Manöverkritik: "Man kann nicht 15.000 unter Verdacht stellen"
Die Entscheidung der Polizei, die 1.-Mai-Demo in der Lindenstraße aufzulösen, hält Linken-Fraktionschef Udo Wolf für einen Fehler.
Udo Wolf
49, ist Politikwissenschaftler und seit 2009 Fraktionschef der Linken im Abgeordnetenhaus. In die PDS trat er 1993 ein.
taz: Herr Wolf, hat die linke Opposition Beißhemmungen? Bei der Debatte über den 1. Mai am Montag im Innenausschuss schien das zumindest so.
Udo Wolf: Der Eindruck ist falsch. Man muss doch nicht die mittelenglischen Umgangsformen verletzen, wenn man kritische Nachfragen zu Polizeieinsätzen stellt.
Es hatte fast den Anschein, als würden Sie und Ihre Kollegen von den Oppositionsfraktionen sich für die Nachfragen zum Thema 1.-Mai-Einsatz entschuldigen, wo der doch so toll gelaufen sei.
Weder der Kollege Lux von den Grünen noch der Kollege Lauer von den Piraten noch ich haben uns für irgendwas entschuldigt. Aber es geht auch um die Würdigung des gesamten 1. Mai: von der Walpurgisnacht über die Demonstration des DGB, die erfolgreichen Anti-Nazi-Mobilisierungen, die Spontan-Demonstration in Kreuzberg und das Myfest. Und wir haben alle erforderlichen Fragen zur 18-Uhr-Demonstration gestellt. Auch alle Fragen, die vom Grundrechtekomitee aufgeworfen wurden, das die Demonstrationen beobachtet hat.
Trotzdem: Warum haben Sie nicht stärker nachgehakt?
Ich habe zweimal nachgefragt, warum es zum Stopp der 18-Uhr-Demonstration in der Lindenstraße gekommen ist. Und es wurde geantwortet. Frau Koppers …
… die amtierende Polizeipräsidentin …
… hat erklärt, man hätte sich andere Varianten vorstellen können, als den Zug an dieser Stelle zu stoppen. Die Polizei habe sich in der konkreten Situation aber anders entschieden. Diese Aussage ist jetzt politisch zu bewerten. Ich halte es für einen Fehler.
Wie bewerten Sie den Fund von drei Rohrbomben am Rand der revolutionären 1.-Mai-Demo?
Ich habe dazu noch keine Erkenntnisse. Die Bomben sehen aber nicht aus, als kämen sie aus dem Demonstrationsumfeld.
Wie kommen Sie darauf?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Demonstrationsteilnehmer das Risiko eingehen würden, sich quasi mit in die Luft zu sprengen. Man muss die Ermittlungen abwarten. Ich hoffe, da bald Aufklärung zu bekommen. Was nicht geht, ist, 15.000 Teilnehmer der 18-Uhr-Demonstration unter Verdacht zu stellen, mit Rohrbomben hantiert zu haben.
Am vergangenen Samstag wurde in Kreuzberg ein Polizeiauto überfallen. Was wissen Sie darüber?
Dazu kennen wir keine Hintergründe und erwarten weitere Erkenntnisse. Auch hier gleich den Verdacht zu erheben, das sei politisch motiviert – wie es manche Medien getan haben –, ist schon einigermaßen kühn.
Hat die Linkspartei Skrupel, Frau Koppers hart anzugehen, weil man sie gern als Polizeipräsidentin hätte?
Auch als wir noch Regierungsfraktion waren, haben wir jeden problematischen Polizeieinsatz sehr kritisch ausgewertet – auch mit Innensenator Körting und dem sehr sympathischen Polizeipräsidenten Glietsch. Das tun wir weiter, egal wer Innensenator oder Polizeipräsident ist.
Wird Senator Frank Henkel nach den Rohrbombenfunden in der Sicherheitspolitik eine andere Gangart einschlagen?
Ich kann nur davor warnen, das zum Anlass zu nehmen, nach mehr Repression zu rufen und von der Grundlinie der Deeskalation abzugehen. Dadurch wird nichts besser. Insbesondere CDU-Innensenatoren haben in den letzten 25 Jahren viele Entscheidungen getroffen, die letztlich zu mehr Gewalt geführt haben.
Frau Koppers hat gesagt, man müsse bei künftigen Einsätzen darauf vorbereitet sein, dass es Menschen gibt, die blinden Hass in sich tragen.
Das ist eine Binsenweisheit. Man denke an den Amokfahrer, der 2006 in die Fanmeile fuhr. Öffentlicher Raum und Großveranstaltungen sind mit dem Risiko behaftet, dass es dort zu schweren Straftaten kommen kann. Aufgabe der Polizei ist, vernünftig abzuwägen, wie sie präventiv agiert und dabei das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit gewährleistet.
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