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Manipulierte OrganspendelisteZum Kotzen, zum Heulen

Ein Göttinger Arzt hat Krankenakten gefälscht – und so die Warteliste für Spenderorgane manipuliert. Eine Erregung über perfide Machenschaften karrieregeiler Ärzte.

Auf dem Papier wurden Patienten kränker gemacht, um schneller eine Leber zu bekommen. Bild: dpa

Ich könnte heulen, ich könnte kotzen. Ein karrieregeiler Arzt in Göttingen ruiniert den Ruf der deutschen Transplantationsmedizin, indem er Krankenakten fälscht und Patienten, die dafür eventuell sogar bezahlen, schneller zu einer neuen Leber verhilft. Und seiner Klinik zu einer beeindruckenden Steigerung der Transplantationsrate.

Wie das funktionierte? Auf dem Papier wurden Patienten kränker gemacht, als sie eigentlich waren, rückten so auf der Warteliste nach oben und bekommen von der internationalen Vermittlungsstelle Eurotransplant bevorzugt Spenderorgane zugeteilt. Patienten, die in den Niederlanden, in Österreich oder anderen deutschen Transplantationszentren auf ein Organ warteten, mussten deshalb länger warten.

Nicht wenige dieser Patienten dürften während ihrer durch diese Manipulationen verlängerten Wartezeit verstorben sein, denn die Zuteilung von Spenderlebern erfolgt nach Dringlichkeit, die der sogenannte MELD-Score ausdrückt. Ein hoher Score bedeutet, daß der Patient ohne ein neues Organ bald sterben wird.

David Wagner

41, ist Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Roman „Welche Farbe hat Berlin“. 2009 erschien im Sukultur Verlag „Für neue Leben“, ein Bericht über seine Lebertransplantation. 2013 wird er auch einen Roman zu dem Thema veröffentlichen.

Das hätte auch mir passieren können. Ich stand auch einmal auf dieser Warteliste, über zwei Jahre. Über zwei Jahre wartete ich auf den Tag, an dem das Telefon schließlich klingelte. Und es hieß: Es gibt eine Spenderleber für Sie. Ich lebe bloß, weil mir vor fast fünf Jahren eine gespendete Leber transplantiert wurde. Ohne diese Operation (die in im Virchow-Klinikum Berlin, einem der größten deutschen Lebertransplantationszentren erfolgte) wäre ich heute tot.

Und könnte diese Sätze nicht schreiben und mich nun nicht über diese Göttinger Verbrecher aufregen (ganz allein wird der Arzt nicht gearbeitet haben), deren perfide Machenschaften der in Deutschland leider sowieso nicht besonders hohen Bereitschaft zur Organspende nicht gerade förderlich sein dürften. Ich möchte heulen, kotzen und wieder heulen. Man mag mir das bitte nachsehen, ich bin bei diesem Thema so befangen, wie jemand nur befangen sein kann.

Zu viele Transplantationszentren

Ein grundsätzliches deutsches Problem zeigt dieser Skandal: Es gibt im föderalen Deutschland zu viele Transplantationszentren. Viel zu viele Feld-Wald- und Wiesen-Universitäten und zu viele Provinzstädtchen (Regensburg, Würzburg, Ulm und andere) leisten sich solche, Transplantationen sind lukrativ, die Krankenkassen rechnen großzügig ab.

Man kann sicher sein, daß der kaufmännische Direktor der Göttinger Klinik sich sehr darüber gefreut hat, daß in seinem Krankenhaus plötzlich so viele Transplantationen durchgeführt wurden, sein Klinikum hat gut daran verdient.

Es gibt noch einen Skandal hinter dem Skandal: Der 45-jährige Göttinger Arzt war schon einmal aufgefallen, zuvor in Regensburg beschäftigt, hatte er von dort im Jahr 2005 eine Eurotransplant-Spenderleber nach Jordanien entführt, um sie dort zu transplantieren. Die bayerische Ärztekammer sah von einem Entzug der Approbation ab, die bayerischen Ministerien, so die Süddeutsche Zeitung, „verließen sich auf ein Versprechen des Klinikums, so etwas werde nicht wieder vorkommen“. Nun ja. Dem Arzt gelang der Karrieresprung nach Göttingen.

Meine geheime alttestamentarische Bestrafungsphantasie: diesen Arzt zur einer Leber-Lebendspende zu verurteilen. Leber-Lebendspende ist möglich, es läßt sich auch mit nur einem Leberlappen fröhlich im Gefängnis sitzen. Anderer Vorschlag: Göttingen und andere kleine, schlecht überwachte Transplantationszentren sofort schließen um solche Skandale in Zukunft zu vermeiden.

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11 Kommentare

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  • K
    Klaus

    Oh Gott, ein Skandal! Der Glaube an unser gerechtes Deutschland wird erschüttert.

     

    Fagt meine Frau, meine Freunde und Bekannten, habe das ganze schon immer erzählt, habe meine Spenderausweis vernichtet, weil ich genau solche Vorgehensweisen erlebt habe, aber nicht in Göttingen.

    Kenne viele Kolleginnen und Kollegen, welche auch ihren Spendeausweis vernichtet haben, aus demselben Grund. Macht eure Augen auf und schaut hinter die Kulissen. Göttingen ist nur die Spitze des Eisberges!

