March for Europe in Berlin: „Wir sind im Vorteil“
Am Samstag läuft der March for Europe durch Berlin. Zielgruppe: die „bisher schweigende Mehrheit der ProeuropäerInnen“, sagt Mitorganisatorin Katja Sinko
taz: Frau Sinko, unter dem Kampagnentitel „The European Moment“ trommeln verschiedene europäische Jugendorganisationen zum March for Europe. Was ist denn eigentlich dieses „europäische Moment“ – und warum ist der Moment gerade jetzt gekommen?
Katja Sinko: Gucken Sie sich nur das vergangene Jahr an, der EU-Austritt Großbritanniens im Juni, dann im November die Wahl von Präsident Trump in den USA. Das war politisch ein, ich sag mal, beschissenes Jahr. Ich glaube, jetzt ist daher der Moment gekommen, für ein Europa, wie wir es wollen, auf die Straße zu gehen.
Was ist das denn für ein Europa, das Sie wollen?
Es geht uns weniger um die Europäische Union als vor allem um die europäischen Werte, die ursprüngliche Idee von Europa: um Toleranz und Offenheit, um Menschenrechte, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit.
Aber brauchen solche Ideen nicht immer einen institutionellen Rahmen, damit sie Wirklichkeit werden können?
Was ich damit meinte: Es geht uns nicht darum, nur das EU-Fähnchen zu schwingen – sondern die Menschen daran zu erinnern, für welche universellen Werte dieses Fähnchen und dieses häufig negativ besetzte Konstrukt Europäische Union eigentlich stehen. Wir ProeuropäerInnen selbst müssen mehr zusammenarbeiten, man kann das nicht nur auf politischer Ebene, von den Nationalstaaten und Institutionen, verlangen. Gerade viele Organisationen, denen Europa am Herzen liegt, kochen oft nur ihr eigenes Projektsüppchen. Das war auch eine Idee von The European Moment: dass man sich zusammentut und für die Werte, die man gemeinsam hochhält, auch gemeinsam auf die Straße geht.
27, studiert European Studies in Frankfurt/Oder. Sinko ist Stellvertretende Vorsitzende bei der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg e. V. und Mitbegründerin der Kampagne The European Moment.
Wenn man heute für Europa ist, ist man vor allem auch gegen etwas: gegen eine populistische Antieuropapolitik à la AfD, gegen nationalistische Politik, wie sie zum Beispiel die französische Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen betreibt. Ist man als Proeuropäerin gerade in der Defensive?
Nein, ich denke, man ist im Vorteil. Natürlich ist es immer leicht, „anti“ zu sein. Und wenn Le Pen in Frankreich wirklich gewinnen sollte, bricht mir das mein europäisches Herz. Aber wir gehen vor allem deshalb auf die Straße, weil wir für etwas sind. Und ich glaube, genauso geht es sehr vielen Menschen in Europa, die bisher aber eben nur eine schweigende Mehrheit waren. Sie sind für die europäische Idee – wenn auch vielleicht nicht zwingend für die Union, wie sie derzeit ist.
Sie wollen vor allem auch die junge Generation mobilisieren. Für jemanden, der heute 25 ist, war die EU immer eine Selbstverständlichkeit. Hat diese Generation denn realisiert, dass man Selbstverständlichkeiten auch wieder verlieren kann?
Ja, das hat sie. Nach dem Brexit kamen viele meiner Freunde, die politisch gar nicht besonders engagiert waren, plötzlich an und fragten: O mein Gott, was passiert denn hier? Und als wir im Januar das Kick-off-Treffen für unsere Kampagne hatten, kamen 60 junge Menschen. Wir hatten mit maximal 20 gerechnet. Ich denke, die Leute fangen gerade ernsthaft an, sich zu sorgen: Die EU bedeutet ja gewisse Grundfreiheiten, Annehmlichkeiten, die so in unseren Alltag übergegangen sind, dass zumindest meine Generation sie gar nicht mehr wahrnimmt …
Der March for Europe erinnert an den Jahrestag der Römischen Verträge, geschlossen vor genau 60 Jahren, später Grundlage der Europäischen Union. Am 25. März 1957 zeichneten Deutschland, Italien, Frankreich, Luxemburg und die Niederlande in Rom den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, kurz EWG.
Am Samstag, dem 25. März, ruft ein Bündnis aus Initiativen, Verbänden und Gewerkschaften um 11.45 Uhr zur Demo auf den Bebelplatz. Demonstriert wird europaweit, etwa auch in London und Rom.
The European Moment ist eine Initiative der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg e. V. Sie will künftig einmal im Monat eine proeuropäische Demo organisieren – die nächste am 29. April anlässlich der Wahl in Frankreich. Das Ziel: 5.000 Teilnehmer. (akl)
… zum Beispiel die Reisefreiheit, das EU-Freizügigkeitsgesetz.
Genau. Ich kann schnell mal in den Billigflieger steigen und Freunde in Schweden besuchen, ich kann mir in Belgien einen Job suchen. Ich muss keine Roaminggebühren zahlen, und im Supermarkt gibt es einheitliche Standards bei Lebensmitteln – das war alles irgendwie schon immer so. Aber diese Annehmlichkeiten sehen die Leute nun in Gefahr, und zwar zu Recht.
Seit Februar gibt es bereits die Bürgerbewegung Pulse of Europe, die sonntags in verschiedenen Städten für Europa demonstriert und auch beim Marsch am Samstag dabei ist. Was unterscheidet Ihren europäischen Moment vom europäischen Puls?
Die Pulse-Leute setzen sich vor allem für den Erhalt der EU ein. Das ist uns zu wenig konkret, und es geht uns auch nicht weit genug. Denn die Kritik an der EU ist ja zum Teil berechtigt.
Was kritisieren Sie konkret an der Union?
Zum Beispiel die Wirtschafts- und Sozialpolitik, da fehlt das solidarische Moment. In einigen Ländern gibt es einen Mindestlohn und in anderen nicht. Es muss aber doch darum gehen, den Lebensstandard der Länder anzugleichen. Wenn man sich die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland anschaut, kann ich schon verstehen, warum die Menschen sich dort von der Union abwenden. Auch in der Flüchtlingsfrage und bei der Bekämpfung des Klimawandels gibt es noch zu wenig Zusammenarbeit.
Auf Ihrer Kampagnenwebsite verabschieden Sie sich am Ende des Demoaufrufs „In Liebe“. Wieso denn Liebe?
In dem Fall sind wir ganz klar gegen etwas: Wir wollen dem Hass der Rechtspopulisten etwas entgegensetzen. Also ja, europäische Liebe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft