Manuela Schwesig über Frauenpolitik: „Keine Minijobs mehr anbieten“
Wir wollen, dass Frauen ganze Stellen bekommen, sagt Manuela Schwesig, die zuständig für Familienpolitik ist im Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
taz: Frau Schwesig, jetzt sind Sie erneut im Kompetenzteam, dieses Mal für Peer Steinbrück. Was ist anders als vor der letzten Bundestagswahl 2009, als Sie für Frank-Walter Steinmeier Wahlkampf machten?
Manuela Schwesig: 2009 haben uns viele Frauen nicht mehr gewählt. Wir hatten auch keinen Kompetenzvorsprung in der Familienpolitik mehr. Das hat sich in den letzten vier Jahren wieder gedreht. Das sieht man etwa am ARD-„Deutschlandtrend“. Die SPD steht heute anders als die Union für eine glaubwürdige Frauen- und Familienpolitik, und auch das Thema soziale Gerechtigkeit verbinden die Menschen vor allem mit der SPD.
Gerade in der Familienpolitik bescheinigen ForscherInnen der Bundesrepublik ein riesiges Defizit. Was ist Ihr Hundert-Tage-Programm dagegen?
Keine Frau und kein Mann soll sich mehr zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen. Wir werden deshalb zuerst das Betreuungsgeld abschaffen und die zwei Milliarden Euro in den Kitaausbau investieren. Das sind 200.000 Plätze mehr. Dann wollen wir den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro einführen, von dem vor allem Frauen profitieren werden. Nicht nur die Minijobs müssen dann anständig bezahlt werden, auch viele Tariflöhne liegen heute noch unterhalb dieser Schwelle. Das dritte Vorhaben ist ein Entgeltgleichheitsgesetz. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das alles hat Peer Steinbrück bereits angekündigt.
Was ist mit der Reform des Ehegattensplittings? Das wollten Sie schon 1998 abschaffen.
Vor der Reform des Ehegattensplittings haben viele Respekt. Aber die Lenkungswirkung des Splittings auf Frauen ist negativ, sie werden vom Arbeitsmarkt ferngehalten, das zeigen viele Studien. Zugleich ist es jedoch Realität, dass viele Menschen sich über die Steuerermäßigung freuen und sie behalten wollen. Da prallen zwei Realitäten aufeinander. Wir wollen das Splitting nun für die Bestandsehen sicher stellen, aber für neue Ehen soll es abgeschafft werden. Dieses Geld wollen wir in die Infrastruktur für Familien stecken.
39, ist Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende. In Peer Steinbrücks Wahlkampfteam kümmert sie sich unter anderem um Familienpolitik und Frauen.
Sie wollen die Steuerfreibeträge für Kinder senken und dafür das Kindergeld erhöhen. Das gilt als nicht verfassungsfest.
Die Förderung von Familien über das Steuersystem setzt den falschen Fokus. Sie hat immer eine Verzerrung zur Folge: Reiche Familien, die mehr Steuern zahlen, profitieren stärker als arme. Und Hartz-IV-Aufstocker bekommen gar nichts. Das kann ich niemandem erklären. Unsere sozialdemokratische Kindergrundsicherung ist verfassungsfest. Wir haben das von Verfassungsjuristen prüfen lassen. Sie besteht aus zwei Säulen: Ganztagsbildung und einem Kindergeld von 184 Euro für alle. Den Steuerfreibetrag passen wir dieser Höhe an. Für viele Familien ist die Ganztagsbetreuung wichtiger als Steuererleichterungen. Auch für Frauen, die dann leichter erwerbstätig sein können.
Im Moment sind unter diesen Frauen viele, die mit einem Minijob dazu verdienen. Problematisch wird das bei einer Scheidung, wenn die Rente dann plötzlich nur noch winzig ausfällt.
Wir wollen, dass Frauen vollzeitnah arbeiten, 30 bis 40 Stunden. Das ist unser Leitbild. Natürlich muss es die Möglichkeit geben, für Erziehung oder Pflege eine Weile kürzer zu treten, aber grundsätzlich ist die reguläre sozialversicherte Beschäftigung unser Ziel. Wir wollen die Minijobs reformieren. Anstelle von Minijobs sollen die Jobcenter den Frauen sozialversicherungspflichtige Alternativen anbieten.
Die SPD hat in 150 Jahren keine Frau an die Spitze gebracht.
Frauen sind bei uns ganz oben. Hannelore Kraft und Malu Dreyer sind Ministerpräsidentinnen. Und in der engeren Parteiführung sind die Frauen in der Überzahl.
Aber in den Wahlkampf sind sie mit diesem alten Modell der Männertroika gezogen.
Das heißt ja nicht, dass die Frauen keinen Einfluss haben.
Es geht um die Spitze. An wem liegt es?
Die Frauen sind auf dem Vormarsch. Und mir ist es wichtiger, dass Frauenthemen umgesetzt werden, als eine Frau an der Spitze zu haben, die nichts für Frauen tut. So ist es leider bei Frau Merkel und der CDU. Die Frauen in der SPD haben eine Menge erreicht. Es war nicht immer so, dass unsere Männer die Frauenthemen mit vertreten haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen