriert und doch träumend gleitet ihr schweifender Blick an dem Mikrofon vorbei, das in doppelter Handgranatengröße die Mitte des Bildraums dominiert. Dahinter gezielt unscharfer Studio-Hintergrund. Das Coverfoto der Doppel-CD "Easy Come, Easy Go" evoziert Erinnerungen an die Zeit, als Musik noch in eigens ausgestatteten Räumen von hochspezialisierten Könnern in kollektiver Kollegialität entwickelt wurde: Provisorische Wände, halb mit Glas abgetrennte Kabinen, Aschenbecher - überall schiere Kreativität.

So auch hier. Die besten Musiker des Planeten schlurfen, Scherzworte ausgebend, an ihre vorgesehenen Plätze. Sean Ono Lennon ist fast bei jedem Track dabei, hochmögende Groß-Künstler wie Marc Ribot machen klaglos in dienenden Funktionen mit, große Vokalisten wie Rufus Wainwright halten sich gerne an ihre bescheidenen Rollen im Hintergrund. Ein dicker Konzertmeister, der in diesem Job seit gut 20 Jahren aktive Hal Willner, weist die heiteren Hallodris ein. Überall stehen geöffnete Instrumentenkoffer herum.

Der Popsong als Klassiker

Nicht nur diese imaginäre Szene erinnert eher an die produktionsästhetischen Schnittmengen, die klassische Rockmusik mit klassischem Jazz teilt, als an heutige Popmusik. Auch ein anderes Kriterium, das Popmusik von anderen kulturellen Formaten unterscheidet, wird hier gezielt nicht erfüllt. Die Idee des Popsongs ist ja, dass ein Performer von sich spricht, zumindest will dies die symbolische Regel. Meistens stammen die Songs ja auch tatsächlich von denen, die sie aufführen. Die große Ausnahme, die Coverversion, bestätigt diese Regel: der Performer spricht in der kenntlich gemachten Coverversion mit den Worten eines anderen. Das ergibt aber nur einen Sinn, wenn die Konvention vorher klarmacht, dass er in der Regel eben von sich spricht.

Bei den Songs des Jazz und den Liedern klassischer Musik geht es dagegen darum, einen immer schon fest stehenden Text, eine Partitur zu interpretieren. Der individuelle Beitrag wird immer im Hinblick auf ein weitgehend stabiles Material erbracht, vergleichbar mit der Rolle des Schauspielers. Eine solche Schauspielerin ist auch die Faithfull.

In letzter Zeit mehren sich die Zeichen, dass nun auch aus dem Kanon der Popmusik bestimmte an konkrete Interpreten gebundene Songs herausgebrochen und behandelt werden sollen wie die Songs des sogenannten Great American Songbooks: als große, überzeitliche Klassiker, die man immer wieder interpretieren kann, als hätte es nie eine definitive Version gegeben. So inszenierte etwa Herbie Hancock für sein letztes Album Joni Mitchell, als wäre sie Komponistin, nicht Singer/Songwriterin - und karrt ein paar Celebrities für die Vokalparts herbei. Zuletzt hat selbst einer der jüngeren Größen des amerikanischen Mainstream-Jazz, Brad Mehldau, Oasis- und Soundgarden-Stücke - ja, eben nicht gecovert, sondern als Vorlagen seiner pianistischen Delikatessen verwendet.

Marianne Faithfull ist auch schon länger in diesem Geschäft unterwegs. Was zu Beginn ihrer zweiten Karriere mit "The Ballad Of Lucy Jordan" (Dr. Hook) oder "Working Class Hero" (John Lennon) noch in der Logik der Coversion begann - Interpret A stellt sich nicht nur durch Song B dar, sondern verhält sich so auch zu Autor/Originalinterpret C -, wurde bald zu ihrem Hauptgeschäft: die Arbeit an einem neuen Great Songbook der Popmusik von Brecht/Weill bis zu Nick Cave und PJ Harvey. Produzent Hal Willner arbeitet schon seit den 80er-Jahren daran, dem Song als Song ein Denkmal zu setzen, indem er immer wieder neue Compilations ersinnt, bei denen berühmte Pop-Performer als Interpreten die Werke anderer interpretieren sollen.

Melancholie-Facharbeit

Dabei entsteht als Nebeneffekt ein etwas nervig zur Schau gestelltes Kommen und Gehen von Prominenz. Da hat man sich gerade mit der etwas gewöhnungsbedürftigen Interpretation des Musical-Klassiker "Somewhere" angefreundet, die in Wahrheit eher eine Interpretation von Tom Waits Interpretation darstellt, da haucht ein stimmlich leicht behinderter junger Mann etwas dazwischen. Warum jetzt? Ach so, es ist Jarvis Cocker.

Aber auch Faithfull selber produziert mit ihrem Trademark-Organ oft nur ähnliche Die-nu-wieder-Effekte. Randy Newmans "In Germany Before The War" gewinnt nichts, wenn ihm eine andere, sehr persönliche Stimme ihre Reverenz erweist, Morrisseys "Dear God Please Help Me" geht erst gar nicht. Stattdessen funktionieren genau die Nummern sehr gut, die eben immer schon eher für Darsteller gedacht waren als für Selbstdarsteller, etwa echte American-Songbook-Klassiker wie "Black Coffee" und "Solitude", Dolly Partons "Down From Dover" oder, mein Lieblingsstück, das charmante "Many A Mile To Freedom" von Traffic, einer Band, die man wirklich schon sehr lange nicht mehr auf der Rechnung hatte.

In erster Linie scheint es bei diesem Album aber mal wieder um das All-Star-Prinzip zu gehen, den ganz großen Bahnhof, die Gala des Lebens. Und da tauchen eben nicht nur Mucker-Profis, Exzentrik-Chefs und Knittergesichter in wichtigen Winzigstrollen auf - Keith Richards etwa oder die in letzter Zeit auch nicht gerade unterexponierten McGarrigle-Schwestern, erzamtliche Jazzer wie Art Baron oder Marty Ehrlich und natürlich Nick Cave -, sondern die Songs selber treten als seltsam unheimliche Personen auf, untote Schatten ihrer Erstfassung, wolpertingerhafte Komposita aller berühmten Fassungen.

Letzteres können sie aber nur sein, solange sie noch eine allgemein erinnerte Vergangenheit als Popsongs mit sich führen. Alben wie dieses arbeiten aber daran, sie in einen klassischen Status zu befördern, wo diese konkreten, sound- und stimmspezifischen Fassungen hinter einem allgemein verfügbaren Notentext verschwinden. Das nicht sehr wandlungsfähige, traurig rührende Krächzen der Faithfull eignet sich als Neutralisierungsmittel gut zu dieser Aufhebung. Zeuge dieses Vorgangs zu werden ist aber auch ganz interessant: man sieht der eigenen Zeitgenossenschaft beim Verschwinden zu. Die Faithfull als wohl eingeführte Melancholie-Facharbeiterin ist dafür eine einschlägige Besetzung.

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