Mannequins und Magersucht: Tod eines Prototyps
Das Model Isabelle Caro war weltberühmt, als sie vor einem Jahr starb. Nicht für ihre Schönheit, sondern weil sie dem Kampf gegen die Anorexie eine Gestalt gab.
PARIS taz | Der 17. November 2010 war ein Mittwoch. An diesem Tag wurde bekannt, das US-Präsident Barack Obama Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Freiheitsmedaille ehren würde. Die griechische Regierung stellte einen neuen Sparhaushalt vor und in Deutschland berieten sich die Innenminister von Bund und Ländern über die Terrorgefahr.
Am selben Tag starb Isabelle Caro in einem Pariser Krankenhaus an einer Lungenentzündung - sie wurde 28 Jahre alt und wog nur noch 31 Kilogramm bei einer Größe von 1,64 Metern. Bekannt wurde ihr Tod erst Wochen später, weil eine Freundin von ihr die Nachricht auf Facebook postete. „Das Leben muss gelebt werden“, sagte Caro einmal einer Talkshow. Es ist ihr nicht gelungen.
In der Gemeinde der Magersüchtigen, also derer, die unter Anorexie leiden, war sie ein Idol, für die restliche Welt ein Freak mit sichtbaren Rippen, hängenden Brüsten und Haut wie Pergament. Dennoch, oder gerade wegen ihrer Anorexie präsentierte die Französin zu Lebzeiten ihren Körper in Hochglanzmagazinen, auf Plakaten und in Fernsehsendungen. Zu sehen war eine kranke Frau, die Mitleid und Ekel erweckte. Warum sie das machte? „Ich will zeigen, wohin Magersucht führen kann“, sagte sie.
Er verlor seine ganze Familie
Sie wolle wieder gesund werden, waren ihre stets gleichen Worte. Dabei wurde sie immer ausgemergelter und die Öffentlichkeit ließ sie an ihrem Zerfall teilhaben. Zwei Monate nach dem Tod ihres einzigen Kindes nahm sich Isabelles Mutter das Leben. „Sie hat Isabelles Tod nicht verkraftet“, sagt der Vater Christian Caro, der innerhalb kürzester Zeit seine ganze Familie verlor. „Meine Frau und Isabelle hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander“, schiebt der unscheinbar wirkende Mann mit den langen grauen Haaren hinterher. Und wenn seine Tochter zu Lebzeiten nicht etwas anderes berichtet hätte, dann würde man hier auch nicht zusammenzucken.
Im Jahr 2008 erschien in Frankreich Isabelle Caros Buch „La petite fille qui ne voulait pas grossir“ (Das Mädchen, das nicht dick werden wollte) und verkaufte sich schleppend. Überhaupt nahm zu dieser Zeit das Interesse an ihr ab, irgendwann hatten die Menschen sich sattgesehen an der Kranken. Sie sah immer schrecklicher aus - egal, wie man sie stylte, schminkte und frisierte. Doch weil die Hungernde ohne Öffentlichkeit nicht leben wollte, gab sie nur noch Interviews, wenn sie gleichzeitig fotografiert wurde, und schaute dann mit den hervorstehenden Kulleraugen in die Kameras.
In dem Buch schilderte sie ihre Kindheit mit einer Mutter, die sie seit ihrem vierten Lebensjahr von der Außenwelt abgeschottet hatte. Sie durfte selten aus dem Haus gehen und erhielt ihren Unterricht zu Hause von der Mutter, die depressiv war. Caro schildert in ihrem Buch, dass die Mutter in ihr immer ein kleines Kind sehen wolle und sie deswegen dauernd von ihr gemessen wurde. Mit 13 habe sie dann angefangen zu hungern. „Meine Mutter wollte, dass ich wie ein Kind aussehe, also hörte ich auf, zu essen.“ Alles Dinge, von denen der Vater nichts wissen oder hören will. Fragen danach lässt er unbeantwortet. Vielleicht ist es eine normale Reaktion für einen Mann, der seine Familie verloren hat und Unangenehmes ignorieren will.
Sie wog nur 25 Kilogramm
Ignorieren konnte er aber unmöglich die Krankheit seiner Tochter, die auch nur aufgrund ihrer Essstörung 2007 Berühmtheit erlangte. Ihr ausgezehrter Körper überlebensgroß auf den Plakaten zur Kampagne „No-Anorexia“ (“Nein zur Magersucht“) - erst in Italien, dann weltweit, sorgte für Aufsehen. Damals wog sie nur noch 25 Kilogramm. Am Gesäß blätterte ihre Haut ab, die Brüste sahen aus wie die einer Greisin. Im Gesicht hatte sie sich Sommersprossen tätowieren lassen. Die junge Frau war bei einem Casting unter Magersüchtigen ausgewählt worden und kassierte nur 700 Euro für Fotoaufnahmen, die sie weltberühmt machen sollten.