  • C
    Corianna

    Frankensteins allererste Monster sind m.E. nicht die Ärzte, sondern sie sind eher der Rasse der diätophagischen Paragraphenexkrementoren zuuzuordnen, wie die Reichstagsbeschlusse der vergangen Tage vermuten lassen. Solche Typen wollen immer mehr: Babyvorhäute, Lebern, ...

  • N
    noisette

    an alle damen und herren, die sich hier auf die herkunft des beschuldigten beziehen, eine frage:

     

    glauben sie allen ernstes, daß menschen mit "deutscher" abstammung in irgendeiner weise weniger korrupt sind als alle anderen?

     

    wenn ja, bräuchten sie mal dringend einen realitycheck,

    bei "uns" waren selbst hohe nazifunktionäre gleich nach ´45 wieder hohe demokratiefunktionäre und die deutschland ag lief jahrzentelang wie geschmiert

    (waffenhandel, pharma, atomkraft, etc., etc.)

     

    und was sich heutzutage in politik und wirtschaft abspielt, spottet jeder beschreibung ich sag nur sächsischer landtag und kinderpuff...

     

    wird bloß nie an die grosse glocke gehängt, korruption ist ja nur wenn einsüdamerikanischer zöllner 20 dollar nimmt...

     

    da sind "wir" natürlich was besseres!

     

    jaja verstehe tschüss

  • GT
    Gudrun Thilo

    Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Jeder Mensch kann doch froh sein, wenn er einen Arzt hat, der sich für ihn einsetzt und alles unternimmt, damit sein Patient geheilt wird.

     

    Wer hat eigentlich mit welchem Recht festgelegt, dass Organe immer an die Schwerstkranken gehen sollen? Wäre es nicht sinnvoller, wenn die mit den besten Überlebenschancen bevorzugt würden? Oder die an die, die im Erwerbsleben stehen und die Steuern erarbeiten, mit denen die ganzen Transplantationen bezahlt werden?

  • BG
    Bernd Goldammer

    Bananenrepublik Deutschland, die Justiz wird sich als unfähig erweisen, einen solchen Fall halbwegs gerecht abzuurteilen. Der deutsche Geldadel stellt sich auf allen Gebieten über Moral und Gesetz. Willkommen im deutschen Neo- Feudalismus.

  • G
    Groschen

    ich lebe irgendwie noch in der Welt von "Euro-Transplant" in Den Haag, die sämtliche Transplantationen ohne Ansehen der Person/Geld vermittelte.

    Einzig und alleine galt die Kompaktibilität.

    So einiges scheint an mir vorbei gegangen zu sein und aus diesem Metier wurde genauso ein Zockerfeld, wie mit jedem anderen.

    Da fällt mir doch glatt der dt.TV Film aus den 60ern ein. Den sollte man nochmal senden.

    "Fleisch" lautete der Titel und es ging um die Jagd nach Menschen, um deren Organe auszuschlachten.

    Damals belächelte Fiktion, heute scheinbar auch hier Realität in etwas abgewandelter Form.

    Die Kasse soll ruhig mit ihrem Fragebogen kommen.

    Das Thema ist für mich erstmal durch.

    G.

  • LB
    lal baba

    Frage: "Was kostet ein Arschloch?"

  • JH
    Jörn H Witt

    Bessere Transparenz einzufordern ist sicher richtig. Auch Leistungen an Zentren zu binden macht Sinn.

    Zentren an die Größe von Städten zu koppeln macht sicher keinen Sinn. Zweifelsohne muss es um die Qualität gehen, nicht um Einwohnerzahlen.

    Ein gutes Beispiel sind die Mayo-Kliniken in den USA. Diese bieten seit langen eine hohe medizinische Kompetenz, befinden sich aber üblicherweise abseits großer urbaner Zentren.

  • SW
    S. Weinert

    Ich bin nicht sicher, dass weniger Transplantationszentren das Problem lösen. Wo immer eine ausreichende Zahl mit Ablaufverantwortung bedachter Menschen zielgerichtet zusammenarbeiten oder wegschaut, ist Betrug möglich - die Gerichte haben Tag für Tag damit zu tun. Nur vermutete man bislang solche Machenschaften eher bei Banken, Gebrauchtwagenändlern, nicht aber bei den quasi heiligen Äskulap-Jüngern. Aber wundert man sich nach der Nachricht wirklich...?

     

    Ich bin eigentlich kein großer Freund der Generalprävention - aber hier wären spürbare - auch ruhig extreme - Strafandrohungen und ein selbstverständlich zu folgendes Berufsverbot wohl eher geeignet, als alle kleinen bis mittleren Transplantationszentren in einen Topf zu stecken und blind darauf zu vertrauen, dass die "Großen" schon sauber arbeiten werden. Ich vertraue der Deutschen Bank ja auch nicht weiter, als der kleinen Privatbank nebenan, die doch eigentlich viel besser zu kontrollieren ist.

  • C
    Couch

    Wie verkommen muss man sein, um so etwas zu tun.

    Kann man den Typ nicht lebenslänglich in den Knast stecken?

  • GH
    gerd heise

    erst kommt das große Fressen und dann die Moral.