■ Der WDR wärmt zehn Jahre alte Kamellen wieder auf:: Man schreie dreimal laut „Moro!“
Rom (taz) – Das Szenarium ist relativ einfach zu handhaben: Man stelle sich auf ein beliebiges Hausdach, alternativ Misthaufen oder in ein Fernsehstudio, schreie dreimal laut „Aldo Moro“ und warte ab, was geschieht.
Es ist immer dasselbe: Kaum fällt der Name des 1978 von den Roten Brigaden entführten, 55 Tage danach ermordeten Präsidenten der Democrazia Cristina, schon hauen alle Italiener wütend aufeinander ein. Gleichgültig, ob es darob schon mal Streit gegeben hat, ob Neues aufgetaucht ist oder ob nur alte Hüte aufgemöbelt werden: Zur Massenkeilerei reicht es immer. Und sollten die internen Lautsprecher in Presse und Fernsehen die Sache ausnahmsweise einmal satt haben oder weghören, ist da immer noch das Ausland.
Diesmal war's der deutsche WDR, der aushalf, als die „Moro“- Schreier zu Hause zu wenig Gehör fanden. Und siehe da, flugs prügeln nun die Schlagzeilenfabrikanten des Moro-Falles wieder aufeinander ein, daß es eine wahre Freude ist. Der Anlaß: Der vormalige Staatspräsident Francesco Cossiga, den ansonsten im Lande allenfalls Neofaschisten und ein paar vergessene Neandertaler des Staatsrundfunks RAI ausführlich zu Wort kommen lassen, konzedierte dem WDR ein von ihm als „erstes Interview zum Fall Moro überhaupt“ hochstilisiertes Gespräch und „enthüllte“ dabei, daß es für die beiden denkbaren Fälle der Zeit nach der Entführung – Moro lebend, Moro tot – zwei Szenarien gegeben habe: Kam der Mann tot aus der Sache, sollte – Plan „Moro Mike“ – eine riesige Repressionswelle gegen alle Linksradikalen losgehen (was aber aus unbekannten Gründen dann nicht geschah). Wurde Moro aber freigelassen – „Moro Victor“ – sollte der Politiker eiligst abtransportiert und vor der Öffentlichkeit geschützt werden. Ziel der Aktion: Moro, der aus dem Brigaden-Gefängnis heraus wahre Kaskaden von Briefen mit bösen Anschuldigungen gegen seine Parteifreunde und die regierenden Politiker losgelassen hatte, sollte davon abgehalten werden, dies auch nach seiner Befreiung fortzuführen. Das nämlich hätte die von Cossiga – damals Innenminister – und Regierungschef Andreotti gestreute Behauptung widerlegt, Moro schreibe seine Briefe aus dem Volksgefängnis nur unter Zwang oder Drogeneinfluß.
Neben Polit-Pensionär Cossiga kam im WDR noch ein anderer aus der Rentnergilde zu Wort: Raffaele Cutolo, längst ins Abseits geratener und mehrmals zu lebenslänglich verurteilter Gründer der Gangsterorganisation „Nuova Camorra Organizzata“. Der behauptete, wenn man gewollt hätte, wäre er seinerzeit losgezogen und hätte Moro herausgehauen. Wie Cossiga findet auch der wackere Cutolo zu Hause kaum mehr Gehör. Wie dem auch sei, der WDR kam gerade recht.
Nun prügeln sie also wieder alle. Justizminister Conso und der Oberste Richterrat haben Ermittlungen angeordnet, ob diejenigen, die „Mike“ und „Victor“ ausgeheckt hatten – Staatsanwälte und Beamte des Innenministers – sich nicht böser Gesetzes- oder sogar Verfassungsbrüche schuldig gemacht haben; schließlich hätte es sich dabei um Freiheitsberaubung oder unzulässige Polizeiaktionen wegen politischer Überzeugungen gehandelt. Merkwürdig nur: All das, was Cossiga und Cutolo da erzählen, ist schon seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt. Das Politmagazin „Panorama“ veröffentlichte die „Mike- und Victor-Pläne“ schon 1982, und selbst in deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten wurden schon in den achtziger Jahren Sendungen und Interviews ausgestrahlt, wo derlei zu hören war. Doch wie gesagt: Man braucht nur mal laut „Moro“ zu rufen ... Werner Raith
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