„Sie ist nicht Isabelle Caro“, sagt ihr Fotograf Oliviero Toscani. „Sie ist ein Prototyp, mehr nicht. Sie ist Anorexie. Und wie alle Magersüchtigen ist sie hypernarzisstisch“, so der Fotograf, der selbst für seine Schockbilder von Sterbenden bekannt wurde. Toscani würde die Fotos mit Caro so nicht mehr veröffentlichen, sie nur noch maskiert zeigen, um ihre Anonymität zu wahren. Denn nach ihrem kurzen Durchbruch sei lediglich über die Person gesprochen worden, nicht über die Anorexie.
Für den Vater sind die Aufnahmen bis heute ein Grauen. „Diese Bilder sind schlimm“, sagt er und schiebt hinterher: „Ich habe es nie unterstützt.“ Und Toscani habe seine Tochter nur benutzt, um Geld zu verdienen. Ob er Toscani jemals persönlich kennen gelernt habe? „Nein“, antwortet der Vater. Zwar habe er den Fotografen um ein Treffen gebeten, doch bis heute keine Antwort erhalten. Und wie war es für ihn, seine eigene todkranke Tochter in unzähligen Talkshows zu sehen? „Isabelle hatte eine starke Message, sie wollte den Menschen Hoffnung geben“, sagt er. „Sie hat sich nur nicht selber helfen können.“ Hatten Sie das Gefühl, dass Isabelle dem öffentlichen Druck nicht standhalten konnte?
Christian Caro findet diese Frage scheinbar absurd. Für ihn war seine Tochter eine karrierebewusste junge Frau, die von den anderen schlicht ausgenutzt und alleine gelassen wurde. Ob er vielleicht in seiner Erziehung etwas falsch gemacht habe, lässt er unbeantwortet. Zu sagen, er wirke verhärmt, ist noch freundlich umschrieben.
Wer alles liest, was die deutsche Presse über Isabelle Caro schrieb, muss die Verstorbene für eine egoistische Selbstdarstellerin halten. „Will Caro gesund werden oder will sie nur Aufmerksamkeit?“, fragte Stern.de und schob hinterher: Ihr „Körper wird ausgestellt wie der Leib Christi“. Die „Magersucht ist ihr Beruf“ (Bild.de) und „ihr ausgemergelter Körper, den sie gekonnt verkauft, ist im Moment ihr Kapital“ (Welt).
Sie wachte nicht mehr auf
Wenn der Vater sich an seine Tochter erinnert, dann war sie ein fröhlicher Mensch, voller Tatendrang, eine verkannte Schauspielerin, die halt ein Problem hatte. Dass sie ohne ihre Krankheit vielleicht den Weg in die Öffentlichkeit nicht geschafft hätte, mag der Vater nicht glauben. Isabelle kritisierte in ihrem Buch den Vater, dass er sich nie richtig um sie gekümmert habe. Er hingegen schwärmt von einer intensiven Vater-Tochter-Beziehung.
Am 14. November klagte Isabelle über Bauchschmerzen, ihre Eltern fuhren sie in das Bichat-Krankenhaus in Paris, wo sie eine Beruhigungsspritze bekam. Sie wachte nie wieder auf, zwei Tage später starb sie. Christian Caro hat das Krankenhaus verklagt, sie hätten seine Tochter falsch behandelt. Die Klinik will sich zu dem Vorwurf nicht äußern. Wie er sich seine Chancen ausrechnet, juristisch gegen das Krankenhaus vorgehen zu können? Dies sei überhaupt nicht wichtig, antwortet er. Lieber spricht er davon, dass namhafte Modelagenturen seine Tochter in ihre Karteien aufnehmen wollten. Aber auch hier kann er auf Nachfrage nichts Näheres sagen.
Wie er die Trauer erträgt? „Ich arbeite sehr hart für die Stiftung, um mich abzulenken“, antwortet Christian Caro. Kürzlich hat er mit einem Künstler eine CD für seine Tochter aufgenommen - ihre Erlöse sind auch für die Stiftung bestimmt, als deren Ziel die Bekämpfung der Magersucht gilt. Besonders aktiv jedoch ist die Organisation noch nicht geworden, die Webseite gibt kaum Informationen her. Auch die CD ist letztendlich untergegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden