Mannschaftsturnier Ryder Cup: Golfhooligans in Paris
In Zeiten des bröckelnden Europas ist der Ryder Cup politischer denn je. Zumal es beim Kontinentalduell USA vs. Europa ungewöhnlich emotional zugeht.
Ab Freitag früh um 8 Uhr haben sie wieder getobt und sind über den Rasen gehüpft, die sonst so zurückhaltenden Golfprofis, sie haben die Fans angestachelt, gebrüllt, sich enthusiastisch abgeklatscht. Und am Sonntagabend werden die Sieger vielleicht voller Übermut mal wieder in einen See hüpfen oder sich umarmend durchs Unterholz wälzen. Golf beim Ryder Cup ist Golf ganz anders. Da werden die Aktiven zu Golfhooligans, die manchmal wie von Sinnen schreien und zwischen hysterischen Zuschauermassen herumtanzen.
Beim Kontinentalduell USA gegen Europa, Showdown der Saison alle zwei Jahre, sind jeweils zwölf Spieler dabei. Nicht um langweilige Siegerschecks geht es, sondern um Ehre, Prestige, Mythosmehrung. Und darum, dem anderen den Sieg zu entreißen, ihn leiden sehen. „Golf ist ein sehr einsamer Sport“, hat Spaniens Sergio Garcia gesagt, da liebe man den Teamgedanken umso mehr, das Anfeuern, den Spirit untereinander.
Man spielt nicht Schlag für Schlag nach dem üblichen Zählspielmodus, sondern im Matchplay, Mann gegen Mann oder Doppel gegen Doppel; die klassische Duellsituation, insgesamt 28 mal. Alle sagen: Ein Turniersieg auf der Tour ist ein Triumph, der Mannschaftsgewinn des Ryder Cups, 1927 gestiftet vom englischen Tütensaatgut-Händler Samuel Ryder, ist ein güldener Ehrentitel auf Lebenszeit.
Nach nationalen Kriterien steht 2018 ein trauriges Ereignis an: Erst zum vierten Mal seit 1980 ist kein Deutscher dabei. Jahrzehntelang war Bernhard Langer einer der Dominatoren, 2010-2016 spielte Martin Kaymer vier Mal mit (drei Siege). 2018 reichte es nicht mehr für eine Nominierung durch den dänischen Europakapitän Thomas Bjorn. Kaymer ist noch 154. der Weltrangliste, das hätte kaum für eine 4. Mannschaft gereicht.
Briten lauschen EU-Hymne
Aber was heißt schon national? Das große Prestigeduell Alte gegen Neue Welt beerdigt altes Denken in Nationalkategorien: Ryder Cup ist das einzige bedeutende Sportereignis, in dem Europa als Team antritt, Spieler aus sechs Ländern sind 2018 dabei. In Fankriterien: „Wir“ sind nicht die Deutschen (oder Spanier, Schweden), wir sind Europa. Erst seit kurzem gibt es auch im Tischtennis und Bowling kleine Ansätze mit Europateams.
Das war immer eine Besonderheit – in diesen Tagen aber, da der Europagedanke bröckelt, ist das ein kleines politisches Statement. Gespielt wird unter EU-Fahne, die Teamkleidung ist blau-gelb, die Fans sind entsprechend karnevalistisch kostümiert und skandieren „Europe, Europe“.
Die sechs Briten 2018 um Justin Rose oder Rory McIlroy können sich seelisch schon mal auf die Brexit-Folgen vorbereiten. Zwar bleiben sie laut Statuten auch 2020 spielberechtigt, werden als Nicht-EU-Europäer dann aber aparterweise weiter der EU-Hymne Ode an die Freude lauschen, die bei der Eröffnungs- und Schlussfeier immer über die Anlage donnert. Und 2022 in Rom brauchen sie vielleicht ein Visum.
USA sind Favorit
Abgeschlagen wird von Freitag bis Sonntag auf dem Platz „Le Golf National“ bei Paris. Wie fast immer gelten die USA als Favorit. Das hat ihnen in den letzten acht von elf Aufeinandertreffen nichts genutzt. Europa siegte, teils demütigend deutlich oder nach klarem Rückstand. Und in Europa haben die USA seit 25 Jahren nicht gewonnen.
Bei Titelverteidiger USA ist Tiger Woods, 42, wieder dabei, der seinen eigenen Mythos gerade in neue Höhen katapultiert: Mehr als eine Dekade dominierte er das Profigolf, die Künste mit der kleinen Kugel machten ihn zum ersten Sportmilliardär auf der großen. Es folgten Jahre im privaten Chaos mit Medikamentensucht, Klinikaufenthalten und schweren Rückenoperationen. Seit Anfang 2018 ist er wie vom Katapult geschossen zurückgekehrt, wird in den USA hymnisch gefeiert und gewann, wie passend, vergangenen Sonntag sein erstes Turnier seit fünf Jahren.
Aber Woods ist nur einer von zwölf. Und er hatte auch zu besten Zeiten immer eine seltsam schwache Bilanz im Ryder Cup (bei sieben Teilnahmen sechs mal verloren; 13 Einzelsiege bei 17 Niederlagen). Die Szene grübelt: Wieso kann der überragende Egomane nicht mehr gewohnt sicher einlochen und verzieht mehr Schläge, nur weil er Teil eines Teamwettbewerbs ist? Braucht er in diesem einsamen Sport die Einsamkeit um sich herum? Keine psychologische Deutung hat bislang dieses Rätsel gelöst. Der Ryder Cup pflegt weiter seine Mythen.
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